Komponist Thomas Zaufke erhält Paul Abraham Preis
Der schwule Musicalautor wird mit einem Festakt in der Komischen Oper Berlin geehrt
Die deutsche GEMA Stiftung hat den neuen Paul Abraham Preis ins Leben gerufen. Er ist mit 10.000 Euro dotiert und als Auszeichnung für besondere künstlerische Leistungen gedacht. Der erste Preisträger ist der Musicalkomponist Thomas Zaufke, der sich vor allem mit LGBTIQ-Stücken einen Namen gemacht hat.
Der Preis ist benannt nach dem Jazzoperettenkomponist Paul Abraham, der Anfang der 1930er-Jahre mit seinen hypermodernen synkopierten Bühnenspektakeln und Songs Furore machte. Die Nazis brandmarkten seine Musik als «entartet», weil sie als «negroid» eingestufte US-Rhythmen mit Walzer («dem deutschen der deutschen Nationaltänze») und anderen hiesigen Musikformaten mischte. Ausserdem war Abraham Jude.
Nach Triumphen mit «Viktoria und ihr Husar» (1930), «Die Blume von Hawaii» (1931) und «Ball im Savoy» (1932) musste er aus Deutschland fliehen, brachte in Wien noch die Fussballoperette «Roxy und ihr Wunderteam» heraus und ging dann via Kuba in die USA. Dort wurde er wahnsinnig wegen einer nicht behandelten Syphiliserkrankung und landete in einer Nervenheilanstalt. Ein tragisches Schicksal.
Modernität und sexuelle Befreiung An einer Wiederentdeckung der Werke Abrahams – mit einem besonderen Fokus auf deren queeren Aspekten – hat seit 2013 vor allem Barrie Kosky zusammen mit Dirigent Adam Benzwi an der Komischen Oper gearbeitet, die eine Abraham-Renaissance vorangetrieben haben, die nun auch zu diesem Preis geführt hat. Unter Koskys Intendanz konnte man auch die Geschwister Pfister in einer deutlich homoerotisch gespielten Version von «Roxy» erleben, mit Christoph Marti als cross-dressed Titelheldin.
Inzwischen gelten «Abraham» und «Operette» als Qualitätssiegel, beides steht für Modernität und sexuelle Befreiung (die besonders in «Ball im Savoy» zelebriert wird).
Letztes Jahr wurde von der GEMA – die heute die Rechte an Abrahams Musik hält – eine Jury zusammenberufen, die eine*n Künstler*in aus dem Bereich des populären Musiktheaters auswählen sollte, der bzw. die eine vergleichbar wegweisende Bedeutung hat.
Schweinchen Didi entdeckt seine Liebe zum muskulösen Wolf Die Wahl fiel auf Thomas Zaufke, der nicht nur mit Pornostar Hans Berlin alias Florian Klein das weltweit erste «romantische Musical» über die schwule Pornobranche geschrieben hat, das 2019 in Los Angeles in Premiere ging (MANNSCHAFT berichtete).
Zaufke hat vor allem auch mit seinem künstlerischen Partner Peter Lund eine Vielzahl von deutschen Musicals mit LGBTIQ-Schwerpunkten verfasst, die oft an der Neuköllner Oper in Berlin in Premiere gingen und vielerorts erfolgreich nachgespielt wurden: Sei es das Märchen-Mash-up «Grimm» (in dem Dennis Hupka unvergesslich das tumbe Schweinchen Didi spielte, das plötzlich seine Liebe zum grossen muskulösen Wolf entdeckte). Auch Stücke wie «Babytalk», «Schwestern im Geiste» oder «Mein Avatar & ich» beschritten «immer wieder neue Pfade und prägen das Genre Musiktheater» in Deutschland, heisst es in einer Pressemitteilung der GEMA.
Im Sommer kommt an der Neuköllner Oper die alttestamentarische Musical-Revue «Paradise Lost» mit den Studierenden der UdK (Universität der Künste) heraus, in dem die Genesis-Geschichte nacherzählt wird – mit viel biblischer Nacktheit und noch mehr queeren Elementen, wie Zaufke im Gespräch mit MANNSCHAFT diese Woche sagte. Premiere ist am 11. Juni, Regie führt Peter Lund, von dem auch das Textbuch stammt.
«Mit seiner facettenreichen Musiksprache, die über markante Rhythmen und Melodien mal liebevoll charakterisiert, mal humorvoll karikiert oder raffiniert Showeffekte zaubert, kommt Thomas Zaufke im Bereich des unterhaltenden Musiktheaters im deutschsprachigen Raum mit seinem umfangreichen Œuvre an Musicals, Bühnenmusiken und Chansons ein besonderer Rang zu: Seine klugen und hintersinnigen Partituren, die sich eng an den vielfältigen Stoffvorlagen orientieren, sind zugleich Ohrwurmgarant und begeistern alle Generationen», begründet Kathrin Kondaurow, Intendantin der Staatsoperette Dresden und Sprecherin der Jury, die Entscheidung.
«Breaking Free» Die Preisverleihung findet in feierlichem Rahmen am 3. Mai um 17 Uhr in der Komischen Oper Berlin statt. Im Anschluss gibt’s eine Aufführung der Abraham-Operette «Ball im Savoy», mit Dagmar Manzel und Katharine Mehrling sowie Adam Benzwi. Und: mit Otto Pichlers Tanztruppe, die womöglich sogar die paradiesische Nacktheit von Zaufkes neuem Neuköllner-Oper-Musical in den Schatten stellt.
Vielleicht kann Zaufke bei der Preisverleihung Kathrin Kondaurow gleich noch überreden, «Shooting Star» an der Staatsoperette Dresden rauszubringen – Stücke zu Schwulenpornos standen bislang in Sachsen nicht auf dem Musiktheaterspielplan, obwohl Kondaurow für ihr Haus eine Verjüngung angemahnt hatte und darauf besteht, aktuelle Themen anzugehen. Was beim Zaufke/Klein-Stück definitiv gegeben wäre. (MANNSCHAFT berichtete über eine «softpornöse» und total queere Version von «Bridgerton» in Roman- und Musicalform.)
Florian Klein spricht im neuen, für Oktober geplanten Buch «Breaking Free: Die Welt des LGBTQ-Musicals» (Querverlag) über die Zusammenarbeit mit Zaufke. Und sagt, er musste vor Begeisterung weinen, als er erstmals die Songs hörte, die Zaufke für «Shooting Star» geschrieben hatte.
Wer die Musicals von Thomas Zaufke näher kennenlernen will, kann via Neuköllner Oper von fast allen Stücken, die in Zusammenarbeit mit Peter Lund und der UdK entstanden, Cast Alben kaufen. Die ersetzen zwar nicht den Live-Eindruck, halten aber die Uraufführungsinterpreten und die «klugen und hintersinnigen Partituren» fest. Diese bleiben in der oft arg von heteronormativen Klischees dominierten deutschen Musicalszene singulär – und Wegweiser in eine Richtung des populären Musiktheaters, die im anglo-amerikanischen Bereich längst eine LGBTIQ-Selbstverständlichkeit ist, ebenso bei Netflix und Amazon Prime, teils auch bei Disney+ (MANNSCHAFT berichtete).
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