«Hollywood steckt Leute gerne in Schubladen»
M. Night Shyamalan stellt ein schwules Paar in den Mittepunkt der Geschichte
Im neuen Thriller «Knock at the Cabin» spielen Jonathan Groff und Ben Aldridge eine Regenbogenfamilie, die in einer Hütte im Wald bedroht wird. Im Interview mit MANNSCHAFT+ sprechen die beiden über queere Repräsentation in Hollywoodfilmen.
Ben, Jonathan, der Regisseur M. Night Shyamalan, gehört seit über 20 Jahren zu den erfolgreichsten der Welt. Ist sein Name allein Anreiz genug für ein Projekt zuzusagen? Aldridge: Als die erste E-Mail zu «Knock at the Cabin» kam, war ich kurz genervt. Denn das war eine Aufforderung zum E-Casting, sprich: Ich sollte ein Video von mir selbst beim Vorsprechen machen. Das ist immer etwas, was ich eher anstrengend und nervig finde. Doch dann las ich den Namen M. Night Shyamalan – und war sofort wieder versöhnt. Für einen Filmemacher wie ihn würde man ja noch ganz andere Sachen auf sich nehmen.
Ausserdem war ich neugierig, denn wie bei einem solchen Film wohl üblich, bekamen wir nicht das ganze Drehbuch, sondern nur ein paar Seiten, in denen es darum ging, dass einige Leute ständig auf ihre Uhr gucken. Aber es gab da auch ein schwules Paar, das über Adoption sprach. Auch als ich zweimal längere Zoom-Gespräche mit ihm führte, erfuhr ich nicht viel mehr.
Irgendwann rief er dann an und sagte, dass er mich gerne für die Rolle haben würde. Ich hatte 24 Stunden Zeit, endlich das ganze Skript zu lesen und mich zu entscheiden. Das hat mich richtig nervös gemacht. Aber natürlich musste ich nicht lange nachdenken, schliesslich bin ich schon lange Fan seiner Filme und fand die Aussicht, mit ihm zu drehen, absolut aufregend.
Groff: Für mich war hier auch der Name Shyamalan die grosse Attraktion. Als grosser Kinofan liebe ich es, wenn die Regieperson letztlich der Star eines Films ist und eine eigene Handschrift oder Markenzeichen hat. Schliesslich verbringt man beim Drehen als Schauspieler ja viel Zeit in ihrem Kopf. Bei Night war ich mir – ohne auch nur eine Zeile gelesen zu haben – sicher, dass das eine einmalige, faszinierende Erfahrung werden würde. Und was soll ich sagen: Er hat mich kein bisschen enttäuscht.
Ben, dir ist ins Auge gestochen, dass hier ein schwules Paar im Zentrum der Geschichte steht. Wie wichtig war dir das an «Knock at the Cabin»? Aldridge: Das ist schon der Punkt gewesen, den ich beim Projekt besonders aufregend fand. Ich habe ja erst mit meinem Coming-out vor drei Jahren verstärkt angefangen, queere Figuren zu spielen, und bin immer noch ganz begeistert davon, dass diese nochmal eine ganz andere Facette in meiner Arbeit hervorbringen. Tatsächlich habe ich das Gefühl, dass ich zu diesen Figuren doch oft eine leicht andere Nähe empfinde und in ihnen ein klein wenig mehr von mir selbst teile.
In meinen Zwanzigern war die Schauspielerei auch eine Flucht. Ich habe es geliebt, mich auf Rollen zu stürzen, die ganz weit weg von mir waren und die ich mir deswegen richtig hart erarbeiten musste. Das mag ich heute noch, aber es ist auch wundervoll, nun solche zu spielen, zu denen ich einen authentischeren emotionalen Bezug habe.
Wie war es für dich, Jonathan? Groff: Ich fand es auch unglaublich besonders, dass in einem Film von M. Night Shyamalan ein schwules Paar im Mittepunkt der Geschichte steht. Es ist noch nicht so lange her, dass ich so etwas für kaum vorstellbar hielt. Als ich mich 2009 mit 24 Jahren outete, hielt ich es für ziemlich aussichtslos, jemals in Filmen mitzuspielen. Broadway klar, aber Hollywood? Das war noch einmal eine ganz andere Sache. Und damals gab es ja noch nicht einmal die Ehe für alle. Rund 15 Jahre später nun ein verheiratetes gleichgeschlechtliches Paar samt Tochter in einer solchen kommerziellen Mainstreamproduktion zu sehen, ist doch einfach nur bemerkenswert! Daran teilhaben zu dürfen, empfinde ich als grosses Privileg.
Interessanterweise spielt die Queerness der Figuren dann aber weder in der Geschichte des Films noch in seiner Marketingkampagne eine allzu grosse Rolle… Aldridge: Das gefiel mir besonders gut. Für die Geschichte ist es bloss relevant, dass es um eine sich liebende Kleinfamilie geht. Dass es nun zwei Väter und ihre Adoptivtochter sind, ist tatsächlich Nebensache. Das zeigt, wie universell die Themen Liebe und Familie sind, ohne dass in diesem Fall das queere Narrativ komplett ausgeblendet wird. Wir sehen durchaus, mit welchen sehr spezifischen Konflikten diese Männer es zu tun haben, von einem Coming-out gegenüber den Eltern bis hin zu homophober Gewalt. Doch wie das hier in einem allgemein zugänglichen Mainstream-Kontext dargestellt wird, finde ich schon ausgesprochen gelungen und progressiv.
Habt ihr beide versucht, gezielt familien-ähnliche Bande zu knüpfen, um die Beziehung eurer Figuren besonders glaubwürdig darstellen zu können? Groff: Zum Glück haben wir gleich auf Anhieb gemerkt, dass die Chemie zwischen uns stimmt, und die kann man ja nicht einfach künstlich erzeugen. Wir fingen sofort an, zu quatschen – und haben damit bis heute nicht wirklich aufgehört (lacht). Bei den Dreharbeiten haben wir dann gleich in der ersten Woche alle Rückblenden gedreht, die die Vergangenheit dieses Paares zeigen. Das fand ich hilfreich, denn so steckten wir nicht gleich von Beginn an in dieser Extremsituation in der Hütte im Wald.
Dann stiess die kleine Kristen zu uns, die unsere achtjährige Tochter spielt. Mit ihr haben wir möglichst viel Zeit verbracht – auch wenn die Kamera nicht lief –, damit echtes Vertrauen zwischen uns entstehen konnte. Ben war mit ihr Schlittschuhlaufen, wir haben zusammen «Just Dance» auf der Playstation gespielt … solche Dinge eben. Der Liebe und Verbundenheit, die zwischen unseren Figuren herrscht, waren wir uns und auch Night sich immer sehr bewusst, deswegen verloren wir das nie aus den Augen.
Im Publikum wird es viele geben, die noch nie eine Regenbogenfamilie dieser Art gesehen haben
Hofft ihr, dass das Publikum von «Knock at the Cabin» sich am Ende nicht nur gruselt, sondern vielleicht auch noch etwas anderes mitnimmt? Aldridge: Das ist natürlich die spannende Frage! Nights Filme werden ja wirklich nicht nur von sehr vielen, sondern auch sehr unterschiedlichen Menschen gesehen, und da wird es viele geben, die noch nie eine Regenbogenfamilie dieser Art gesehen haben. Ich würde mir natürlich wünschen, dass der eine oder die andere dadurch vielleicht einen neuen Blick auf das Thema bekommt oder ein paar Vorurteile über Bord wirft.
Es ist sicherlich nicht das Ziel des Films, voreingenommene Menschen zum Umdenken zu bringen, aber wenn das nebenbei passiert, wäre das doch famos. Davon abgesehen denke ich, dass es auch für unsere Community selbst toll ist, diese Figuren auf der Leinwand zu sehen. Queerness in einem Film dieser Art so prominent repräsentiert zu sehen, hat ja etwas sehr Bestärkendes und Mutmachendes. Ich zumindest empfinde das als echtes Zeichen von Fortschritt.
Für dich ist «Knock at the Cabin» auch Teil eines ganz neuen Karriereabschnitts, zu dem auch der Film «Spoiler Alarm» gehört, der im Mai in die Kinos kommt. Die Zeiten, in denen die meisten dich als Arschlochtyp aus «Fleabag» kennen, sind langsam vorbei, oder? Aldridge: Meinetwegen dürfen die Leute bei meinem Anblick ein Leben lang an den Arschloch-Typ denken. Ich bin den nie leid gewesen, sondern im Gegenteil bis heute unglaublich stolz darauf, ein kleiner Teil dieser fantastischen Serie gewesen zu sein. Phoebe Waller-Bridge ist eine der witzigsten, smartesten Personen unserer Branche, und ich bin ihr sehr dankbar, dass sie mir damals diese Rolle gegeben hat.
Aber ich freue mich natürlich auch wirklich sehr, dass ich in letzter Zeit an so vielen spannenden, höchst verschiedenen Projekte teilhaben durfte und sogar grosse, noch dazu schwule Kinorollen spielen konnte. Ich geniesse meinen Job gerade sehr und freue mich nicht zuletzt, wie vielfältig und divers die Geschichten inzwischen sind, die in Film und Fernsehen erzählt werden.
Jonathan, du hast schon lange viele queere Figuren gespielt, von «The Normal Heart» bis «Looking». Aber dann gab es eben auch Rollen wie den Protagonisten in der Serie «Mindhunter» oder den Animationserfolg «Frozen». Sorge, in einer Schublade für LGBTIQ-Projekte festzustecken, hattest du nie? Groff: Tatsächlich hatte ich nie den Eindruck, auf irgendetwas festgelegt zu sein. Aber die Gefahr droht als Schauspieler immer, nicht nur als schwuler. Hollywood steckt Leute gerne in Schubladen, gerade wenn man mit einer bestimmten Sache bekannt wurde. Als Broadwaydarsteller muss man dann beweisen, dass man mehr kann als Musicals, als Komiker, dass man auch ernste Rollen spielen kann. Wir alle haben es aber letztlich selbst in der Hand zu beweisen, wie vielseitig wir sind. Und wir alle müssen uns deswegen immer wieder darum bemühen, so spannende und facettenreiche Rollen wie möglich zu finden.
«Knock at the Cabin»
Ausgerechnet M. Night Shyamalan, der Mann hinter Welterfolgen wie «The Sixth Sense», «Signs» oder «Split», hat mit «Knock at the Cabin» (aktuell im Kino) den ersten grossen Mainstream-Psychohorror vorgelegt, in dessen Zentrum ein schwules Paar samt Adoptivtochter steht. Dass ihm das überzeugend gelingt, verdankt sich neben seinem Talent als Regisseur auch den beiden Hauptdarstellern. Shyamalan konnte für seinen Film der erfolgreichsten offen queeren Schauspieler dieser Tage gewinnen: den Amerikaner Jonathan Groff, der nach Broadway-Erfolgen und Serien wie «Looking» und «Mindhunter» zuletzt Gastauftritte in «And Just Like That» oder «Life & Beth» hatte, sowie den Briten Ben Aldridge, der jüngst Hauptrollen in den Serien «Pennyworth» und «The Long Call» spielte und demnächst im Film «Spoiler Alert» zu sehen ist.
In «Looking» spielte Groff den schwulen Patrick, der mit seinen Gefühlen für Kevin (Russell Tovey) und Richie (Raúl Castillo) hin- und hergerissen ist (MANNSCHAFT berichtete).
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