Clemens Schick: «Ich liebe die Demokratie»
Ab Freitag bei Netflix zu sehen: «Kidnapping Stella»
Ab Freitag ist Clemens Schick im ersten deutschen Netflix-Film «Kidnapping Stella» neben Jella Haase und Max von der Groeben zu sehen. Wir trafen den Schauspieler beim Filmfest München.
13 Jahre ist es her, dass Clemens Schick, der 1972 in Tübingen geboren wurde und in Stuttgart sein Abitur machte, quasi über Nacht bekannt wurde. Nach mehreren Jahren als Ensemble-Mitglied am Schauspielhaus Hannover war er damals als Bösewicht-Handlanger im James-Bond-Film «Casino Royale» zu sehen – und mit einem Mal rissen sich nicht nur deutsche Filmemacher um den Mann mit den markanten blauen Augen. Schick drehte erfolgreiche Fernsehkrimis («Unschuldig»), gefeierte Kino-Filme («Das finstere Tal») und ungewöhnliche internationale Produktionen («Futuro Beach»).
Dass er 2014 erstmals öffentlich über seine Homosexualität sprach, tat Schicks Karriere keinen Abbruch, wie Rollen im «Point Break»-Remake oder dem Sechsteiler «Tannbach» beweisen. Nun ist er im ersten deutschen Netflix-Film «Kidnapping Stella» zu sehen, im Herbst folgt – beim gleichen Streamingdienst – der Film „Sergio“ über den brasilianischen UN-Diplomaten und Menschenrechtskämpfer Sérgio Vieira de Mello. Wir trafen Schick in München zum Interview.
Herr Schick, Ihr neuer Film «Kidnapping Stella» ist ein Entführungsthriller mit gerade einmal drei Figuren. Was hat Sie an diesem Projekt interessiert? Das Kammerspiel-artige hat mich sehr gereizt. Und ich habe beim Lesen des Drehbuchs gleich geahnt, dass das ein sehr intensiver Dreh wird. Ausserdem habe ich dann natürlich sehr schnell den Regisseur Thomas Sieben kennen gelernt und zum Beispiel auch erfahren, wer die Kamera macht: Sten Mende, ein ganz toller Kameramann. Und dann ging es sehr schnell noch um die Frage: mit wem spielt man das noch? Im Casting bin ich dann sehr schnell Max von der Groeben begegnet … Das waren alles Punkte, die immer mehr Lust und mehr Hunger gemacht haben auf ein solches Projekt – und eine Ahnung davon gegeben haben, dass das etwas ganz Tolles werden könnte.
Interessant, dass Sie den Kameramann erwähnen… Schauspiel ist für mich ein Beruf, der ganz viel mit Emotionen, sich loslassen und in eine Rolle hineinfallen zusammenhängt. Aber gleichzeitig ist es auch ein sehr technischer Beruf – und das finde ich ganz toll. Ich rede ganz viel mit den Kameraleuten. Vor etwa fünf Jahren habe ich aufgehört, mir Szenen, die wir gerade gedreht haben, auf dem Monitor anzugucken, aber dafür rede ich im Vorfeld mit den Kameraleuten über die Einstellung. Oder auch mit den Lichtleuten, weil ich wissen möchte, wo die Position besonders gut ist und welches Licht ich mir suchen soll. Diesen technischen Aspekt liebe ich sehr, und je mehr ich darüber weiss, desto mehr habe ich das Gefühl, dass ich mich fallen lassen kann.
Könnten Sie sich vorstellen, auch mal ganz die Seiten zu wechseln und beispielsweise Regie zu führen? Das ist natürlich auch immer eine Frage von Mut. Aber Perspektivwechsel finde ich grundsätzlich gut. Ich wurde vor sechs Jahren gefragt, ob ich mir vorstellen könnte zu unterrichten. Da bin ich erst einmal erschrocken: kann ich das? Aber dann dachte ich mir, dass ich ja nun bald Mitte 40 bin, also warum denn nicht! Seitdem unterrichte ich an der Akademie für Schauspiel in Ludwigsburg. Einmal im Jahre gebe ich da für den jeweiligen Jahrgang einen einwöchigen oder zehntägigen Kurs. Meine Erfahrungen mit angehenden Schauspielern und Schauspielerinnen zu teilen macht mir wirklich sehr viel Spass.
Wie haben Sie sich auf die Aufgabe an der Hochschule vorbereitet? Ich habe mich damit beschäftigt, was es überhaupt für Schauspieltheorien gibt. Was wird den Studierenden beigebracht, womit setzen die sich sonst auseinander, wie heissen die verschiedenen Stilrichtungen? Ich konnte nämlich eigentlich gar nicht benennen, wie ich selbst arbeite.
Für mich ist Schauspiel vom ersten Lesen des Drehbuchs bis zum letzten Drehtag letztlich ein Prozess – und wenn ich den erklären will, muss ich ihn sezieren. Das ist nicht so einfach. Deswegen mache ich den Studierenden auch immer klar, dass die Art und Weise, wie ich es mache, für sie vielleicht nicht die richtige ist. Nicht, um mich aus einer Verantwortung zu stehlen, sondern um vor Augen zu führen: vielleicht braucht ihr etwas anderes. Aber ich glaube insgesamt, dass ich etwas teilen kann.
Sind es auch die Erinnerungen an die eigene Ausbildung, die Sie vermitteln? Wenn man selber sehr viel kämpfen musste, um dorthin zu kommen, wo man ist, ist man natürlich selbst auch ein anderes Beispiel als wenn alles sehr einfach gegangen wäre. Mein beruflicher Weg war kein leichter, aber er war toll. Oder besser: er ist toll.
Was machte Ihren Weg besonders schwer? Ich habe es nicht geschafft, auf eine staatliche Schauspielschule zu kommen und habe deswegen an einer privaten studiert. Um mir das leisten zu können, musste ich dreimal die Woche kellnern. Das war eine anstrengende Zeit. Und ich wusste damals sehr genau, dass die Chancen nicht riesig sind, dass ich in diesem Beruf gut arbeiten werde. Oder überhaupt arbeiten werde. Ich habe die Hoffnung gehabt, aber ich war mir nicht sicher. Das auszuhalten ist manchmal sehr mühsam gewesen.
Um noch einmal den Bogen zurück zu «Kidnapping Stella» zu schlagen: wie gut muss man sich mit den Kolleg*innen verstehen, wenn man einen Film zu dritt trägt? Man muss keine private Wellenlänge haben um gut miteinander arbeiten zu können. Aber in einem Film wie «Kidnapping Stella», wo man sehr intensiv aufeinander losgelassen wird und es sehr physisch wird, hilft es sehr, wenn man sich vertrauen kann. Ich würde von mir sagen, dass ich ein rücksichtsvoller Mensch bin, aber bei einer solchen Rolle kann man es eigentlich nicht verhindern, dass man sich wehtut. Zu wissen, dass einem es die anderen nicht übel nehmen, wenn man eine Grenze überschreitet, macht die Arbeit viel leichter.
Über die Figuren in dieser Geschichte erfährt man als Zuschauer relativ wenig. Wie haben Sie sich diesem Entführer angenähert, über dessen Vorgeschichte im Skript kaum etwas vermittelt wird? Jeder Schauspieler und jede Schauspielerin arbeitet anders, aber ich muss für mich wissen, was die Geschichte meiner Rolle ist. Wenn dazu im Drehbuch nichts steht, kreiere ich das für mich. Manchmal in Absprache mit der Regie, denn natürlich hat das eine Konsequenz für mein Spiel. In diesem Fall habe ich mich mit Macht und Machtmissbrauch beschäftigt. Ich habe zum Beispiel «Im Keller“ von Jan Philipp Reemtsma gelesen und überhaupt versucht, mich der Tat eher von der psychologischen Seite zu nähern. Aber auch andere Filme helfen, Musik, natürlich auch das Set selbst, genauso wie das Kostüm.
Tatsächlich tragen Sie in vielen Szenen Masken. Ist es nicht schwer, als Schauspieler der Mimik beraubt zu sein? Wir haben uns damit auseinandergesetzt, wie man spielt, wenn man so ein Ding vor dem Gesicht hat. Wie transportiere ich etwas trotz dieser Masken? Oder ist es gerade spannend, eben nichts zu transportieren – und das Gegenüber im Unwissenden zu lassen.
Statt wie ursprünglich geplant im Kino ist «Kidnapping Stella» nun ab dem 12. Juli bei Netflix zu sehen. Wie finden Sie das? 148 Millionen Menschen auf der Welt bekommen die Möglichkeit, diesen Film zu sehen. Was will ich mehr?
Wie sieht Ihr eigener Medienkonsum aus? Gehen Sie noch ins Kino? Ich gehe ins Kino, wenn ich zuhause bin. Aber ich bin viel unterwegs, deswegen bin ich auch dankbar für viele Streaming-Angebote.
Und auf welchem Gerät wird dann gestreamt? iPad ist das Minimum. Auf dem Telefon, das kann ich nicht, dafür bin ich zu alt. Und damit meine ich nicht meine Sehkraft… Das ist mir wirklich zu klein.
Der Boom der Streamingdienste verändert aktuell die gesamte deutsche Film- und Fernsehbranche. Wie erleben Sie das? Meine Branche erlebt gerade eine echte Erschütterung – und für uns Schauspieler ist das das Beste, was passieren konnte. Deutschland war ja zum Beispiel – so viel wir auch produziert haben – in einer sprachlichen Blase eingeschlossen. Dadurch dass Netflix mit «Narcos» angefangen hat, internationale Produktionen weltweit in einer Fremdsprache auszustrahlen und zu untertiteln, wurden Barrieren eingerissen.
Sie selbst haben schon vor vielen Jahren begonnen, Ihre Fühler ins Ausland auszustrecken … Ich habe vor vielen Jahren schon angefangen, mich international zu orientieren, habe in Frankreich Filme gemacht und in Amerika genauso gearbeitet wie in Brasilien. Diese Entwicklung, die nun gerade stattfindet, ist genau das, was ich gesucht habe. Unser ganzes Leben ist mittlerweile auf die ganze Welt ausgerichtet, meine Wahrnehmung ist eine internationale. Dass meine Arbeit nun – wie im Fall «Kidnapping Stella» – auch so präsentiert wird, ist für mich einfach nur stimmig.
Kommen wir zum Schluss doch noch kurz auf Ihr politisches Engagement, für das Sie auch bekannt sind. Gab es dafür eigentlich eine Initialzündung? Politisches Engagement ist ja nur ein Ausdruck meines eigenen Wertesystems. Aber natürlich gab es den Moment, an dem ich gemerkt habe, dass es da plötzlich eine Form von Popularität gibt, aus der für mich auch eine Verantwortung entstanden ist. Als ich nach Afghanistan gegangen bin, um meinen Soloabend vor Soldaten zu spielen, konnte ich Journalisten fragen, ob sie mitkommen und darüber reden wollen. Oder als Botschafter einer NGO, die Kinderkrankenhäuser in Südafrika finanziert und mitaufbaut, könnte ich Sie mitnehmen, damit Sie über die Situation dort berichten. So etwas ist eine grosse Chance.
Ausserdem liebe ich die Demokratie. Also warum nicht öffentlich darüber sprechen, dass es immer noch Parteien gibt und die die Basis unserer Demokratie sind. Ich würde gerne jeden dazu anregen, dieses System erst einmal auszuprobieren bevor gesagt wird: das funktioniert nicht.
Bis sich wirklich etwas verändert, dauert es allerdings meist frustrierend lange. Wie verhindern Sie Resignation? Wäre meine Frustrationsschwelle niedrig, wäre ich heute auch nicht mehr Schauspieler. Das ist in beiden Fällen ähnlich: der Weg ist nicht einfach, aber wenn man eine grössere Idee hat, die man erreichen will, übersteht man die Momente, in denen es nicht einfach läuft.
Könnten Sie sich denn vorstellen, tatsächlich als Quereinsteiger in die Politik zu wechseln? (lange Pause) Irgendwie würde es mich reizen. Aber ich glaube, ich würde die Schauspielerei sehr vermissen. Deswegen fällt es mir gerade schwer, darauf eine klare Antwort zu geben.
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