Tiziana Gulino: «Ich musste schnell erwachsen werden»
Tiziana Gulino gewann 2014 «The Voice of Switzerland». Nach einer kreativen Auszeit meldete sie sich im Mai mit ihrer Single «Sometimes» zurück, das Album «My Voice» folgt im Herbst. Mit der Mannschaft spricht die 21-Jährige über ihr Coming-out, ihr neues Album und LGBTIQ-Sichtbarkeit.
Tiziana, vor vier Jahren hast du «The Voice of Switzerland» gewonnen. Wie hast du die Zeit seither erlebt? Sehr vielseitig. Einerseits habe ich das Gefühl, dass es erst gestern war. Andererseits scheint es schon ewig her zu sein. Die Musik war stets eine treue Begleiterin, obwohl ich mich auf den Abschluss meiner Ausbildung konzentrierte. Ich habe an meinem neuen Album gearbeitet und im Musical «Ewigi Liebi» mitgewirkt. Es waren wichtige Jahre, um dahin zu gelangen, wo ich heute stehe, sowohl beruflich als auch menschlich.
Setzt man der Gewinnerin einer Castingshow automatisch einen Stempel auf? Das stimmt, obwohl ich mich immer dagegen gewehrt habe. Das Tragische daran ist, dass man sich erst recht beweisen muss, nachdem man das eigentlich schon für die Show getan hat. Ich habe mein Bestes gegeben, um mich nicht vom Druck und den hohen Erwartungen anderer Menschen beeinflussen zu lassen.
In der Zwischenzeit hast du deine Ausbildung zur Fachfrau Gesundheit absolviert. War dir das wichtiger als deine Musik? Mein Lehrbetrieb gab mir die Möglichkeit, für «The Voice» meine Ausbildung zu pausieren und danach wieder zurückzukehren. Mir war schon immer klar, dass ich nicht abbreche, was ich mir vorgenommen habe, und dass ich auch bei einem Sieg zuerst meine Ausbildung zu Ende bringe. Es ist sehr schwer, von der Musik zu leben, daher war es das beste, was ich tun konnte. Mein Job ist ein Rückzugsort, auf den ich immer zurückgreifen kann.
Wie war es, für das Musical «Ewigi Liebi» auf der Bühne zu stehen? Eine tolle Erfahrung, ich habe viel profitiert. Ich habe mich mit vielen Schauspieler*innen auseinandergesetzt und viele Leute kennen gelernt. Klar war es anstrengend. Man muss sich auch motivieren können, um jeden Abend auf der Bühne zu stehen und 100% zu geben. Das Grösste ist aber, wenn man vorne steht und das Publikum am Ende aufsteht – ein einmaliges Gefühl!
Dein neues Album heisst «My Voice». Eine Anspielung auf «The Voice»? Ja. Klar war es bei «The Voice» auch schon meine Stimme. Mein neues Album widerspiegelt aber mehr als nur meine Stimme, sondern auch meine Gedanken und meine Gefühle – alles, was mich in den letzten Jahren beschäftigt hat und mich als Person wachsen liess. Das möchte ich unter die Leute bringen.
Vor allem im Internet kommentierte man mein Aussehen, dass ich doch so nicht singen könne oder keine Modelfigur hätte, die man für die Bühne braucht. Das härtet ab.
Du hast alle Songs selber geschrieben. Was hat dich beschäftigt? Ein grosses Thema waren eben diese hohen Erwartungen, die man an andere hat, die ich in den letzten Jahren zu spüren bekommen habe. Man steht unter einem enormen Druck, so viel zu leisten wie andere und so auszusehen, dass man allen gefällt. Viele Menschen werden dadurch krank oder leiden an Depressionen, die zum Beispiel durch Mobbing entstehen können. Grundsätzlich haben alle Songs auf meinem Album einen Bezug zu meinem Privatleben. Auch das Coming-out ist ein grosses Thema und ich spiele in vielen Songs darauf an. Mit meinem Album will ich den Menschen Mut und Kraft geben und ihnen dabei ein gutes Gefühl geben. Ich war 17 Jahre alt, als ich «The Voice» gewann, und musste schnell erwachsen werden. Vor allem im Internet kommentierte man mein Aussehen, dass ich doch so nicht singen könne oder keine Modelfigur hätte, die man für die Bühne braucht. Das härtet ab.
Woher nimmt man als junge Person die Kraft dazu? Ich hatte schon immer einen starken Charakter und wusste, was ich wollte. Zudem haben mir meine Familie und meine Verwandte einen starken Halt gegeben. Das ist ein grosses Geschenk. Meine Songs entstehen, weil ich so bin, wie ich bin. Wenn ich mich irgendwie verbiegen oder verstecken muss, um kommerzielle Musik zu machen, dann mache ich lieber nur Musik für mich privat. Entweder echt oder gar nicht. Davon handelt auch meine Single «Sometimes», die im Mai erschienen ist. Entweder habt ihr mich so gerne, wie ich bin, oder dann lasst ihr es sein. Menschen setzen sich zu stark unter Druck, um irgendwelchen Idealen nachzueifern.
2016 hast du dich mit deiner Freundin in den Mainstreammedien geoutet. Haben sich die Medien respektvoll verhalten? Sie haben es gut und informativ verpackt, also wirklich nicht schlecht. Die meisten Berichte waren positiv und nicht beleidigend. Natürlich suchen die Medien immer eine spannende Schlagzeile, aber es war stets respektvoll.
War das mediale Coming-out eine Hürde für dich? Nein, eigentlich wollte ich schon bei «The Voice» ehrlich sein, da ich schon damals mit meiner Freundin zusammen war. Meistens setze ich meinen Kopf durch. Doch mein Umfeld war noch nicht bereit dazu und meine Freundin lebte zu dieser Zeit in Italien.
Nach Jahren der Fernbeziehung ist deine Freundin in die Schweiz gezogen. Hast du einen Tipp für erfolgreiche Fernbeziehungen? Uff. Mir ging es während der Fernbeziehung nicht sehr gut, deswegen bin ich kein gutes Beispiel dafür. Zum einen muss man sich mit der Situation abfinden und verstehen, dass es für beide nicht einfach ist. Zum anderen darf man nicht herumnörgeln oder das Vertrauen verlieren, dann klappt es nicht. Ich empfehle, positive Dinge zu sehen und sich ein gemeinsames Ziel zu setzen, worauf sich beide freuen können. Aber wie gesagt, es ging mir nicht so gut dabei. Ich kenne andere, die machen das besser (lacht).
Natürlich suchen die Medien immer eine spannende Schlagzeile, aber es war stets respektvoll.
Oft wird kritisiert, dass Frauen, die Frauen lieben, in der Öffentlichkeit zu wenig sichtbar sind. An der Pride vor zwei Jahren dachte ich: Mein Gott, wir sind so zahlreich! Wo sind all diese Menschen in meinem Alltag, die so sind wie ich? Es ist aber besser geworden. Wenn die Menschen ihre Liebe auf der Strasse ausleben würden, hätten wir kein Problem mit der Sichtbarkeit!
Du singst auf Italienisch und auf Englisch. Gibt es Songs, bei denen du merkst, dass du sie unbedingt auf Italienisch singen musst? Hmm, eine gute Frage. Ich sage mir nicht, jetzt schreibe ich einen Song zu diesem Thema und er muss auf Englisch sein. Es ist vielmehr ein Bauchgefühl, dabei spielen auch die Melodie und der Text eine Rolle. Falsch wäre zu sagen, dass eine Sprache gefühlvoller ist, als die andere, Es ist die Stimmfarbe und das Gefühl in der «Muttersprache» zu singen, die sich leicht verändern, wenn ich auf Italienisch singe.
Wie sehen deine Pläne für den Sommer und den Rest von 2018 aus? Der Sommer ist relativ ruhig. Ich bin für einige Hochzeiten gebucht, da viele meine Balladenstimme mögen. Zudem arbeite ich ein bisschen mehr in der Pflege. Wenn im Herbst dann mein Album rauskommt, möchte ich einige Gigs spielen. Darauf freue ich mich sehr. www.tizianagulino.ch
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