Gruppenmasturbation als Form von «male bonding» für Heteros?
Aus den USA kommt ein Trend für Männer, die «homosoziale Gefühle» ihrer Teenager-Jahre neu beleben wollen – in «Jack-Off-Clubs»
Es gibt scheinbar einen neuen Trend für Männer, die sich selbst als heterosexuell bezeichnen: gemeinsames Masturbieren in sogenannten «Jack-Off-Clubs». Darüber berichtet das Mode- und Lifestyle-Magazin GQ in seiner US-Onlineausgabe.
Über das dort propagierte Phänomen darf man schon ein bisschen staunen, besonders in Zeiten, wo so viel von Heteronormativität als Schreckgespenst geredet wird, als würden sich alle Heteros nur nach Schema X verhalten und nie aus ihrem gesellschaftlich auferlegten Korsett ausbrechen. Sie tun es aber, wie es scheint, und es sind vor allem jüngere Männer, die lockerer mit dem Thema «Sexuelle Orientierung» umgehen. Resultat der weltweiten Queer-Bewegung?
Wir erinnern uns: Laut YouGov-Studie von 2018 identifizieren sich mehr US-amerikanische Männer als je zuvor als bisexuell oder «bicurious» (zu Deutsch: «wiss-bi-gierig»). Laut Studie bezeichnet sich ein Drittel der befragten 18- bis 34-Jährigen als «nicht heterosexuell», ein Plus von 5 Prozent im Vergleich zu 2015.
Die Autorin des neuen Buchs «Nicht schwul: Die homosexuelle Zutat zur Erschaffung des ‹normalen› Mannes» («Not Gay: Sex Between Straight White Men»), Dr. Jane Ward, sagt: «Wir wissen, dass es für Jungs im Teenager-Alter nicht ungewöhnlich ist, gemeinsam zu masturbieren oder sich gegenseitig zu zeigen, wie es geht.» Dr. Ward zitiert einen Bericht aus dem Jahr 1981 des Sexualwissenschaftlers Shere Hite, der damals schrieb, dass 20 Prozent aller Männer in der Pubertät an Gruppenmasturbation teilnehmen würden.
Laut Dr. Ward sind Jack-Off-Clubs deshalb «vielleicht ein Weg für Heteromänner, diese Erfahrung neu zu beleben oder neu die Verbindung zu jener pubertären Homosozialität zu finden, die sie einst so positiv erlebten.»
Heute gibt’s für alle, die dieses homosoziale Gefühl neu erleben wollen bei Tumblr den Suchbegriff «buddy bating». Und es gibt Clubs wie «Rain City Jacks» in Seattle, wo man laut Website «offen und sicher» masturbieren könne in einem «sex-positiven, nicht-diskriminierenden und auf gegenseitigem Respekt basierenden Ambiente».
«The Cakemaker» – zu schwul oder zu hetero?
Der Gründer und Betreiber von «Rain City Jacks», Sean Rosenberg, meint, viele regelmässige Gäste würden seinen Club als «Zufluchtsort vor toxischer Maskulinität» sehen, als Weg, mit anderen Männern ihre am meisten tabuisierten Sehnsüchte ausleben und Selbstliebe erleben zu können, ohne dafür verurteilt zu werden. «Meiner Meinung nach gehört es zum menschlichen Glück dazu, Zuneigung und Verbindung mit anderen auf physische Weise zu erleben.»
Transformative Erfahrung Mancher könnte jetzt einwenden, dass es nicht gerade eine emotionale Bindung sei, wenn Männer zusammen auf einem mit abwischbarer Folie bedeckten Sofa masturbieren. Rosenberg sagt aber, es sei eine «transformative Erfahrung», einen Akt, der normalerweise im Verborgenen stattfinde, der so intim sei und traditionell mit Scham behaftet, in der Öffentlichkeit auszuleben.
Die meisten Männer bei «Rain City Jacks» seien schwul, laut Rosenberg. Aber es sei absolut normal bei den Clubabenden auch «neugierige» Heteros zu sehen. Rosenberg führt eine jährliche Befragung durch und stellte dabei fest, dass 10 Prozent seiner 300+ Clubmitglieder sich als heterosexuell beschreiben, 25 als bisexuell.
«Man kann manchmal erkennen, ob ein Mann hetero ist, wenn er nicht daran interessiert ist, einen anderen Mann zu küssen. Es ist leichter für ihn, sich auf den Schwanz des anderen zu konzentrieren, ohne zärtlich zu werden.» Laut Rosenberg fühlen solche Männer keine «romantische Anziehung», aber: «Wir haben ihnen grünes Licht gegeben, dass es okay ist, den Schwanz von anderen anzufassen und gemeinsam Lust zu teilen.»
Als Antwort auf die Grünes-Licht-Strategie höre Rosenberg oft, die Abende bei ihm seien die ultimative Form von «male bonding».
«Es ist etwas Schönes, wenn zwei heterosexuelle Männer sich in einem Film einen romantischen Kuss teilen.»
Der 10-prozentige Heteroanteil entspricht übrigens den Zahlen bei BateWorld, einer Website, wo Männer Videos hochladen können, auf denen man sieht, wie sie sich einen runterholen – weswegen die Seite auch scherzhaft «Facebook für Masturbatoren» genannt wird.
In einem Bericht über BateWorld heisst es, dort würden sich ebenfalls 10 Prozent der Nutzer als heterosexuell bezeichnen, während 5 Prozent sich nicht festlegen wollten. Diese Zahl verblasst allerdings etwas zwischen den 44.000 schwulen Nutzern. Diese Gruppe stellt 50 Prozent der registrierten User, weitere 30 Prozent identifizieren sich als bisexuell.
In einem Artikel fürs Magazin Slate schreibt Kyle Mustain: «Das sind eine ganze Menge nicht-schwuler Kerle auf einer Webseite für Männer, die sich vor anderen Männern einen runterholen.»
Das sind eine ganze Menge nicht-schwuler Kerle auf einer Webseite für Männer, die sich vor anderen Männern einen runterholen
Angesichts der rigiden Verhaltenscodexe, die männliche Sexualität kontrollieren und nach denen jeder, der einen anderen Mann auch nur kurz lustvoll anschaut schwul sein müsse (bzw. mindestens bisexuell), ist es verblüffend, so viele selbsterklärte Heteros bei BateWorld zu finden. Genauso verblüffend ist es, dass die als heterosexuelle Männermodezeitschrift vertriebene GQ sich des Themas annimmt. Und dabei seinen Lesern sogar das passende im Trend liegende Gleitmittel empfiehlt.
In ihrem Buch «Nicht schwul» hat Dr. Jane Ward den Begriff «bro job» eingeführt, um zu beschreiben, wie Heteromänner miteinander Sex haben, ohne sich dadurch als schwul zu klassifizieren. Ward sagt auch, dass viele Männer Exhibitionisten seien. Vor anderen zu masturbieren gebe ihnen ein Gefühl von Wertschätzung, zum Beispiel, wenn sie Komplimente zur Grösse ihres Schwanzes bekämen. Das ist eine Wertschätzung, auf die sie teils bei ihren Freundinnen vergeblich warteten.
Stärker in der Gruppe Ward berichtet von einem Mann, der regelmässig in Jack-Off-Clubs geht, nachdem seine Freundin ihm gesagt hatte, dass es ihr keinen Spass mache, ihm beim Masturbieren zuzuschauen. «Für diesen Mann ist ein Jack-Off-Club nicht viel anders, als wenn Jungs die Vorderhaube ihres Autos öffnen und Motoren vergleichen. Er sagt selbst, er habe schlicht das starke Bedürfnis, etwas mit anderen Männern zu teilen.»
GQ zitiert Dr. Gloria Brame, eine Sexualwissenschaftlerin: «Menschen fühlen sich immer stärker in einer Gruppe. Es zusammen mit ein paar anderen Jungs zu tun, gibt einem schüchternen Mann die Gelegenheit, sein eigenen wildes Ich auszuleben und den Genuss von Masturbation stärker zu erleben.»
Zwei Drittel der befragten Frauen würden sich nicht auf eine Beziehungen mit einem Mann einlassen, der Sex mit anderen Männern hat(te)
Auch in TV-Serien und Kinofilmen gäbe es einen Wandel in Bezug auf sexuelle Fluidität, die zunehmend als kulturell akzeptabel dargestellt werde, behauptet zumindest GQ. Und die Vorstellung, dass die Sexualität aller Menschen ein Spektrum darstelle – was zurückgeht auch Magnus Hirschfeld – gewinne GQ zufolge neuerlich Zuspruch.
Trotzdem ist der neue «Trend» zu mehr Experimentierfreude bei Heteromännern – unter dem Schlagwort «Heteroflexibilität» – bislang nur eine Randerscheinung. Und während Heteromännern eine lesbische Neigung bei ihrer Freundin entweder egal ist oder sie diese sogar aktiv unterstützen, so sehen Frauen das umgekehrt merklich anders. Nach einer Umfrage des Magazins Glamour von 2016 würden zwei Drittel der befragten Frauen sich nicht (!) auf eine Beziehungen mit einem Mann einlassen, der Sex mit anderen Männern hat(te).
Die Frage ist allerdings, ob die Jack-Off-Club-Männer das gemeinsame Masturbieren als Sex ansehen und somit auch als «Fremdgehen» einstufen.
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