Filmklassiker mit queerer Botschaft

Elsas frostige Gabe macht sie zur Ausgeschlossenen.
Elsas frostige Gabe macht sie zur Ausgeschlossenen.

Der US-amerikanische Unterhaltungsriese Walt Disney hat mit seinen Filmen schon viele Generationen verzaubert. Die Zeichentrickstreifen begeistern aber nicht nur mit ihren Songs und liebevoll gezeichneten Bildern. Oft werben sie auch für mehr Akzeptanz für Andersartige.

Wenn klein Bambi durch den kalten Winterwald irrt und verzweifelt nach seiner totgeschossenen Mutter ruft, dann bleibt beim Zuschauer kein Auge trocken: Ein verwaistes Hirschkalb – das zerreisst einem das Herz! Wenn Erdmännchen Timon und Warzenschwein Pumbaa in «König der Löwen» durch den Urwald tollen und inbrünstig «Hakuna Matata» singen, dann wippt selbst der griesgrämige Grossonkel Olaf mit den Füssen. Und wenn die mutige Mulan mit Hilfe ihrer Freunde kurzerhand das chinesische Kaiserreich vor den hinterhältigen Hunnen schützt, dann fiebert das Publikum mit.

Eines steht fest: Die meisten Animationsfilme aus dem Hause Disney lassen nicht nur Kinderherzen höher schlagen, sondern berühren auch Erwachsene.

Nicht nur schöne Bilder und eingängige Lieder Die Werke aus dem traditionsreichen Entertainment-Multi bestehen aber nicht nur aus tapferen, kühnen Helden, lustigen, liebenswürdigen Tollpatschen oder Märchenprinzessinnen, die über Blumenwiesen hüpfen und beschwingt Lieder trällern. Immer wieder sind die Helden der Geschichten Aussenseiter oder Sonderlinge, die gegen den Strom schwimmen. Charaktere, die bei Filmbeginn ihren Platz in der Welt noch nicht gefunden haben und oftmals darum kämpfen müssen, dass ihre persönlichen Bedürfnisse anerkannt und respektiert werden – sei es seitens der Eltern, sei es seitens der Gesellschaft.

Ein Beispiel ist Arielle, die Meerjungfrau. Sie ist mit ihrem Leben unter Wasser unzufrieden und verspürt den Wunsch, jemand anderes – ein Mensch – zu sein. Ihr Vater ist von diesen Sehnsüchten und Arielles Unternehmungslust alles andere als begeistert und es kommt zum Streit zwischen Vater und Tochter.

Prinzessin Merida aus «Merida – Die Legende der Highlands» kann sich mit den Erwartungen, die an sie gestellt werden, ebenfalls nicht anfreunden. Die Mutter fordert vornehmes, «mädchenhaftes» Verhalten von ihr. Merida selbst aber liebt es zu reiten, durch die Wälder zu streifen und Bogen zu schiessen. Sie beschliesst, ihren eigenen Weg zu gehen, und pfeift auf die uralten Sitten und Gebräuche. Im mittelalterlichen China hadert schliesslich auch Mulan mit dem traditionellen Rollenverständnis und lehnt die Idee ab, von einer Heiratsvermittlerin mit ihrem zukünftigen Ehemann verkuppelt zu werden. Da sie aber ihre Eltern nicht enttäuschen will, fügt sie sich zu Beginn der Geschichte widerwillig ihrem vermeintlichen Schicksal.

Unübersehbare Parallelen Diese Filme zeigen Jugendliche mit Sehnsüchten, die mit den herrschenden Konventionen nicht vereinbar sind. Sie thematisieren den uralten Eltern-Kind-Konflikt und die Frage, wie die Jugendlichen mit den Erwartungen umgehen, die an sie gestellt werden. Während die einen rebellieren, stellen die anderen ihre eigenen Bedürfnisse zurück und unterdrücken ihre Persönlichkeit, um nicht anzuecken. Dass sich viele LGBT-Personen im Verhalten und den Schicksalen dieser Filmheldinnen und -helden wiedererkennen, liegt auf der Hand.

Wer sich selbst ist, findet am Ende sein Glück, mag der Weg dorthin auch steinig sein.

Am Ende der Geschichten – und das ist ein wichtiger Punkt – wendet sich stets alles zum Guten. Die Wirkung dieser Happy Ends wird in der Zeitschrift The Atlantic einleuchtend beschrieben: Dem Zuschauer werde dadurch stets aufs Neue vermittelt, dass Andersartigkeit in Ordnung sei. Tatsächlich können die Filme dahingehend interpretiert werden, dass es sich auszahlt, auf sich selbst und nicht auf «die anderen» zu hören. Dass es richtig ist, entsprechend den eigenen Wünschen und Gefühlen zu handeln. Wer sich selbst ist, findet am Ende sein Glück, mag der Weg dorthin auch steinig sein.

Es ist dies eine positive Botschaft, die in vielen Disney-Filmen mitschwingt. Eine Botschaft, die Balsam für die Seelen vieler Jugendlicher sein dürfte, die sich auf irgendeine Art «anders» und nicht akzeptiert fühlen. Auch den normtreuen Konventionsfetischisten unter den Zuschauern zeigen die Filme etwas auf: Es lohnt sich nicht, die «Freaks» und «Underdogs» zu unterdrücken oder zu schikanieren, denn letzten Endes setzen sie sich durch.

Vier Minuten Queer-Power Der Film «Die Eiskönigin – Völlig unverfroren» aus dem Jahr 2013 gilt als besonders queer. Er dreht sich um Prinzessin Elsa, die schon als kleines Mädchen die Gabe besitzt, Eis, Frost und Schnee zu erzeugen. Eines Nachts verletzt sie versehentlich ihre kleine Schwester mit ihren speziellen Fähigkeiten. In der Folge verlangen die Eltern, dass Elsa ihre Zauberkräfte unterdrückt und verborgen hält. Von diesem Zeitpunkt an führt die Prinzessin ein isoliertes, einsames Leben in ihren Gemächern.

Erst Jahre später, nach einer Reihe unglücklicher Ereignisse, erfährt die gesamte Stadtbevölkerung von Elsas magischem Geheimnis. Aus Angst und Scham verlässt diese die Stadt und flieht in die Berge, wo sich ihr Kummer aber sehr bald in Erleichterung verwandelt. Während Elsa immer höher Richtung Gipfel steigt, stimmt sie den oscarprämierten Song «Let It Go» an. Mit jedem Wort, mit jeder Strophe gewinnt Elsa an Selbstvertrauen und innerer Stärke. «Die Leute durften es nicht wissen, die Leute durften es nicht sehen», singt sie zu Beginn. Sie sei die einsame Herrscherin in einem «Königreich der Isolierung» gewesen. Sie habe versucht, ihre Kräfte unter Kontrolle und geheim zu halten, aber sie habe es nicht geschafft.

Es sind Zeilen, die den tränengetränkten Tagebuchseiten eines verunsicherten schwulen Knaben oder eines zweifelnden lesbischen Mädchens entnommen sein könnten. Und dann schmettert Elsa den Refrain in die prächtige Bergwelt: «Ich lass es raus, ich lass es raus, ich kann es nicht mehr zurückhalten! Ich drehe mich um und knalle die Türe hinter mir zu. Mir ist es egal, was sie sagen werden!» Angesichts solcher Texte überrascht es nicht, dass der Song für viele eine formvollendete Coming-out-Hymne darstellt. Getreu dem Motto: «Ich bin hier, ich bin queer!» Boom! Die volle Gay-Pride-Dröhnung in einem Vier-Minuten-Song.

Aufgeschlossener Betrieb Walt Disney hat aber nicht nur Filme kreiert, die andersartigen Menschen bestärkende Botschaften vermitteln, der Konzern pflegt auch eine LGBT-freundliche Unternehmenskultur. Seit 1991 findet zum Beispiel alljährlich eine mehrtägige Gay-Pride-Veranstaltung in Disney World statt. Der Anlass zieht jeweils zehntausende Besucherinnen und Besucher an. Und seit zwanzig Jahren übernimmt Disney nicht nur die Krankenversicherungskosten ihrer schwulen und lesbischen Angestellten, sondern auch von deren Lebenspartnern. Zuvor waren nur die heterosexuellen Ehefrauen und -männer von Disneys Arbeitnehmenden in den Genuss dieser Vorzüge gekommen. Im Jahr 1995 war das ein Schritt, der bei vielen konservativen Politikern für rote Köpfe und Empören gesorgt hatte.

Positive und negative «Schwulenklischees» Das alles klingt sehr schön, und der Filmgigant kriegt sowohl für sein künstlerisches Schaffen als auch seine betriebsinterne LGBT-Politik ein hell leuchtendes Sternchen ins Heft. Milde kritisiert werden kann höchstens die Tatsache, dass Disney in der Vergangenheit immer wieder auf klischierte schwule Charaktereigenschaften zurückgriff, um Bösewichte darzustellen. So geschehen zum Beispiel bei Gouverneur Ratcliffe im Film «Pocahontas». Ratcliffe achtet ungemein auf sein Äusseres. Er hüllt sich in pinke und violette Kleidung, wobei er gar von einer goldenen Robe träumt.

Er pudert und parfümiert sich gern, und sein langes schwarzes Haar trägt er in Zöpfen, die von roten Schleifen zusammengehalten werden. Darüber hinaus hält er sich einen kleinen, verwöhnten Schosshund, den Mops Percy. Überhaupt wirkt er in seiner Erscheinungsart eher «unmännlich», und seine Machtgier und Feigheit machen ihn nicht wirklich zu einem Sympathieträger erster Güte. Als affektierte und hinterhältige Fieslinge werden etwa auch Scar in «König der Löwen» oder Hades, der manipulative Gegenspieler von Herkules, dargestellt.

Disney sei dies verziehen. Immerhin wurden diese negativ aufgeladenen Persönlichkeiten nie explizit mit Homosexualität gleichgesetzt. Ausserdem sind auch bei beliebten Figuren Eigenschaften zu finden, die typischerweise als schwul gelten. Zum Beispiel beim Erdmännchen Timon und dem Warzenschwein Pumbaa: In «König der Löwen» sind sie die unterhaltsamen, singenden und etwas überdrehten Plaudertaschen mit grossem Einfühlungsvermögen und Herz.

Auch die persönliche Geschichte der beiden Charaktere sei hier erwähnt: Beide verliessen im jugendlichen Alter ihre angestammte Umgebung, da sie sich dort nicht mehr wohl und ausgeschlossen fühlten. In der Fremde spannten die zwei Aussenseiter zusammen und gründeten sozusagen ihre eigene Gemeinschaft im Dschungel. Ein Schurke, wer an dieser Stelle Parallelen zur Formierung von LGBT-Communities zieht!

Kommt der letzte Schritt schon bald? Einen offen schwulen Helden oder eine explizit lesbische Heldin hat Disney noch nicht geschaffen. Bis anhin stand wohl aus kommerzieller Sicht einfach zu viel auf dem Spiel. Gerade in den USA hat sich in den letzten Jahren aber ein bemerkenswerter Wertewandel vollzogen. Dieser fand zuletzt im vielbeachteten Entscheid des höchsten US-Gerichts Ausdruck, wonach homosexuelle Paare neu in allen Bundesstaaten heiraten können.

Insofern dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis ein männlicher Filmheld erstmals keine holde Dame, sondern einen Herzbuben aus den Fängen des bösen Drachen errettet – und ihn am Ende in gewohnter Disney-Manier vor den Traualtar führt. Und wenn der Bräutigam den Bräutigam endlich küssen darf, dann erscheint über der Hochzeitsgesellschaft selbstverständlich ein Regenbogen.

Diese Disneycharaktere sind «queer» Die Internetcommunity ist sich einig: In Disneyfilmen tummeln sich viele queere Charaktere. Ursula

Mit der bösen Hexe aus «Arielle, die Meerjungfrau» ist nicht gut Krebse essen: Sie möchte sich an König Triton rächen, dem Vater von Arielle. Geschaffen wurde Ursula nach dem Vorbild der US-amerikanischen Dragqueen «Divine», die vor allem in den Siebziger- und Achtzigerjahren Erfolge feierte. Leider verstarb sie, bevor sie Ursula ihre Stimmen leihen konnte.

Oaken

Dieser sanftmütige, leicht effeminierte Muskelprotz in «Die Eiskönigin – Völlig unverfroren» betreibt einen Krämerladen in den Bergen. Während er mit Kristoff um den Preis feilscht, ruft er «Hallo Familie» in die Sauna, wo ein grosser Mann mit vier Kindern sitzt. Im Internet rätselt man bis heute, ob Disney damit ein Statement gemacht hat.

Terk

Das Gorillamädchen ist eine gute Freundin von Tarzan und ein mutiger, lauter Raufbold. Sie zeigt keinerlei Interesse am anderen Geschlecht. Damit legt sie Verhaltensweisen an den Tag, die typischerweise mit Lesbischsein assoziiert werden. Ihre englische Synchronstimme wird Terk von der lesbischen Schauspielerin Rosie O’Donnell verliehen.

Timon und Pumbaa

Einige sehen im beliebten Duo aus «König der Löwen» ein positives Beispiel für gleichgeschlechtliche Elternschaft. Tatsächlich kümmern sich das Erdmännchen und das Warzenschwein rührend um den kleinen, schutzlosen Simba, der von zuhause fliehen musste. Et voilà: Walt Disneys erste Regenbogenfamilie!

Genie

Der liebenswürdige Flaschengeist zündet in «Aladdin» ein Feuerwerk an Popkultur-Referenzen. Ausserdem mimt er frisch-fröhlich und ohne mit der Wimper zu zucken auch weibliche Charaktere. Als klischeeschwuler Stylist verpasst er Aladdin ein schickes Outfit. «Du bist mir sehr ans Herz gewachsen», sagt Genie gegenüber Aladdin an einer Stelle im Film.

LeFou

In «Die Schöne und das Biest» wird in einer Schlüsselszene die sexuelle Orientierung von LeFou, dem hinterhältigen Handlanger von Schönling und Bösewicht Gaston thematisiert. LeFou ist ein inniger Bewunderer Gastons, obwohl dieser im Animationsfilm vom 1991 immer seine Wut an ihm auslässt. Laut Regisseur Bill Condon wisse LeFou nicht recht, ob er nur so sein wolle wie Gaston oder ihn am liebsten küssen würde – er wäre verwirrt, wie jemand der gerade realisiert, dass er diese Gefühle hegt. Die Szene zeigt weder einen Kuss, noch eine Umarmung, sondern nur ein keusches Tänzchen mit einem anderen Mann.

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