«Beim Sieg von Dana International sprang ich vor Freude auf und ab»
Der Eurovision Song Contest in Tel Aviv beginnt am Dienstagabend
Wenn diese Woche in Tel Aviv der Eurovision Song Contest über die Bühne geht, kommt man an ihm nicht vorbei: Assi Azar ist einer der vier Moderatoren der Show – und einer der grössten ESC-Fans überhaupt.
Israel hat den ESC schon vier Mal gewonnen, ist aber erst zum dritten Mal Gastgeber. Das erste Mal gewann das Land 1978 in Paris mit Izhar Cohen & The Alpha-Beta und «A-Ba-Ni-Bi», und gleich im Folgejahr in Jerusalem siegten Gali Atari und Milk & Honey mit «Hallelujah». Israel hätte natürlich wieder Gastgeber sein sollen, doch das Land sagte kurzfristig ab: Der Sender IBA sah sich nicht im Stande sah, den ESC zwei Mal in Folge auszurichten. Der niederländische Sender NOS sprang damals ein. 1998 gewann dann Dana International mit «Diva» und zuletzt Netta im vergangenen Jahr in Lissabon. Nun findet der ESC erstmals in Tel Aviv statt.
Assi, der ESC findet zum 3. Mal in Israel statt, aber zum ersten Mal in Tel Aviv. Gute Idee? Mir gefällt das schon deshalb, weil es näher an meiner Wohnung ist. Und dass der Wettbewerb in Tel Aviv stattfindet, fühlt sich für mich natürlich an, weil es ein so bunter und säkularer Wettbewerb ist. Hier geht es um Freiheit und darum, zu sein, wie man ist. Für dìe religiösen Leute in Jerusalem, für die der Samstag ja auch ein Feiertag ist, ist es vielleicht besser so. Ich sehe keine Nachteile an der Entscheidung.
Als Dana International im Jahr 1998 gewonnen hat .. … war ich gerade in der Armee. Und ich war noch nicht geoutet. Die konservativen Politiker Israels waren damals alle gegen sie – eine trans Frau, die unser Land repräsentiert. Ich war also in der Armee, wir schauten den ESC im Gemeinschaftsraum, und ich brannte total für Dana. Als sie dann gewonnen hat, konnte ich nicht an mich halten. Ich sprang vor Freude auf und ab, als hätte ich gewonnen. In derselben Nacht gewann auch ein israelisches Basketball-Team ein wichtiges Spiel. Und immer wenn in Israel etwas großes passiert, laufen alle zum Rabin-Platz und feiern. An dem Abend kam die queere Community kam und die ganzen Sportfans und feierten zusammen. Das war super. Ich sass damals in der Militärbasis und sah es im Fernsehen und dachte: Ich wäre so gerne da! Auch letztes Jahr, als ich in Portugal war, sah ich es wieder im Fernsehen und dachte: Schade dass ich nicht dabei bin. Auch dieses Jahr wird das nichts. Andererseits ist das Tel Aviv Convention Center gar nicht weit weg vom Rabin Square.
Der Song des diesjährigen französischen Teilnehmers Bilal Hassani wurde von Madame / Monsieur geschrieben. Bilal wird in den sozialen Medien massiv homophob und rassistisch beschimpft. Du hast ihm via Twitter Mut zugesprochen und ihn in der LGBTIQ-Familie willkommen geheissen. Seine Geschichte hat mich sehr beeindruckt – wie auch viele andere. Auch die Geschichte von Mahmood, der Italien vertritt, ging ja schon um die Welt. Ein paar italienische Freunde von mir sagen, dass sich einige Politiker in seinen Ruhm sonnen und Kapital aus seiner Teilnahme schlagen wollen. Ich versuche das alles zu lesen und zu verfolgen.
Der ESC ist immer auch eine politische Angelegenheit, oder? Die Politik versucht jedenfalls manchmal, ihn dazu zu machen. Vor ein paar Jahren sagte der Führer eines Landes etwas Abwertendes über die LGBTIQ-Community. Mein erster Impuls war: Für sie stimme ich beim ESC nicht ab! Dann sah ich aber die Performance und fand die richtig gut und dachte mir: Warum soll ich jetzt den Künstler bestrafen? Oder die Bevölkerung des Landes – wegen etwas, das die politische Führung sagt?
Dieses Jahr tritt Kobi Merimi für uns an. Nicht für seine politische Überzeugungen oder die unserer Regierung, sondern für das Land und die Leute. Es gibt Israelis, die wollen Frieden, andere wollen Verhandlungen mit den Palästinensern – es ist komplex. Am besten lässt man politische Überzeugungen aussen vor. Der Wettbewerb ist doch dazu da, dass wir die Musik und die Gesellschaft der anderen geniessen und miteinander auskommen.
Welcher ESC-Sieger der letzten Jahre hat deinen Segen? «Heroes» mochte ich sehr. Der Song und die Schlichtheit der Show auf der Bühne – das war alles perfekt. Auch den ukrainischen Song «1944» fand ich super. Vorher war er mir gar nicht aufgefallen. Mein Mann und ich hören den Song bis heute, ich mag ihren Stil. Und ich habe den deutschen Song letztes Jahr geliebt. Ich glaube, es war das erste Mal, dass Deutschland einen so überzeugenden und emotionalen Song geschickt hat. Verrückt oder? Man hört über 40 Songs und eins bleibt hängen.
Der ESC beeinflusst meine Playlist jedes Jahr, immer kommen neue Songs dazu. Beim israelischen Vorentscheid «Rising Star» gibt es jedes Jahr Leute, die einen Song nicht verstehen oder glauben, dass er nicht zum Contest passe. Das stimmt nicht. Es gibt keinen bestimmten ESC-Sound. Netta war total anders als der portugiesische Gewinnersong Salvador Sobral. Und dieser war wiederum total anders als «1944» und als «Heroes». Es geht jedes Jahr darum, einzigartig zu sein und hervorzustechen.
Der 2017er Gewinner aus Portugal, Salvador Sobral, hat sich nach seinem Gewinn kritisch über einige ESC-Teilnehmer geäussert, über Schweden zum Beispiel. Über Netta auch. Vor dem ESC hatte er gesagt, dass das keine Musik sei, sie dürfe nicht gewinnen. Einerseits gut – das ist seine Meinung, die ich respektiere. Andererseits finde ich Netta eine tolle Performerin. Und es gefiel mir, dass sie, die von Sobral so stark kritisiert wurde, dann gewonnen hat. Für uns war der Tag nach dem ESC-Sieg wie ein nationaler Feiertag. Schon der Vorentscheid hatte den Einschaltquotenrekord gebrochen.
Nun moderierst du die beiden Halbfinal-Shows und das Finale. Was genau wird dein Job sein? Machst du die Interviews im Green Room? Ja, den Green Room mache ich auch, aber es gibt noch was ganz Grosses, das ich nicht verrate. Ich will nicht nur moderieren. Also sagte ich dem Regisseur der Show: Wenn du was Verrücktes, Wildes machen willst, lass mich es tun.
Du bist eine echte ESC-Fachkraft: Als Moderator von «Rising Star» bist du seit Jahren am Vorentscheid beteiligt. Wir Israelis hatten ein paar harte Jahre mit unseren Songs beim ESC. Nachdem die Halbfinals eingeführt worden waren, sind wir oft nicht mehr ins Finale gekommen. Aber dann begann die Kooperation mit der Vorentscheidungsshow «Rising Star». Seitdem waren wir immer im Finale – dreimal hintereinander und beim vierten Mal haben wir mit Netta gewonnen.
Als Dana International im Jahr 1998 gewonnen hat . . . . . . war ich gerade in der Armee. Und ich war noch nicht geoutet. Die konservativen Politiker Israels waren damals alle gegen sie – eine trans Frau, die unser Land repräsentiert. Ich war also in der Armee, wir schauten den ESC im Gemeinschaftsraum, und ich brannte total für Dana. Als sie dann gewannen, konnte ich mich kaum halten. Ich sprang vor Freude auf und ab, als hätte ich gewonnen. In derselben Nacht gewann auch ein israelisches Basketballteam ein wichtiges Spiel. Und immer, wenn in Israel etwas Grosses passiert, laufen in Tel Aviv alle zum Rabin-Platz und feiern. An dem Abend kam die queere Community und die Sportfans und feierten zusammen. Das war super. Ich sass damals in der Militärbasis und sah es im Fernsehen und dachte: Ich wäre so gerne da! Auch letztes Jahr, als ich in Portugal war, sah ich es wieder im Fernsehen und dachte: Schade, dass ich nicht dabei bin. Auch dieses Jahr wird das nichts. Andererseits ist das Tel Aviv Convention Center gar nicht weit weg vom Rabin-Platz.
Dann nimm doch auch Madonna mit, wenn du hingehst. Damit wird natürlich ein Traum wahr! Ich moderiere den Eurovision Song Contest, und dann tritt Madonna dort auf!
Du findest es eine gute Idee? Warum denn nicht? Wer würde Madonna da nicht sehen wollen? Als Justin Timberlake beim ESC-Finale in Schweden auftrat, fand ich es grossartig Und Madonna ist schliesslich unser aller Queen. Sie hat eine Verbindung zu unserer Religion, auch wenn sie nicht jüdisch ist. Ich freue mich da total drauf.
Die Gage ist mit einer Millionen Euro recht deftig. Ich glaube nicht, dass sie es wegen des Geldes macht. Sie hat die Wichtigkeit des ESC erkannt. Als Ort, wo sie ihre Musik einem grossen Markt präsentieren kann.
Der ESC findet zum dritten Mal in Israel statt, aber zum ersten Mal in Tel Aviv. Eine gute Idee? Mir gefällt das schon deshalb, weil es näher an meiner Wohnung ist. Und dass der Wettbewerb in Tel Aviv stattfindet, fühlt sich für mich natürlich an, weil es ein so bunter und säkularer Wettbewerb ist. Hier geht es um Freiheit und darum, zu sein, wie man ist. Für die religiösen Leute in Jerusalem, für die der Samstag ja auch ein Feiertag ist, ist es vielleicht besser so. Ich sehe keine Nachteile an der Entscheidung.
Auf deinem Handgelenk sehe ich ein Tattoo, drei «A»s. Wofür stehen die? Assi, mein Mann Albert und Amos, unser Hund. Das ist relativ neu. Ich habe auch ein Niels-Holgersson-Tattoo. Das war meine Lieblingssendung als Kind.
Wolltest du als Kind schon zum Fernsehen? Ich wollte immer Schauspieler werden. Ich war schwul, nicht geoutet, und irgendwie dachte ich, Schauspieler sind immer schwul. Dann ging ich zu Castings und musste irgendwelche Szenen mit Mädchen spielen. Und immer dachte ich: Ich betrete den Raum, und alle wissen direkt, dass ich schwul bin. Ich war nicht besonders gut.
Sagt wer? Sage ich. Man kann diesen Job nur mit absolutem Selbstvertrauen machen. Man muss an sich glauben. Als ich für die erste Moderation bei einem Casting vorsprach, kriegte ich den Job direkt. Da wusste ich: Ich werde nicht Schauspieler. Ich werde Fernsehmoderator, und zwar für den Rest meines Lebens. Da war ich 24.
Was war deine erste Show? Das war «Exit», eine Sendung für Kinder und Jugendliche. Es war ziemlich kontrovers und es gab viele Beschwerden. Einer der Moderatoren zeigte in der Show seinen nackten Hintern. Wir fanden das lustig . . . aber nun ja, es war eine Show für Minderjährige. Wir gingen immer an die Grenze.
Warst du da schon geoutet? Nach sechs Monaten «Exit» dachte ich: Es geht in der Show darum, authentisch zu sein und niemandem etwas vorzuspielen. Einen Monat bevor ich diese Show bekam, küsste ich das erste Mal einen Mann – mit 24. Erst erzählte ich es meinen Eltern, und ein halbes Jahr später hatte ich mein öffentliches Coming-out. Ich wollte mein Publikum nicht anlügen. Ausserdem gab es Reporter*innen, die irgendwie rausbekommen hatten, dass ich schwul bin. Sie riefen mich an: «Wenn du uns kein Interview gibst, machen wir das öffentlich.» Und ich wollte nicht, dass jemand diese Macht über mich hatte. Ich gab dann einer Zeitung ein Interview und outete mich.
Wie kam das bei deinem Publikum an? Ich habe unglaublich unterstützende Reaktionen bekommen, obwohl mir Freunde und mein Agent davon abrieten. «Tu es nicht! Das ist Israel! Die Leute sind so religiös, das wird deine Karriere killen!»
Aber ich bin impulsiv. Ich tat es, und meine Karriere hob erst so richtig ab. Die meisten Zuschauer*innen und Kolleg*innen verhielten sich absolut super. Dass ich schwul bin, war nie ein Problem. Der Sender macht mir nie Vorschriften. Einmal schickte ein Knesset-Abgeordneter einen Brief an meinen Boss, er solle mich rauswerfen. Wegen irgendeiner Äusserung von mir bei «Big Brother» über einen männlichen Teilnehmer, den ich gut fand. Aber beim Sender ignorierten sie es einfach.
Du hast zwei Dokus gemacht über dein Coming-out. Ja, eine aus der Sicht der Eltern: Was macht das Coming-out des eigenen Kindes mit ihnen? Die andere handelt von meiner Hochzeit, verbunden mit dem Thema Religion. Wir sind in unserer Familie nicht religiös, aber wir glauben an Gott. Es ging darum: Wie sieht Gott mich als schwule Person, die nun heiratet? Und über meinen Vater, der erst nicht sicher war, ob er zur Hochzeit kommen würde. Über den Prozess, den er durchmachte.
Ihr habt in Spanien geheiratet. Genau, in Barcelona. In Israel können wir nicht heiraten. Und in Spanien haben wir mit 150 Leuten gefeiert, meine Familie und meine Freunde sind rüberflogen. Eigentlich wollten wir danach auch in Israel ein grosses Fest feiern, aber wir waren hinterher viel zu erschöpft!
150 Gäste sind nicht wenig. Ach, für Israel ist das nichts! Unter 400 Gästen ist es keine richtige Hochzeit!
Wollt ihr Kinder haben? In Israel wird ja vielleicht dieses Jahr die Leihmutterschaft für schwule Paare möglich. Wir machen es wohl trotzdem mit einer Leihmutter in den USA. Selbst wenn es in Israel bald erlaubt wird: Es wird eine sehr lange Schlange geben, und ich will mit 42 Vater sein. Israel ist ein kleines Land. Es warten jetzt schon so viele Menschen. Wir machen es also auf die teure Art.
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