«Einfach nur leben» – Welche Detox-Blüte bist du?
So machen es Queers wie Elliot Page und Felix Jaehn
Willkommen im Frühling, in der Jahreszeit des Ausmistens. Verspürst du auch den Drang, dich von Ballast zu befreien, weisst aber nicht, wo du anfangen sollst? Bei den leidenden Darminnenwänden, den Leberzellen oder Kleiderschränken?
Damit du gleich Bescheid weisst: In diesem Text ist nicht alles bierernst gemeint. Denn Humor beflügelt jedweden Anlauf in ein leichteres Leben. So auch, als wir aufbrachen, um für dich frühlingsfrische Detox-Tipps zu entdecken.
Wir drangen immer tiefer ein in eine Welt namens «Ich esse, also bin ich». Überall wucherten wilde Weisheiten. Schliesslich blieben wir stecken im Detox-Dogma-Dschungel. Es ging weder vor noch zurück. Ein vernunftgeleitetes Durchkommen? No way. Dafür verwirrende Trampelpfade: bitte nach rechts zur Saftkur «Du darfst nur trinken» oder nach links zum Ohne-Alkohol-Kurs «Trinke keinen Tropfen». Überall Stolpersteine mit fordernden Parolen: 7-Tage-Kein-Kaffee, 21-Tage-Kein-Zucker oder 30-Tage-Vegan.
Doch wir hatten Glück und trafen drei weise Einheimische, die aussahen wie Meryl Streep und Emma Thompson und Jamie Lee Curtis, und sie riefen aus ihren Hütten heraus: «Seid nicht so dumm wie wir, verschwendet nicht so viele Gedanken an den idealen Körper, folgt eurem Instinkt.»
Unser Instinkt lotste uns schliesslich zum allwissenden Detox-Entscheidungsbaum. Was für eine Pracht. Er trug fünf Blüten, jede benannt nach einer queeren, detoxenden Berühmtheit.
Für dich haben wir den Baum mitgenommen und gepflanzt. Seine Blüten werden dir offenbaren, welche Entgiftungsrezeptur zu dir passt. Dafür musst du dich den Fragen des Baumes stellen und dich durch sein Astwerk hangeln. Falls du hängen bleibst: Keine Panik, dein gesunder Menschenverstand wird dich retten. Und möge Humor dir deinen Weg versüssen.
Die alkoholfreie Kristen Stewart Ein Glas ist kein Glas. Komm schon, eins haben wir immer noch genommen. Sätze wie diese sind es, die uns vom Schwips in den Rausch begleiten. Manch lockerer Abend verwandelt sich in eine morgens vergessene Nacht. Kennst du? Da bist du nicht allein. Eskapaden ereilen regelmässig auch Stars und Sternchen, die sich mitunter häufiger vom Alkohol abwenden. Die Schauspielerin Kristen Stewart etwa warf die Flaschen zu ihrem Dreissigsten fort, um ihre Zeit sinnvoller zu nutzen.
Nie wieder Alkohol – ist dir das zu extrem? Wir verstehen dich. Wie wäre es mit ersten kleinen Schritten, mit alkoholfreien Tagen oder Wochen zwischendurch, nicht nur monatskonzentriert wie im «Dry January»? Deine Vorteile: Du weisst am nächsten Morgen, was du letzte Nacht getan hast. Du führst bessere Gespräche. Du nimmst bewusst wahr, was du erlebst. Der Entschlackungseffekt ist immens. Du hast mehr nutzbare Zeit, weil dir kein Kater stundenlang durch den Kopf miaut. Und sofern du willst, kannst du mit einem alkoholfreien Matedrink dennoch die Nacht durchtanzen.
Willst du etwas tiefer ins alkoholfreie Glas schauen, hier ein paar prickelnde Tipps: die Bücher «Nüchtern – Über das Trinken und das Glück» von Daniel Schreiber und «Unabhängig. Vom Trinken und Loslassen» von Eva Biringer oder der Podcast «Ohne Alkohol mit Nathalie». Ein Hoch auf dich!
Der vegane Elliot Page Vor 20 Jahren wurden Vegetarier*innen gemobbt, vor 2 Jahren die Veganer*innen. Dieses Blatt hat sich gewendet. Mittlerweile werden Fleischessende mental geschlachtet: Warum verschlingst du tote Tiere? Weisst du, dass du so viele Treibhausgase verursacht wie zwei Veganer*innen?
Hirnloses Fleischfuttern ist passé und vegetarische Ernährung ist streng genommen bereits old-school, also mach’s doch gleich vegan. Vorbilder gibt es zuhauf. Da wäre Schauspieler Elliot Page, der sich 2020 als trans outete und – was viele nicht wissen – bereits 2014 neben Jared Leto zum Sexiest Vegan gekürt wurde (vom Tierschutzverein Peta). Für diesen Sommer hat er übrigens seine Autobiografie angekündigt.
Da wir Menschen Gewohnheitstiere sind, empfehlen Ernährungsberater*innen Folgendes: Stelle zuerst eine Mahlzeit um, veganisiere zum Beispiel das Frühstück, bis es dir in Fleisch und Blut übergegangen ist. Und dann mache beliebig Jagd auf deine restlichen Mahlzeiten.
Brauchst du noch Gründe für deinen veganen Versuch? Gern: Minus tierische Fette plus sekundäre Pflanzenstoffe und Ballaststoffe ergibt weniger Risiko für weitverbreitete ernährungsabhängige Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes Typ 2, Bluthochdruck oder Krebs. Veganer*innen berichten, dass sie sich fitter und leistungsstärker fühlen. Und ganz wichtig: Du bist lieb zu Tieren und dem Planeten.
Zweifelst du noch, ob vegan überhaupt schmeckt? Wage einen Blick ins World Wide Web: Darin wimmelt es von veganen Rezepten. Besonders verführerisch geht es auf Instagram zu: Da kratzen scharfe Messer über koreanische Pancakes.
Die cleane Miley Cyrus Pfui, du schmutziges Ding, du. Was du so alles runterschluckst. Auweia. Retten kann dich nur noch Miley Cyrus und ihr cleaner Lifestyle. Falls du jetzt an unserem Verstand zweifelst, entspann dich. Unserem IQ geht es prächtig. Es ist wahr: Die rauschmittelerprobte Sängerin ist sauber, sogar in vielerlei Hinsicht, nicht nur bezüglich Drogen, sondern auch ernährungstechnisch.
So machst du es Miley nach: Ab sofort siehst du Fast Food, industriell hergestellte Lebensmittel inklusive Zucker und gesättigte Fettsäuren nur noch aus der Ferne. Deine neuen besten Freunde heissen: Gemüse, Früchte, Nüsse, Kerne, Samen, Kräuter, Fisch, Fleisch, Eier und gesunde Fette. Du isst nur noch unbehandelte Lebensmittel – so wie einst Steinzeitmenschen. Befürworter dieser Ernährung argumentieren, dass es noch heute Urvölker gebe, die unter ähnlichen Bedingungen wie in der Steinzeit lebten und insgesamt weniger an Übergewicht, hohem Blutdruck und hohen Cholesterinwerten litten.
Stellen sie hingegen ihre Ernährung nach westlichen Richtlinien um, verschlechtere sich ihr Gesundheitszustand.
Falls du trotz diesen sauberen Steinzeitargumenten weiterhin schmutzige Gedanken haben solltest, dann leck doch ein Mammut oder zieh dir das neue Album von Miley rein («Endless Summer Vacation»). Wer weiss, vielleicht rettet es dich in deinem Unterbewusstsein.
Der digitalfreie Felix Jaehn Du wolltest auf Grindr bloss kurz schauen, ob dir Analconda geantwortet hat, aber Stunden später scrollst du noch? Du zählst Instagram-Herzchen zum Einschlafen? Dann musst du jetzt stark sein und darauf vertrauen, dass diese beiden Wörter nur das Beste für dich wollen: Stopp Screening!
Never ever? Ach, komm schon! Was Ed Sheeran und Ariana Grande schaffen, schaffst du doch mit links. Auch der DJ und Musikproduzent Felix Jaehn verabschiedete sich einst für acht Wochen in den handyesken Flugmodus, um «einfach nur zu leben».
Hast du Angst, etwas zu verpassen? Paradoxerweise gibt es Apps, die helfen, den Handykonsum zu kontrollieren. Besser finden wir: Schiebe deine «gefährlichsten» Apps auf deinem Homescreen in die hinterletzte Ecke (selbst getestet – funktioniert). Führe Offline-Zeitfenster ein. Treffe echte Menschen an echten Orten – ungefiltert, beschissen ausgeleuchtet und Auge in Auge.
Falls du trotzdem im Social-Media-Rabbit-Hole verschwindest – wir haben dich gewarnt: Neurowissenschaftler*innen an der University of North Carolina haben bei 12- bis 15-Jährigen nachgewiesen, dass sich ihr Gehirn verändert. Hatten sie ihre Social-Media-Feeds über viermal am Tag gecheckt, aktivierten sich langfristig drei Hirnregionen übermässig: belohnungsverarbeitende Schaltkreise, die auch auf Erfahrungen wie Geldgewinne reagieren; Hirnregionen, die die Aufmerksamkeit bestimmen, und der präfrontale Kortex, der bei der Regulierung und Kontrolle hilft. Eva H. Telzer, eine der Autor*innen der Studie, spricht von «ziemlich dramatischen Veränderungen in der Art und Weise, wie das Gehirn reagiert». Du bist nicht zwischen 12 und 15 Jahre alt? Ach, mach doch, was du willst. Dann kann dich nur noch die Netflix-Serie «Detox» retten, in der zwei französische Cousinen ihre Handys wegschmeissen.
Der ausmistende Bobby Berk Wenn der Entscheidungsbaum dich hierhergeführt hat, braucht deine Wohnung eine Entschlackungskur. Das heisst übersetzt: Entscheide dich schnell. Denke beim Ausmisten nicht zu lange nach. Insgeheim weisst du, ob du etwas behalten willst oder nicht, du musst dich bloss schnell und intuitiv entscheiden.
Brauchst du noch Inspiration? Dann zieh dir staffelweise «Queer Eye» auf Netflix rein und schau, was Lifestyle-Experte Bobby Berk dort zaubert. Oder du zeichnest auf ein Blatt Papier alle Räume auf, die du einer Detox-Kur unterziehen willst. Gib jedem Raum eine Note von 1 bis 6. Je tiefer die Zahl, desto grösser der Entschlackungsbedarf. Ergänze zu jedem Raum das Datum, wann du fertig sein willst, und schätze die Zeit, die du dafür brauchst.
Nun gehe von Raum zu Raum und nutze den Drei-Boxen-Trick: Er zwingt dich, für jeden Gegenstand eine Entscheidung zu treffen. Beschrifte dafür drei Boxen mit: «behalten & brauchen» für alles, was du behalten möchtest, weil du es regelmässig brauchst oder mit einer Erinnerung verbindest; «weg damit» für alles, was du sicher loswerden möchtest (denk nicht nur an Gegenstände für den Abfall, sondern auch an solche zum Verschenken, Spenden oder Verkaufen); «lagern» für Dinge, die du behalten möchtest, aber nur selten brauchst. Beschrifte sie ordentlich und lagere sie, damit du sie schnell wieder findest.
Hüte dich vor dem «Vielleicht»-Stapel. Er ist das Ende jedes Detox-Anfangs. Entscheide schnell, intuitiv und frage dich bei jedem Stück: «Macht es mich glücklich?»
Interview mit Sebastian Süß
Sebastian Süß ist selbstständiger veganer Ernährungsberater, Gesundheitscoach und HIV-Aktivist.
Ernährung ist zu einer Art Religion geworden. Zwischen Vegan-Videos, Detox-Challenges und Pseudogetreide-Hype hat der Satz «Du bist, was du isst» eine neuartig-schwergewichtige Bedeutung erlangt. Sebastian, was bist du und was isst du? Biologisch betrachtet, stimmt dieser Satz ja sogar, weil das, was wir essen, tatsächlich zu einem Teil von uns wird. Ich selbst lebe und esse vegan. Und ja, es ist auch für mich mehr als bloss Ernährung. Vegan ist meine Lebenseinstellung, die vor etwa fünf Jahren schrittweise in mir herangereift ist und welche ich nun für mich selbstverständlich lebe.
Ist vegane Ernährung die beste? Sollten wir es dir alle nachtun? Wenn man es rein gesundheitlich betrachtet, kommt es auf die Art und Weise an. Du kannst dich auch mit Wodka und Kartoffelchips vegan ernähren. Erst wer sich vollwertig vegan ernährt und das Vitamin B12 supplementiert, hat gesundheitlich eine der besten Formen gewählt. Das bestätigen Studien über Zivilisationskrankheiten (Anm. d. Red.: etwa die Adventist Health Study 2 sowie die EPIC-Oxford Studie). Mich würde es auf jeden Fall freuen, wenn es mir alle nachtäten, weil wir dann viele mehr wären, die Erde und Klima schützen. Jeder einzelne Mensch könnte dadurch dazu beitragen, das enorme Leid der ausgebeuteten Tiere zu vermeiden.
Wie stark verbreitet sind Körperwahn oder Essstörungen bei queeren Menschen? Bei Menschen, die sich viel in den Sozialen Medien bewegen, ist Körperwahn sehr präsent. Gerade junge Personen sind anfällig dafür, wenn sie täglich vermeintlich perfekte Leben und Körper sehen, 90-60-90-Masse, Sixpacks, Bizepsberge. Das befeuert den Drang nach Selbstoptimierung. Ob queere Menschen davon eher betroffen sind, kann ich nicht untermauern.
Wo ziehst du die Grenze zwischen Selbstdisziplin und Selbstquälerei? Was ist noch gesund? Ernährung ist mir keine Quälerei, da ich sie aus meinen Werten ableite. Ich finde, dass sie alltagstauglich und sozialverträglich sein sollte. Wenn ich etwa konsequent auf Industriezucker und Fertigprodukte verzichte, kann es schwer werden, mit Freund*innen essen zu gehen. Zum Glück bekommt man mittlerweile in fast allen Restaurants zumindest in grösseren Städten auch vegane Gerichte. Selbstdisziplin ist etwas Gutes, solange man sich wohlfühlt und reflektiert.
«Ich rate meinen Kund*innen von Sport ab.» «Mit diesem Pulver kannst du essen, was du willst, und du nimmst trotzdem ab.» Im Web schreien Ernährungs-Expert*innen kreuz und quer. Was ist Humbug und was hilfreich?
Solche Aussagen sind blosses Marketing, um auf das Produkt aufmerksam zu machen. Es sind ja auch Sätze, die Menschen insgeheim hören wollen. Aber mit gesundem Menschenverstand erkennt man Humbug. Höre in dich hinein, sei ehrlich zu dir selbst und akzeptiere, dass Gesundheit ein Zusammenspiel ist aus Bewegung, Ernährung, Erholung, mentaler Gesundheit und der eigenen Sinnfrage. Es gibt nicht die eine Zauberformel.
Der Frühling ist da und weckt den Wunsch nach mehr Leichtigkeit. Hast du einen ultimativen Tipp? Ja, am besten pickst du dir aus allen Detox-Typen etwas heraus, was zu dir passt. Der Impuls aufzuräumen im Körper, Geist und in der Wohnung ist natürlich, eine Art Neustart. Ich selbst mache zudem eine Kur für drei bis sechs Tage mit selbstgepressten Säften. Eine Wohltat für den Darm – und für die Psyche, denn sie mag es auch, wenn du etwas bewusst für deine Gesundheit tust.
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