Ehe für alle – Spanische Nachhilfe für die Schweiz

Was Spanien seit 15 Jahren hat, fehlt hier bis heute

Bild: iStockphoto
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Vor 15 Jahren öffnete Spanien als weltweit drittes Land die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Der damalige Justizminister Juan Fernando López Aguilar teilt seine Erfahrungen mit der Schweizer Community und sagt: Es braucht viel Entschlossenheit und politischen Willen.

2015 ging eine auf den ersten Blick unscheinbare Schlagzeile um die Welt: Der damalige Ministerpräsident Spaniens, Mariano Rajoy, tanzte als Gast auf der Hochzeit seines Parteikollegen Javier Maroto. Das Ganze wäre auch nicht sonderlich spannend gewesen, hätte es sich dabei nicht um eine Eheschliessung zwischen zwei Männern gehandelt und bei Rajoy um einen der grössten Gegner*innen der Ehe für alle in Spanien. Seine Partei, der konservative Partido Popular, hatte die Eheöffnung mit allen Mitteln bekämpft und sogar beim Verfassungsgericht geklagt. Vergebens.

Geschlossene Grenze wird für Paare zur Nervenprobe

«Das ist doch der Inbegriff des gesellschaftlichen Wandels», sagt Juan Fernando López Aguilar im Rahmen seines Besuchs in Bern im Februar. Es ist eine Anekdote, die der spanische Politiker gerne erzählt. Als damaliger Justizminister der linken Regierung von José Luis Rodríguez Zapatero stellte er 2004 den Entwurf zur Öffnung der Ehe vor, ein Jahr später setzte sich das Unterhaus gegen den Senat durch und nahm das Gesetz an.

Fünfzehn Jahre später haben nach den Niederlanden, Belgien und Spanien 25 weitere Länder den Schritt gewagt und die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet. López Aguilar ist heute Mitglied des Europäischen Parlaments und Vorsitzender des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres. In Bern organisierte die spanische Botschaft zwei Events, an denen der 59-Jährige vor geladenen Politiker*innen und Vertreter*innen von LGBTIQ-Organisationen zur Ehe für alle referierte, die gegenwärtig vom Schweizer Parlament behandelt wird.

Als Justizminister von Spanien stellte Juan Fernando López Aguilar 2004 den Gesetzesentwurf zur Eheöffnung vor.
Als Justizminister von Spanien stellte Juan Fernando López Aguilar 2004 den Gesetzesentwurf zur Eheöffnung vor.

Muss Spanien in der Schweiz Entwicklungshilfe leisten? López Aguilar winkt lachend ab. «Keineswegs», sagt er. «Es liegt an der Schweiz, sich der Herausforderung zu stellen und sie zu meistern. Das setzt viel Entschlossenheit und politischen Willen voraus. Ich kann lediglich die Erfahrung Spaniens teilen.»

Späte Ankunft in der Demokratie López Aguilar betont, dass die Öffnung der Ehe in Spanien dem Volkswillen entsprach. Im April 2005 – wenige Monate vor der parlamentarischen Abstimmung – veröffentlichte das öffentliche Forschungsinstitut Spaniens CIS eine Meinungsumfrage, in der sich 66 % der Spanier*innen für die Ehe für alle aussprachen. Vergleichbare Umfragewerte in der Schweiz liessen auf sich warten. 2015 befürworteten gemäss Meinungsforschungsinstitut Léger 54 % der Befragten die gleichen Eherechte für homosexuelle Paare. Im Februar 2020 lag die Zustimmung laut gfs bei 67 % für die Ehe für alle inklusive Adoptionsrecht und Zugang zu Fortpflanzungsmedizin.  

Wie lässt sich die grosse Unterstützung der mehrheitlich katholisch geprägten Bevölkerung Spaniens erklären, und das bereits vor 15 Jahren? López Aguilar verweist auf das Regime von Diktator Francisco Franco, das den Bürger*innen bis in die Siebzigerjahre persönliche Freiheiten entzog und sie einer strengen Zensur unterwarf. Den Schritt zur konstitutionellen Demokratie, den viele Länder nach dem Zweiten Weltkrieg gemacht hatten, musste das Land im Eiltempo nachholen. «Das Verständnis unserer pluralistischen Identität, die Legalisierung der Scheidung und der Abtreibung – das alles kam in Spanien sehr spät», sagt er. «Es war also an der Zeit, dass Spanien mit der Ehe für alle eine Pionierrolle einnahm. Das Land wollte eine Avantgarde sein.» 

Kathrin Bertschy: Bei Ehe für alle «zu viel Zeit verzögert»

Selbst das Königshaus sagte Ja Das Eiltempo in die Zukunft war jedoch nicht nur dem Partido Popular ein Dorn im Auge. Mit Unterstützung der katholischen Kirche und konservativer Medien machte er Stimmung gegen die geplante Eheöffnung, im Parlament führte er heftige Diskussionen. Die Partei warf López Aguilar vor, Politik für Minderheiten zu betreiben. «Ich widersprach», sagt er. «Steht die Ehe diskriminierungsfrei allen offen, so profitiert die ganze Gesellschaft davon.»

López Aguilar hatte auch den König, damals der 77-jährige Juan Carlos I, auf seiner Seite, dessen Aufgabe es ist, vom Parlament verabschiedete Gesetze zu unterschreiben. Der Partido Popular hatte dem Monarchen die Taktik des belgischen König Baudouins nahegelegt, der 1990 für zwei Tage abdankte, damit er die Aufhebung des Abtreibungsverbots nicht absegnen musste. «Juan Carlos liess sich nicht auf die Tricks des Partido Popular ein», sagt López Aguilar. Der König habe seine verfassungsrechtliche Verpflichtung wahrgenommen. «Er sagte ‹Ich bin der König von Spanien und nicht von Belgien›, und unterschrieb das Gesetz.»

«Der Kampf für gleiche Rechte dauert ein Leben lang.»

Zuspruch für die Schweizer Community López Aguilar ist überzeugt, dass die Ehe für alle einen beachtlichen Teil zur Akzeptanz von LGBTIQ-Menschen im spanischen Alltag beigetragen habe. Das zeige nicht zuletzt auch die Teilnahme Rajoys an einer gleichgeschlechtlichen Eheschliessung. «Die Pride in Madrid ist zu einem grossen Volksfest geworden, an dem die gesamte Stadtbevölkerung teilnimmt», sagt er. «In meiner Generation war es für homosexuelle Personen selbstverständlich, die sexuelle Orientierung zu verstecken. Dem ist heute nicht mehr so.»

Gegenüber den versammelten Gästen in Bern räumt López Aguilar ein, dass Homophobie in Spanien noch längst nicht ausgerottet sei. «Der Kampf für gleiche Rechte dauert ein Leben lang», sagt er. «Man wird es immer wieder mit Rückschlägen zu tun haben. Daher muss man stets wachsam und reaktionsfähig sein.»

Im Prozess der Eheöffnung in der Schweiz ermutigt er die anwesenden Politiker*innen und Aktivist*innen, nicht lockerzulassen und den Druck aufrechtzuerhalten. «Schmiedet Allianzen und findet eine Mehrheit. Überzeugt andere, indem ihr selbst überzeugt auftretet. Falls es zu einem Referendum kommt, geht auf die Strasse und betreibt Wahlkampf», sagt er. Schlussendlich habe es eine offene und demokratische Gesellschaft selbst in der Hand, ihre eigenen Forderungen zu diskutieren und in der Politik umzusetzen. «Ich bin mir sicher, dass die Schweiz mehr als bereit dazu ist.»

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