Dragkings – raus aus der Nische!
An sieben Standorten in München
Im Mai findet erstmals das internationale Festival «go drag! munich» statt. Es feiert Drag von weiblichen, trans und nicht-binären Performer*innen – ausgerechnet in München, wo dies von Rechten zum Feindbild erklärt wurden, weil sie in der Stadtbücherei Kindern Geschichten vorlasen.
Von Bo Wehrheim
Sommer 2023: Im Münchner Nobelviertel Bogenhausen herrscht Ausnahmezustand. Vor der Stadtbibliothek entlädt sich die Queerfeindlichkeit von rund 200 AfD-Anhänger*innen und anderen Rechtsextremen. Sie sind gekommen, weil ein Dragking und eine Dragqueen eine Lesung für Kinder anbieten. Mehr als doppelt so viele Menschen solidarisieren sich lautstark mit dem Bündnis «München ist bunt» und den Drag-Künstler*innen (MANNSCHAFT berichtete).
Die Aufregung draussen scheint in keinem Verhältnis zu stehen zu der Szene, die sich drinnen abspielt: Hier sitzen Prinzessin Vicky und Prinz Eric in fantasievollen Gewändern und lesen Märchen vor.
Die Kinder im Publikum lauschen gespannt und bekommen durch die dicken Bibliothekswände hoffentlich nicht mit, welche Aufregung die Lesung in der Stadt und darüber hinaus auslöst. Mitten im Wahlkampf greifen die AfD und ihre Verbündeten zu allen Mitteln, um unter dem Deckmantel des angeblichen «Kinderschutzes» gegen queere Kultur zu hetzen: Sie kleben Hassplakate, beschmieren die Fassade der Bibliothek, schicken sogar Morddrohungen und planen, die Lesung zu stürmen.
Die Idee entstand an einem Filmset Ein Jahr später, im Mai 2024, wird München erneut im Zeichen des Drag stehen. Das Festival «go drag! munich» bringt internationale Performer auf bayrische Bühnen. «Wir wollen Drag als vielfältige Kunstform zeigen», sagt der Münchner Dragking Ruby Tuesday.
Gemeinsam mit der Berliner Künstlerin Bridge Markland kuratiert er das Festival. An sieben Standorten wird ein buntes Programm geboten, mit Shows, Konzerten, Theaterstücken, Kabarett, Workshops, Vorträgen, Podiumsdiskussionen und einer grossen Party.
Queens sind schon überall, aber die Aufmerksamkeit für die Kings ist immer noch zu klein
Die Idee für das Festival entstand im Jahr 2000 am Set von «Venus Boyz», einem Kinofilm über fluide Geschlechtsidentitäten, der auch auf dem Festival gezeigt wird. Dort traf Bridge Markland auf die Genderaktivistin Diane Torr, deren legendäre «Man for a Day»-Workshops die Dragkingszene nachhaltig geprägt haben. In einem New Yorker Diner tauschten sich die Künstler*innen über die wachsende internationale Dragszene aus und stellten fest: «Queens sind schon überall, aber die Aufmerksamkeit für die Kings ist immer noch zu klein».
Als Gegenoffensive organisierten sie das erste «go drag!»-Festival, das 2002 in Berlin stattfand und einen ganzen Monat lang dauerte. «Das würde ich so heute nicht mehr machen – und es ist dann leider auch nicht weitergegangen», erinnert sich Bridge Markland. Doch als 20 Jahre später zwei junge Berliner Dragartists anregten, das Festival wieder aufleben zu lassen, war die rund 60-Jährige sofort dabei. Und so fand 2022 die zweite Ausgabe von «go drag!» statt, präsentiert vom queeren Stadtmagazin Siegessäule, in Kooperation mit der Tageszeitung taz.
Raus aus der Nische, rein ins Kulturzentrum Auch heute noch ist das «go drag!» ein seltenes Festival weltweit, das explizit den Drag von Frauen, nicht-binären und trans Künstler*innen aller Altersgruppen und Styles feiert. Diese sind ebenso wie Kings und Queens of Colour, Quings (genderneutraler Drag) mit (sichtbaren) Behinderungen und Plus-size-Queens immer noch deutlich unterrepräsentiert.
Das Münchner Festival «go drag! munich» bleibt diesem Konzept treu, bindet aber die lokale Dragkingszene und Münchner Institutionen wie das NS-Dokumentations-Zentrum und den Gasteig ein. Bridge Markland hofft, dass diese Orte auch «Publikum anziehen, das sich bisher noch nicht mit Drag beschäftigt hat.» Der Gasteig ist eines der grössten Kulturzentren Europas, wenn die Dragkings dort auftreten, sind sie auch in München kein Nischenact mehr.
Für wen ist Drag? Nicht nur in München wird Drag immer sichtbarer. Mit der Castingshow «Drag Race Germany» bekam Deutschland vergangenes Jahr endlich eine Adaption des «Ru Pauls Drag Race» (MANNSCHAFT berichtete). Diese war für eine deutsche Casting-Show erstaunlich wenig cringe, unerwartet politisch und absolut bereichernd für die queere Kultur im deutschsprachigen Raum.
Doch als mit der Wienerin Pandora Nox die einzige cis Frau im Cast zur Gewinnerin der ersten Staffel gekürt wurde, ging das einigen zu weit. In den Kommentarspalten meinten einige, es sei für eine cis Frau keine Kunst, eine Queen darzustellen, und andere behaupteten, Drag sei schwulen Männern vorbehalten.
Ruby Tuesday
Ruby Tuesday ist Dragking und Neo-Burlesque-Performer aus München und bietet seit 2021 regelmässig Workshops an. Als Co-Host der Show «Kings of Munich» gilt er als eine der zentralen Figuren der wachsenden Münchner Dragkingszene. Bei «go drag! munich» ist er zum ersten Mal als Kurator*in dabei (Bild: Verena Gremmer). – Instagram: @rubytuesdayneoburlesque
Ruby Tuesday hält nichts von der Diskussion, wer Drag machen darf: «Drag ist für alle», stellt er klar. «Wenn jemand sagt, Drag ist nur für Queers oder nur für Männer oder nur für dies und das, dann stellt er Regeln auf. Dabei geht es bei Drag genau darum, diese Regeln zu brechen.» Pandora Nox ist die erste cis Frau, die eine Ausgabe des internationalen «Drag Race»-Franchise gewonnen hat. Sie ist gut vernetzt in der Münchner Szene und wird auch bei «go drag! munich» auftreten.
Das Festival
Die Berliner Gender-Künstlerin Bridge Markland und der Münchner Dragking Ruby Tuesday bringen als Kurator*innen des 3. «go drag!»-Festivals den Drag weiblicher, trans und nicht- binärer Künstler*innen erstmalig nach München. «go drag! munich» findet vom 1. bis 5. Mai an sieben Spielorten in München statt, darunter der Gasteig, das Pathos Theater, die Kunsthalle und das NS-Dokumentationszentrum. – Weitere Informationen
Das Line-up: lokale Kings und internationale Stars Das weitere Line-Up ist eine Mischung aus lokalen Kings und internationalen Stars und umfasst Acts wie Martwa aus Polen, Majic Dyke aus Kenia und Don One aus Birmingham. Aus London kommen das Neo-Burlesque-Talent Lolo Brow, und die 68-jährige Solokünstlerin Claire Dowie, die seit Jahrzehnten Theaterstücke schreibt. Mieze McCripple, eine aktivistische Queen aus Düsseldorf trägt empowernde Texte über das «Be_hindert-werden und Dicksein in einer fettfeindlichen Gesellschaft» vor.
Die Berliner Dragking-Legenden Alexander Cameltoe und Buba Sababa bieten Workshops an, in denen sich die Teilnehmenden zu Dragquings verwandeln können mittels Schminke, Outfit und Walk-Technik. Und natürlich gibt es auch jede Menge Shows, ein Rockkonzert von Macho-King Peter Frost und ein lustvolles Spektakel aus Tanz, Schauspiel und Musik vom Cuma-Kollektiv aus Nordrhein-Westfalen.
Gastgeberin der Podiumsdiskussion wird die Münchner Lokalgruppe von «The Magdalena Project», einem internationalen Netzwerk, das sich für Frauen in der freien Theater- und Performance-Szene einsetzt. Im Theater Drehleier zeigen die «Kings and Quings of Munich», wie eindrucksvoll sich die Münchner Dragszene in den letzten Jahren entwickelt hat. Diese Show hat eine besondere Bedeutung für die Münchner Szene, die lange sehr klein und eher von Dragqueens geprägt war.
Rubys Drag-Sohn Perry Stroika Um nicht mehr der einzige Dragking der Stadt zu sein, hat Ruby Tuesday 2021 begonnen, Workshops anzubieten. Hier konnten sich schon viele Interessierte ausprobieren und einige haben ihren Zugang zu Drag entdeckt. Am Ende der Workshops sammelten die Baby-Quings und -Kings bei einer Abschlussshow erste Bühnenerfahrungen. Daraus entstand die «Kings of Munich»-Show, die sich im Laufe der Zeit zu einer Open Stage für die neu entstehende Szene entwickelte. Heute ist die «Kings of Munich» eine professionelle Dragshow, die von Ruby zusammen mit seinem Drag-Sohn Perry Stroika veranstaltet wird.
Perry Stroika kam durch einen Workshop von Ruby zum Drag und hat vor nicht allzu langer Zeit selbst sein Debüt in der Show gegeben. Zuvor hatte er Drag für sich zu Hause ausprobiert, aber keine Gelegenheit gehabt, auf einer Bühne zu stehen oder mit der Szene in Kontakt zu kommen.
Wenn mehr Leute wüssten, dass es Dragkings gibt, gäbe es auch viel mehr
Mit der Show will er die Sichtbarkeit der Kings erhöhen: «Wenn mehr Leute wüssten, dass es Dragkings gibt, gäbe es auch viel mehr», sagt er in der ZDF-Doku «Drag Kings – Auf der Bühne Mann». Als queeres Kind, das aus Russland nach Deutschland migriert ist, hat Perry schon früh Erfahrungen mit Ausgrenzung gemacht: «Ich wurde für alles Mögliche gemobbt und musste meinen Charakter herunterschrauben, um akzeptiert zu werden. Durch Drag habe ich endlich meinen Weg gefunden.» Heute gehört er neben Ruby Tuesday zu den bekanntesten Kings der Stadt.
Kings, Queens, Quings und Babys
- Dragkings und -queens: Künstler*innen, die sich durch Outfit, Make-up und Performance mit Gendernormen auseinandersetzen und dabei oft überspitzt feminin oder maskulin auftreten
- Dragquing, -thing und Creature Drag: Spielarten des Drag, die über männliche und weibliche Identitäten hinaus gehen. Tiere, Monster oder Gegenstände können als Inspiration dienen
- Qu*ings: Eine inklusive Bezeichnung, mit der alle unterschiedlichen Dragartists gemeint sind
- Cis-Frau: Eine Person, der bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen wurde und die sich mit diesem Geschlecht identifiziert.
- Lip-Sync-Battle: Dragartists treten gegeneinander an, indem sie möglichst überzeugend zu einem Song performen.
- Dragbaby: Ein*e Künstler*in, die*der neu in der Dragszene ist.
- Dragsohn, -tochter, -kind: Eine Person, die von einer*m erfahrenen Dragperformer*in unterstützt wird.
Weiter Weg zur diversen Szene Auch die katalanische Dragqueen Janisha Jones ist eine feste Grösse in der Münchner Szene. Sie veranstaltet Events wie eine Dinnershow, einen Brunch und verschiedene Partys, bei denen Drags auftreten können. Newcomer können sich bei monatlichen Lip-Sync-Battles ausprobieren, die vom queer-inklusiven Kollektiv «Lovers» organisiert werden. «Seit Corona ist hier endlich mehr los», freut sich Ruby Tuesday, «aber bis die Szene wirklich divers sein wird, ist es noch ein weiter Weg.»
Bis die Szene wirklich divers ist, ist es noch ein weiter Weg
Einmal im Jahr, vor dem Münchner CSD, veranstaltet sie mit ihrer Draqueen-Kollegin Vicky Voyage gemeinsam die Drag Royalty Show. Dabei achten sie «auf einen möglichst diversen Cast, um Queens, Kings und verschiedene Arten von Dragpersonen zusammenzubringen».
Vicky Voyage und der nicht-binäre King Eric BigCl!t (bezeichnet sich selbst als Dragking-Monster) standen im vergangenen Jahr im Zentrum der rechten Hasskampagne. Doch die noch junge Dragkingszene will sich von der rechten Hetze nicht einschüchtern lassen: Im Februar veranstalteten Ruby und Eric gemeinsam «Frau kann Mann», eine Dragshow mit Bildungsauftrag, die den Zuschauenden Berührungsängste vor dem Spiel mit verschiedenen Geschlechtern nehmen soll.
«Wenn Frauen auf der Bühne Männlichkeit darstellen, ist das für viele Leute immer noch erschreckend», sagt Bridge Markland. Sie glaubt aber nicht, dass das «go drag! munich» gefährdet sei: «Damals haben rechte Parteien mit Queerfeindlichkeit Wahlkampf gemacht. Wir gehen eher davon aus, dass die Hetze diesmal online stattfindet.» Tatsächlich hat die AfD bereits versucht, das Festival mit Falschbehauptungen zu diskreditieren. Deshalb wollen sich die Veranstalter*innen mit einem Coaching auf mögliche Shitstorms vorbereiten.
Bridge Markland
Die Berlinerin Bridge Markland ist Tanz-, Theater-, Kabarett- und Performance-Künstlerin mit den Schwerpunkten Rollenspiel und Verwandlung. Gemeinsam mit Genderaktivistin Diane Torr hatte sie im Jahr 2000 die Idee zum Festival «go drag!» und kuratiert es in diesem Jahr zum dritten Mal (Bild: Manuela Schneider). – Instagram: @bridgemarkland
Schönheit ohne Schranken Das «go drag! munich» bietet die Chance, Drag in seinen unterschiedlichen Facetten einem breiten Publikum näher zu bringen. Es zeigt, welches Potenzial darin steckt, Geschlechternormen spielerisch zu hinterfragen und enge Rollenvorstellungen, unter denen viele Menschen leiden, zu überwinden.
Gleichzeitig kann die Veranstaltung dazu beitragen, Vorurteile gegenüber queerer Kultur abzubauen und reaktionärer Hetze den Nährboden zu entziehen. Wenn Drag- Performer wieder Zielscheibe rechter Angriffe werden, kann eine aufgeklärte Öffentlichkeit für Schutz sorgen.
Für die Münchner Szene kann das Festival ein weiterer Anschub sein, der zukünftige Dragbabys empowert, sich auf die Bühne zu trauen und die Münchner Dragfamilie um einen schwarzen, dicken, behinderten oder genderfluiden Artist zu bereichern.
Denn die unterschiedlichen Acts zeigen die Schönheit von Drag als Kunstform, die sich auch nicht von bestimmten Vorstellungen innerhalb der queeren Community einschränken lässt. Die Diskussion darüber, wie Dragquings auszusehen haben und wer darstellen darf, erübrigt sich – «go drag! munich» zeigt, was uns sonst entgeht.
Wie queer ist eigentlich Harry Styles, Ariana Grande, Jennifer Lopez oder Céline Dion? Finde es raus in unser gleichnamigen Rubrik «Wie queer ist … ?»
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