Die verpasste Chance: Sternchen, Strichlein und glottale Plosive
Wie spricht man Hundesitter*in aus?
Diejenigen, die das «Gendern» in der deutschen Sprache belächeln oder gar als unnützes Zeugs abtun, sind meist Männer und/oder Boomers. Schon lange wollen Frauen mit dem generischen Maskulinum nicht mehr einfach nur mitgemeint sein. Zu Recht, findet Michel Bossart in unserem Samstagskommentar*. Aber!
Mangels einer Oberinstanz mit Weisungsbefugnis für die deutsche Sprache gibt es heute einen Wildwuchs an Möglichkeiten, wie «gegendert» werden kann: mit einen Binnen-I (AutofahrerIn), mit einem Doppelpunkt (Bestatter:in), mit einem Unterstrich (Chemiker_in), mit einem Gendersternchen (Dolmetscher*in) oder in der Komplettversion (Ernährungsberater und Ernährungsberaterinnen).
Eine grammatikalische Hauruckübung Letzteres ist für Gedrucktes aus praktischen und für das Auge aus ästhetischen Gründen nicht zufriedenstellend. Das Binnen-I sieht aus wie ein «L» und Satzzeichen mitten im Wort sind halt auch eher eigenartig. Kommt hinzu, dass die fallspezifischen Wortendungen bei der Deklination verloren gehen («ich helfe den Lehrer*innen» ist und bleibt eine grammatikalische Hauruckübung).
Und die deutsche Sprache ist richtig fies: Wie geht man mit dem Arzt und der Ärztin oder mit den Juden und den Jüdinnen um? Untauglich auch die Lösung, die das Partizip 1 für alles und in jeder Situation substantiviert. Die Geldgebenden zum Beispiel geben nicht andauernd einen Obolus, sondern vielleicht nur einmal und sind darum in einer bestimmten Situation zu einer bestimmten Zeit Spender oder Spenderinnen.
Kommt hinzu: Wie soll man «Hundesitter*in» aussprechen? Ein Vorschlag, ist der sogenannte «stimmlose glottale Plosiv», auch Glottisschlag genannt. Das ist ein Kehlkopfverschlusslaut oder vereinfacht ausgedrückt – ein Staccato. Das Deutsche ist für seine harte Sprachmelodie bekannt. Das liegt daran, dass wir Wörter einzeln aussprechen. Im Unterschied zu einem auf Französisch parlierten Satz, bei dem man kaum hört, wo die einzelnen Wörter anfangen und aufhören, benutzen wir den Glottisschlag vor praktisch jedem Wort. Und jetzt auch noch im Wortinnern. Um Himmels Willen.
Früher war der Duden eine Autorität Bis 1996 war der Duden eine Autorität, wenn es in den deutschsprachigen Landen um grammatikalische und orthografische Normen ging. 2004 wurde der Rat für deutsche Rechtschreibung (RdR) als Regulierungskörper der Rechtschreibung der deutschen Sprache eingerichtet.
Beiden gehören die Ohren langgezogen. Denn statt mit einer raschen praktikablen Lösung aufzuwarten, blieben sie stumm und haben somit diesen Wildwuchs zu verantworten. Dabei liegt die Lösung doch so nah: Kurzerhand hätte man das generische Femininum dem generischen Maskulinum gleichstellen sollen.
Nach einem kurzen Angewöhnen hätte sich niemand mehr an Sätzen wie diesem gestört: «Als die Germanistinnen und Professoren zu den anwesenden Studenten und Doktorandinnen sprachen, war es mucksmäuschenstill im Saal.» Geht doch, oder?
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Glosse zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
Das könnte dich auch interessieren
HIV, Aids & STI
«Die sexuelle Gesundheit unserer Community steht auf dem Spiel»
Am Dienstag setzten Vertreter*innen von 48 Organisationen ein Zeichen gegen die geplanten Kürzungen bei der Prävention im Bereich der sexuellen Gesundheit. Vor Ort war auch Andreas Lehner, Geschäftsleiter der Aids-Hilfe Schweiz.
Von Greg Zwygart
Politik
Schweiz
Gesundheit
Umfrage
Konflikte in Partnerschaften: Was beschäftigt dich am meisten?
Ob Eifersucht, Kommunikation oder Gefühlschaos: Konflikte können eine Beziehung ins Wanken bringen. Erzähl uns, wie es dir damit geht.
Von Denise Liebchen
Bern
Nach dem Date bestohlen: Untersuchung gegen mutmasslichen Grindr-Dieb
Ein Mann soll in Bern seine Dates bestohlen haben. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn. Einer der Betroffenen erzählt, wie er den Vorfall erlebte.
Von Greg Zwygart
Justiz
Dating
Schweiz
Lust
Kommentar
«Man tritt nicht nach Schwächeren, die schon fast am Boden liegen»
Jacques Schuster, Chefredakteur der Welt am Sonntag hat einen in vielerlei Hinsicht gestrigen Text gegen LGBTIQ verfasst. Unser Autor antwortet mit einem Gegenkommentar*.
Von Kriss Rudolph
Pride
Deutschland
Queerfeindlichkeit