«Batman und Robin im Bett – das wäre der Durchbruch!»
Batwoman ist lesbisch, Green Lantern schwul und Deadpool pansexuell. Seit mehreren Jahren werden in der Welt des Mainstream-Comics immer wieder Superhelden und -heldinnen geoutet. Es ist ein Trend, der nicht zuletzt von Hollywoods Topregisseuren befeuert wird.
«Ein Freund für Deadpool wäre grossartig!» Mit diesen Worten äusserte sich Hollywoodstar Ryan Reynolds zum Privatleben der Comicfigur «Deadpool», die er im gleichnamigen Kinofilm mimt. Die Figur stammt aus dem Superheldenuniversum des Marvel-Verlags und gehörte einst der berühmten «X-Men»-Garde an. Das Interessante an Deadpool – abgesehen davon, dass er reihenweise Bösewichte vermöbelt und mit Vorliebe derbe Sprüche klopft: Er ist der erste pansexuelle Superheld überhaupt. Und daraus wird auch kein Geheimnis gemacht, wie das Statement von Ryan Reynolds zeigt. Dieser wäre denn auch sofort dabei, wenn ihm in einer Fortsetzung ein Liebhaber zur Seite gestellt würde, wie er auf dem roten Teppich einer Premierenfeier erzählte.
Nicht hetero – na und? Diese offen kommunizierten amourösen Präferenzen des Protagonisten sind in der heutigen Filmwelt zwar noch aussergewöhnlich genug, um Aufmerksamkeit zu erregen. Der Popularität des Streifens taten sie aber keinen Abbruch. Bereits am Startwochenende im Februar lockte er das Publikum in Scharen vor die Leinwand, der Film brach mehrere Rekorde. Laut dem US-amerikanischen Wirtschaftsmagazin Forbes hat «Deadpool» in den Vereinigten Staaten unter anderem das erfolgreichste Kinodebüt aller bisherigen X-Men-Filme hingelegt, und Ryan Reynolds wirkte bis anhin noch in keinem Film mit, der am Eröffnungswochenende mehr Geld in die Kassen spülte.
Deadpool – einer von vielen Deadpool ist prominentes und jüngstes Beispiel in einer immer länger werdenden Reihe von Mainstream-Comic-Helden und -Heldinnen, deren sexuelle Orientierung von der Heteronorm abweicht. Vor rund vier Jahren zum Beispiel schaffte es «Green Lantern» in die Schlagzeilen, der bekannte Star aus dem Verlagshaus DC. «Coming-out eines Superhelden» oder «Green Lantern ist ab sofort schwul» titelten etwa Spiegel Online oder der Tages-Anzeiger, nachdem Autor James Robinson ohne grosses Brimborium angekündigt hatte, Green Lantern werde in der Neuauflage der Serie «einfach schwul sein». Mit «Batwoman» ist eine weitere berühmte DC-Heldin homosexuell. Im Comicalltag heisst sie Kate Kane, 2006 wurde sie als lesbisch geoutet.
Es wird befürchtet, ein allzu moderner und offener Umgang mit LGBT-Fragen könnte viele Comicfans überfordern.
Bereits 1992 outete sich Marvel-Held «Northstar» und im Jahr 2012 führte er in Nummer 51 der «Astonishing X-Men»-Serie seinen Freund gar vor den Traualtar. Northstar wurde damit zum ersten Mainstream-Superhelden, der seinen gleichgeschlechtlichen Partner ehelichen durfte. Im Marvel-Universum tummeln sich zahlreiche weitere LGBT-Charaktere. Auf der Internetseite marvel.wikia.com werden in eigens eingerichteten Kategorien sämtliche Figuren aufgelistet, die schwul, lesbisch, bi, transgender oder asexuell sind. Die meisten von ihnen sind eher unbekannt und meist nur eingefleischten Comicfans ein Begriff. Zwei davon: «Wiccan» und «Hulkling». Die beiden sind ein offen schwules Paar und Teil der «Young Avengers».
Diese stehen in enger Verbindung zu den berühmten «Avengers», denen Helden wie Iron Man, Thor oder Captain America angehören und deren Abenteuer und ruhmreiche Taten in den letzten Jahren gleich in mehreren kommerziell erfolgreichen Hollywood-Adaptionen erzählt wurden. Bisher eher unbekannt, erfreuen sich Wiccan and Hulkling nun einer wachsenden Popularität: Nebst ihren Auftritten in den Comic-Heften werden sie zum Beispiel im neuen Lego-Videogame «Marvel’s Avengers» als spielbare Figuren eingeführt.
Konservative Leserschaft Die grossen Verlage wagen es also zunehmend, ihre Heldinnen und Helden zu outen. Das ist insofern erfreulich, als die «Mainstream-Comics der gesellschaftlichen Entwicklung hinterherhinken, gerade im Superhelden-Bereich», sagt Kevin Clarke. Er hat zusammen mit sechs Co-Kuratorinnen und -kuratoren die Ausstellung «SuperQueeroes» konzipiert, die im «Schwulen Museum*» in Berlin noch bis Ende Juni die Geschichte queerer Comic-Heldinnen und -Helden zeigt (siehe Kasten). «Die Leserschaft in den USA ist zum Teil sehr konservativ», erklärt Kevin.
Die Grosszahl der Fans lebe im mittleren Westen und damit in Gebieten des Landes, in denen noch ein «anderes Verständnis von Sexualität» vorherrsche. «Die bekannten Verlage machen sich bisweilen Sorgen um die Loyalität dieser Leserinnen und Leser.» Es wird befürchtet, ein allzu moderner und offener Umgang mit LGBT-Fragen könnte viele Comicfans überfordern und vergraulen. Ein Beispiel für diese Angst sieht Kevin in der teils stiefmütterlichen Behandlung des Themas durch die Fachpresse, auch in deutschsprachigen Gefilden. «Führende deutsche Comiczeitschriften haben anfangs weder unsere ‹SuperQueeroes›-Ausstellung noch die ganzen Superhelden-Outings der letzten Jahre behandelt», sagt der 49-Jährige. Die Mainstreammedien hätten diesbezüglich sehr viel weniger Berührungsängste gezeigt und auf unkomplizierte Art und Weise über das Thema berichtet.
Wachsender Rückhalt Die Sorgen um eine Abkehr der konservativen Leser wirkten sich lange Zeit auch auf die Comicmessen aus. In den Ausstellungshallen der sogenannten «Comic Cons» hätten queere Comics bis vor Kurzem nichts verloren, sagt Kevin. Erst in jüngster Vergangenheit entwickle sich die Szene langsam dahingehend, dass auch Anbieter von LGBT-Werken mit ihren Ständen an den Comic Cons vertreten seien. «Immer mehr Fans stehen zu diesem Teil der Community, lassen queere Inhalte zu oder heissen sie gar willkommen», erklärt Kevin. Einer seiner Co-Kuratoren, der US-amerikanische Comicexperte Justin Hall, sagte es gegenüber queer.de so: «Die amerikanische Comicindustrie hat die queeren Superhelden nicht sofort mit offenen Armen aufgenommen.» Bis zu den vielen Coming-outs der jüngsten Vergangenheit sei es ein langer Weg gewesen.
Hollywoodregisseuren und X-Men sei Dank Ein Weg, der nicht zuletzt von Hollywoodregisseuren geebnet wurde. Einer von ihnen ist der offen bisexuelle Bryan Singer, der bei mehreren X-Men-Filmen Regie führte. In Interviews hat er schon mehrfach betont, dass seine eigene Identität als Jude und Bisexueller eine zentrale Filmthematik, den Umgang mit Minderheiten, stark geprägt habe. Im Gespräch mit dem US-amerikanischen Moderator Charlie Rose zum Beispiel sagte Singer, in den Filmen gehe es nebst «all den Kostümen und Kämpfen sowie dem ganzen Spektakel und Spass» um wichtige philosophische Fragen. Um schädliche Vorurteile zum Beispiel, um das Gefühl, ein Aussenseiter zu sein, und um die blinde Angst mancher Leute vor Unbekanntem. Viele junge Menschen, die ihren Platz in der Welt suchen, würden von diesen Themen angesprochen.
Singer zeigte den Verlagen, dass man LGBT-Themen ansprechen und behandeln kann, ohne dies explizit zu tun.
Gerade auch LGBT-Teenager können sich mit den Problemen der X-Men identifizieren, handelt es sich bei Letzteren doch um Menschen, deren besonderen Kräfte «sich während der Pubertät entwickeln und die sie vor der Welt verheimlichen müssen», wie es Justin Hall beschreibt. Es fällt nicht schwer, dieses Konzept der X-Men auf queere Art und Weise zu lesen. «Singer zeigte den Verlagen, dass man LGBT-Themen ansprechen und behandeln kann, ohne dies explizit zu tun», so Kevin. Dies ist ein Prinzip, das sich zum Beispiel auch in vielen Disney-Zeichentrickfilmen findet (Mannschaft berichtete in der Septemberausgabe). Klassisches Beispiel ist der Kassenschlager «Die Eiskönigin – Völlig unverfroren», der sich um Prinzessin Elsa dreht. Sie verfügt über die Gabe, Eis, Frost und Schnee zu erzeugen. Ihre Eltern verlangen von ihr, dass sie ihre Zauberkraft unterdrückt und verborgen hält, was Elsa zunehmend von ihren Mitmenschen isoliert – bis sie, als Erwachsene, aus dem elterlichen Schloss entflieht und ihre Kräfte endlich raus- und zulässt. Die Parallelen zu einem Coming-out liegen auf der Hand.
Test bestanden – vorerst Trotz implizit queerer Botschaft, der Erfolg der X-Men-Serie blieb nicht aus und auch die öffentlichen Outings von Deadpool, Green Lantern oder Batwoman seien gut aufgenommen worden, sagt Kevin. Auf die grossen Comicverlage dürfte dies ermutigend wirken. Wobei: Gerade das Coming-out von Green Lantern muss laut Kevin Clarke etwas relativiert betrachtet werden. «Es gibt verschiedenste Versionen und Varianten des Green Lantern, und das erst noch in verschiedensten Paralleluniversen», erklärt er die nicht ganz einfach zu verstehenden Gesetze und Funktionsweisen der Comicwelt.
Als offiziell schwul erklärt wurde nicht derjenige Green Lantern, der 2011 publikumswirksam über die Kinoleinwände flackerte, sondern eine Frühfassung des grünen Helden, den nur wenige kannten. Für eine Neuauflage des Comics wurde diese Figur nun einfach verjüngt und homosexuell dargestellt. «Beim schwulen Green Lantern handelt es sich gewissermassen um eine Testversion, die aufzeigen soll, wie das Publikum einen homosexuellen Helden aufnimmt», fasst Kevin zusammen. Immerhin, der Test verlief gut. Das ist sicherlich auch auf den bemerkenswerten gesellschaftlichen Wandel der letzten Jahre und die zunehmende Akzeptanz von Homosexualität zurückzuführen. Und trotzdem: Ob das grosse, kommerzielle Publikum für einen bekannten schwulen Superhelden schon bereit wäre, kann gemäss Kevin noch nicht mit Sicherheit gesagt werden.
Die Fledermaus darf noch nicht raus Bei keinem Geringeren als Batman, einem der ganz grossen Comic-Helden, böte sich ein solches Coming-out jedenfalls an. Seit Jahrzehnten wird darüber debattiert, ob der Fledermausmann wohl schwul sei und mit seinem Gehilfen Robin auch nach getaner Heldenarbeit unter einer Decke stecke – im wahrsten Sinne des Wortes.
Vor ein paar Jahren setzte Grant Morrison, seit 2006 offizieller Batman-Autor, diesen Diskussionen im Prinzip ein Ende. In einem vielbeachteten Interview mit dem Playboy äusserte sich Morrsion dahingehend, dass Batman «sehr, sehr schwul ist», wobei das nicht abschätzig gemeint sei. Vielmehr sei einfach nicht zu leugnen, dass das «ganze Konzept vollkommen schwul ist».
Tatsächlich ist mit Blindheit geschlagen, wer dies von der Hand weisen will: Bruce Wayne, der Mann hinter Batman, ist ein ewiger Junggeselle, der seine Zeit am liebsten mit seinem älteren Butler sowie dem jungen Mann verbringt und in einem eng anliegenden, jeden Muskel zur Geltung bringenden Kostüm, um das ihn jeder Fetischparty-Besucher beneidet, Nacht für Nacht auf Schurkenjagd geht. Trotz alledem: Der DC-Verlag hat Batmans Homosexualität noch immer nicht bestätigt. «Dass Batman und Robin offiziell als schwul geoutet werden, ist die Urangst vieler Comicfans», sagt Kevin Clarke. Für ihn steht fest: «Batman und Robin zusammen im Bett, das wäre der Durchbruch.»
Wann dieser Durchbruch erfolgt – und ob er überhaupt erfolgt –, ist unklar. Doch die Zeichen stehen gut, dass auch Batman bald einmal zu seiner gleichgeschlechtlichen Orientierung stehen darf. Nach all den Jahren und all den guten Diensten, die er der Welt erbrachte, hätte er es mehr als verdient.
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