Gabriel Stoyanov: «In Russland bin ich nicht offen schwul»
Wie die Leidenschaft für Ballett alle Vorurteile besiegen kann
Seine Leidenschaft fürs Tanzen hat Gabriel Stoyanov bereits mit fünf gefunden. Inzwischen ist der Bulgare professioneller Balletttänzer und arbeitet am Doktortitel an der berühmten Vaganova Akademie in Russland. Wie er als schwuler Mann Russland erlebt und seine Leidenschaft zum Beruf machen kann, erzählt der 27-Jährige im Interview.
Gabriel, du studierst an der Vaganova Akademie für Ballett. Was bedeutet das für dich? Es ist einfach unbeschreiblich an einer Akademie in Russland studieren zu dürfen, die eine so lange Geschichte hat. Es ist die älteste und bekannteste Ballettschule der Welt. Ballett ist dort nicht einfach nur ein Tanz, sondern eine Kunstform und sie wird mit grosser Leidenschaft gepflegt. Als ich zum ersten Mal die Akademie besuchen durfte, konnte ich bereits an der Vorlesung des Rektors teilnehmen und neben mir sass eine meiner grössten Vorbilder, Ludmila Valentinovna Kovaleva. Ich war einfach nur hin und weg. Da wusste ich, eines Tages werde ich hier studieren, egal was es mich kostet und nun habe ich das geschafft.
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Was bietet dir die Ausbildung an der Akademie als Tänzer und Künstler? Als Ballett-Master spezialisiere ich mich auf das Doktorat in choreographischer Kunst. Ich hoffe, dass ich bald wieder nach Russland reisen kann, um dort mit all diesen engagierten und talentierten Menschen zusammenarbeiten zu können. In der Zukunft ergeben sich hoffentlich wieder Engagements in Theatern, natürlich hängt das von vielerlei Entwicklungen ab.
Seit der Corona-Pandemie studierst du von der Schweiz aus, wie funktioniert dein Training und das Studium? Ich stehe früh auf und mache eine Stunde Dehnungsübungen. Manchmal habe ich um acht Uhr bereits die erste Vorlesung, wegen der zwei Stunden Zeitverschiebung zwischen hier und St. Petersburg. Anschliessend gehe ich ins Studio, um gut zwei Stunden mit meinem Coach zu arbeiten. Danach flitze ich nach Hause, um für zwei bis drei Stunden an Vorlesungen teilzunehmen. Ich mache Hausaufgaben und am Abend unterrichte ich an verschiedenen Ballettschulen. Wenn sich die Situation wieder verbessert, gehe ich zwischendurch für ein paar Stunden in ein Studio zum Krafttraining.
Wie unterscheidet sich das Studium in der Schweiz und Russland? In Russland und Bulgarien ist es sehr strikt. Du machst, was die Dozent*innen sagen, oder du bist raus. Es ist sehr hart, aber unglaublich lehrreich. In der Schweiz ist das Studium demokratischer, es wird mehr zusammen erarbeitet. Das gefällt mir sehr gut, es braucht aber länger, um dieselben Resultate zu erreichen.
Wie ist es, als offen schwuler Mann in Russland zu studieren? In Russland bin ich nicht offen schwul. Niemand spricht darüber und du sprichst es selbst nicht an. Wenn man mit anderen Menschen über persönliche Dinge spricht, sagt man entweder nicht die Wahrheit oder versucht auf diplomatische Weise das Thema zu wechseln. Ballett ist in Russland so hoch angesehen, dass man als Künstler nie offen in Frage gestellt wird, sogar wenn die Menschen ahnen, dass man schwul ist.
Das Land ist ziemlich LGBTIQ-feindlich, wie erlebst du das? Ich selbst bin nie anders oder schlechter behandelt worden. Eher im Gegenteil, die Akademie behandelt mich fantastisch, ich kriege sogar Russischkurse angeboten, um das Studium zu meistern. Ich weiss aber, dass es für die Menschen in Russland nicht so einfach ist. Für Gay Clubs gibt es beispielsweise keine öffentlichen Aushänge und sie sind versteckt. Die Clubs sind hingegen einfach grossartig, dort können wir für eine Weile uns selbst sein und die Menschen geniessen das ausgiebig. Alle tanzen und flirten, es ist eine komplett andere Atmosphäre. Nach der Party bestelle ich immer ein Taxi, da es gefährlich sein könnte, in der Nacht alleine rumzulaufen.
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Apropos Tanzen, wie hast du Ballett für dich entdeckt? Ich bin in zwei kleinen Dörfern in der Nähe von Sofia, Bulgarien, aufgewachsen. Mit fünf haben mich meine Eltern zu einer Tanzschule gebracht, wo ich zuerst traditionelle bulgarische Tänze gelernt habe. Als ich etwas älter war, habe ich heimlich Ballettkurse besucht. Dabei habe ich meine grosse Leidenschaft fürs Ballett entdeckt. Ein wichtiger Moment war, als ich die lebende bulgarische Ballettlegende Krasimira Koldamova kennenlernen durfte. Sie sagte zu mir, dass ich es mit meinem Talent noch weit bringen könnte, wenn ich ernsthaft zu trainieren beginne.
Was möchtest du in der Welt der Balletts noch erreichen? Das erste grosse Ziel ist ein erfolgreicher Abschluss des Studiums und damit der Doktortitel. Im Moment kann ich nicht viel tanzen, deshalb hoffe ich, dass ich noch einige Jahre in Russland und der ganzen Welt auftreten kann. Später möchte ich all meine Erfahrung nutzen, um das Wissen an die Kinder hier in der Schweiz weiterzugeben und die nächste Generation von tollen Tänzer*innen mit aufzubauen.
Wann und weshalb bist du in die Schweiz gekommen? Ich kam vor sieben Jahren hier her. In Bulgarien war es immer schwierig als offen schwule Person zu leben (MANNSCHAFT berichtete). Schon als Kind habe ich mich viel mit Mädchen umgeben, da mich die Jungs oft ausgelacht haben. Später gab es Berichte in bulgarischen Zeitungen über mich und mein Leben als Balletttänzer. Manche Leser*innen schrieben homophobe Kommentare darunter. Die Schweiz ist da sehr viel offener. Hier kann ich so sein, wie ich bin.
Wie hast du gelernt, mit diesen abfälligen Kommentaren umzugehen? Als ich sie damals gelesen habe, musste ich weinen. Ich habe meine Mutter angerufen und sie musste ebenfalls weinen. Sie sagte dann: Du hast vielleicht ein paar negative Kommentare erhalten, aber es haben auch so viele Menschen aus dem Dorf und von überall her angerufen und dir gratuliert! Mit der Zeit habe ich gelernt, diese Kommentare auszublenden und mich auf das Positive zu konzentrieren. Ich wünschte mir einfach, dass sich die Menschen ebenfalls auf die Leistungen fokussieren würden und nicht auf die Sexualität.
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Wie haben deine Eltern reagiert, als du ihnen gesagt hast, dass du schwul bist? Nach meinem Coming-out und der Hochzeit haben wir ein ganzes Jahr nicht miteinander gesprochen. Heute ist zum Glück alles gut, wir verstehen uns sogar besser als zuvor. Als sie das letzte Mal zu Besuch waren, haben sie haben meinen Mann und meinen Freundeskreis kennengelernt. Mein Vater sich sogar bei meinem Mann für die Unterstützung bedankt, die er mir täglich gibt. Das war ein richtig emotionaler Moment für uns, nachdem wir so lange um die Anerkennung kämpfen mussten.
Nehmen wir an, eine junge Person aus der LGBTIQ-Community liest unser Interview und möchte ebenfalls professionelle*r Tänzer*in werden. Was würdest du als Vorbild raten? Hör nicht auf an dir zu arbeiten. Nicht nur physisch, sondern auch mental. Du musst in unserer Welt – sei es beim Ballett oder allgemein – stark sein. Es ist wichtig, dass du dich weiterentwickelst, damit etwas hast, auf das du richtig stolz sein kannst. Lass dich nicht durch dein Geschlecht oder deine Sexualität definieren, sondern durch das, was du erreicht hast. Umgib dich mit tollen Menschen, die dich in allem unterstützen und bestärkt euch gegenseitig auf eurem Weg.
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