Anastasia Biefang: «Selbstbestimmung ist keine Dekadenz!»
Eine Antwort auf die transfeindliche Kolumne von Götz Aly
Anfang des Monats erschien die Kolumne von Götz Aly «Grün-gelbe Dekadenz in Corona-Zeiten» in der Berliner Zeitung. Der Autor machte sich auf Kosten von trans Menschen lustig über das TSG-Reformvorhaben. Anastasia Biefang nannte den Text bei Facebook «unsachlich, realitätsfern und stigmatisierend», zumal wurde darin ihr Deadname benutzt (der mittlerweile entfernt wurde). Für MANNSCHAFT hat sie eine Replik geschrieben.
Mit Wut im Bauch zu schreiben, verbietet sich eigentlich. Daher wollte ich mir ein paar Tage Zeit nehmen, um auf die unsägliche Kolumne in der Berliner Zeitung von Götz Aly zu reagieren. Ich stelle aber fest, dass die Wut mich auch jetzt beim Schreiben begleitet. Und nur weil ein cis Mann vielleicht «anerkennend» über eine «Transgenderperson» wie mich geschrieben hatte, macht ihn das nicht zum Experten auf dem Gebiet. Und Anerkennung bedarf es, aus meiner Sicht, für mich als trans* Frau von einem cis Mann erst recht nicht.
Und alles was aus Götz und seinem phallischen Füller als Text fliesst, ist die Fortsetzung und Reproduktion von Diskriminierung, Stigmatisierung und Pathologisierung von transgeschlechtlichen Menschen, wie sie seit dem Bestehen des jetzt mehr als 40 Jahre alten Transsexuellengesetzes (MANNSCHAFT berichtete) hier zu Lande gesellschaftliche Realität ist.
Was treibt Götz Aly an diese transfeindliche und menschenverachtende Kolumne zu schreiben? Wovor hat er Angst? Vor einem selbstbestimmten Leben von Menschen? Was verlieren wir als Gesellschaft, wenn die Entwürfe von FDP und Grüne – welche ich persönlich unterstütze! – endlich Realität werden und das noch immer bestehende Transsexuellengesetz, wie ich mehrmals klar formuliert habe, endlich auf den Müllhaufen der Geschichte befördern?
Die Antwort ist einfach: Wir verlieren gar nichts! Wir stärken die Mündigkeit der Bürger*innen. Wir stärken das Recht auf Selbstbestimmung über die eigene Identität und den eigenen Körper. Wir entlassen Menschen aus den bevormundenden Zwängen des Staates, der durch unnötige bürokratische Hürden eine heteronormative Weltordnung anscheinend erhalten möchte.
Götz Aly schürt mit seiner Kolumne Angst und bereitet den Nährboden für Hass
Warum bedient Götz Aly den Diskurs mit «alternativen Fakten» und vermengt verantwortliche und menschenrechtsgestaltende Politik mit der Rhetorik von Reichsbürger*innen? Götz Aly schürt mit seiner Kolumne Angst vor transgeschlechtlichen Menschen, bereitet den Nährboden für Hass der politisch extremen Rechte vor, reduziert die geschlechtliche Identität auf biologische Merkmale und fördert das Bild einer binären Geschlechterordnung. Das Ganze wird anscheinend befördert von einer zunehmenden verständnisvollen, begutachtungsfreien Gesetzgebung zum Personenstand und einer medizinischen Kaste, die gefällige Gutachten schreibt und keinen Therapiezwang mehr für transgeschlechtliche Menschen fordert, sondern einfach – um nicht als transfeindlich zu gelten – dem selbstbestimmten Drang von einem Heer an transgeschlechtlichen Menschen nachgibt und diese selbstverständlich als Frau oder Mann in ihrem empfundenen Geschlecht anerkennt. Ironie aus!
Ist das die Vorstellung eines cis Mannes, wie die Realität für transgeschlechtliche Menschen in diesem Land aussieht? Keine Vorstellung hat er von unserer Lebensrealität und der Realität, die uns das heutige Transsexuellengesetz aufzwingt. Die Angst zu haben, nicht anerkannt zu werden von Gutachtern und Richtern im eigenen Geschlecht. Die Demütigung, Abhängigkeit und Fremdbestimmung zu erfahren, die ein Begutachtungsverfahren mit sich bringt. Ein Verfahren, das nur dafür da ist, dass mein Geschlechtseintrag und Vorname in den staatlichen Dokumenten angepasst werden. Ein eigentlich banaler Verwaltungsakt wird zu einem Spiessrutenlauf erhoben. Mehr regelt dieses überflüssige Gesetz nämlich nicht. Parallel dazu, gibt es medizinischen Empfehlungen, diagnostischen Manuals, Krankheitszuschreibungen und Genehmigungsverfahren, die uns die Möglichkeit geben – wenn individuell gewünscht – unsere Körper stimmiger zu unserem Empfinden anzugleichen.
Zu guter Letzt spielt Götz Aly auch noch gesellschaftlich marginalisierte Gruppen gegeneinander aus. Auf einmal stehen ganz selbstverständlich Frauenrechte gegen trans*(Frauen)-Rechte. Eine neue Gefahr ist erkannt. Die Existenz von trans* Frauen und deren Recht auf Selbstbestimmung bedroht vermeintlich die cis Frau, nimmt ihr Schutzräume und liefert diese schutzlos an triebgesteuerte trans* Frauen mit oder ohne Penis aus. Einfach unglaublich.
Das Filmmotiv «Man in a Dress» wird auch hier wieder als tatsächliche Bedrohung formuliert. Ein Mann in einem Kleid, der Fraue in ihrer Existenz bedroht. Dem Missbrauch von cis Frauen wird hier durch die staatlichen Institutionen Vorschub geleistet. Der Selbstbestimmung einiger weniger «Verwirrter» wird ein höherer Wert als dem Schutz der Unversehrtheit einer grossen Zahl von «echten» Frauen eingeräumt. Ich, als Frau mit trans* Hintergrund, werde ausgegliedert, werde stigmatisiert und in meiner selbstbestimmten Existenz in Frage gestellt. Mein Frausein wird mir in Abrede gestellt. Ich bin DAS Feindbild. Ich bedrohe als Geschöpf einer willkürlichen und geschlechtsfluiden Welt, sitzend auf einem Zaun wie eine Hexe, im Jenseits und Diesseits der binären Geschlechtlichkeit. Ein düsteres Fabelwesen, ganz im Sinne von J.K. Rowling und anderen TERFS, die dieses immer wieder propagieren.
Eines ist gewiss. Je mehr der Diskurs auf Ausgrenzung steuert, je mehr trans* Personen entmenschlicht dargestellt werden, desto düsterer wird es für unsere Sicherheit vor Übergriffen. Desto grösser wird unser Bedürfnis nach Schutz. Desto mehr brauchen wir Schutz vor dem cis-heteronormativen Patriarchat. Ich habe Gewalterfahrung – sprachlich und körperlich – erlebt und weiss, dass diese Gefahr für mich als transgeschlechtlicher Mensch eine reale ist. Eine Gefahr die mir bisher ausnahmslos in der Gestalt von cis-heteronormativen Männern begegnet ist. Eine Gefahr, die dazu führt, dass ich mich nicht frei in Räumen bewegen kann, dass ich immer einen Blick über meine Schulter werfen muss. Wir sind die Opfer.
Ich bin eine Frau. Was heisst Frau sein für mich? Ganz einfach. Es heisst für mich endlich Ich zu sein. Und das sollte jeder Mensch sein können – sich selbst sein auf der wunderschönen Weite der geschlechtlichen Vielfalt und nicht leidend unter dem Joch einer willkürlich aufoktroyierten «Normalität».
Anastasia Biefang war die erste trans Kommandeurin der deutschen Bundeswehr in Brandenburg, Protagonistin des Films «Ich bin Anastasia» und ist stellvertretende Vorsitzende der Interessenvertretung der queeren Angehörigen der Bundeswehr, QueerBW. Sie schreibt regelmässig eine Kolumne für MANNSCHAFT+.
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