Ampel: «Klare Kante gegen Diskriminierung & Queerfeindlichkeit»
Wie sehen die queerpolitischen Verbesserungen aus und wie schnell werden sie umgesetzt?
Der Koalitionsvertrag der Ampelparteien SPD, Grüne und FDP für Deutschland steht. Es soll u.a. einen bundesweiten Aktionsplan gegen Homophobie und Transphobie geben (MANNSCHAFT berichtete).
Die drei Parteien luden am Mittwoch zu einer Pressekonferenz in Berlin ein. Gut acht Wochen nach der Bundestagswahl sollen damit bisher zwischen den Parteien vertraulich behandelte Details der Zusammenarbeit öffentlich werden. Im Anschluss stellten die Vorsitzenden der drei Parteien sowie Kanzlerkandidat Olaf Scholz den in den letzten Wochen ausverhandelten Koalitionsvertrag vor.
Wir wollten von Ulle Schauws, die als Grünen-Vertreterin in der AG 16 Gleichstellung und Vielfalt die Inhalte verhandelte, wissen, wie die queerpolitischen Erfolge aussehen und wie schnell sie umgesetzt werden.
Was wird in Deutschland unter der Ampel-Koalition besser aus Sicht von LGBTIQ? Nach 16 Jahre Stillstand kommt jetzt ein queerpolitischer Aufbruch, den wir Grüne versprochen haben. Der Verheissung nach selbstbestimmtem und diskriminierungsfreiem Leben und gleichberechtigter Teilhabe kommen wir in den nächsten vier Jahren einen entscheidenden Schritt näher. Damit kann Deutschland an die Länder anschliessen, wo Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt mehr ist als nur gelegentliche Reden bei den CSDs. Mit klarer Kante gegen Diskriminierung und Queerfeindlichkeit (Reform des Art. 3 GG), einem wirksamen bundesweiten Aktionsplan (70-Millionen stark!), einem modernen Selbstbestimmungsgesetz für transgeschlechtliche Menschen und einem weltweiten Einsatz für LGBTI-Rechte wird Deutschland ein offeneres und lebenswerteres Land für Alle sein. Die bestehende Diskriminierung von Zwei-Mütter-Familien (MANNSCHAFT berichtete) und deren Kinder wird beendet. Die Änderung der entsprechenden abstammungsrechtlichen Regelungen im BGB wird selbstverständlich für alle gelten unabhängig des Geschlechts, d.h. auch für Personen mit Geschlechtseintrag divers und ohne einen Eintrag.
Wir haben vor, einen riesigen Schritt zur Modernisierung des Familienrechts zu machen. Damit soll Deutschland der Vielfalt von Familienformen gerecht werden. Beim Thema Mehrelternschaft haben wir uns auf Ausweitung des «kleinen Sorgerechts» für soziale Eltern und dessen Weiterentwicklung zu einem eigenen Rechtsinstitut geeint, das im Einvernehmen mit den rechtlichen Eltern auf bis zu zwei weitere Erwachsene übertragen werden kann. Das bedeutet einen Paradigmenwechsel im Familienrecht, wo bisher soziale Eltern nicht anerkannt werden dürfen. Zudem werden wir mit einer Elternschaftsvereinbarung vor der Empfängnis und Elternschaftsanerkennung für Personen jeden Geschlechts weitere Erleichterungen für Regenbogenfamilien schaffen. Darüber hinaus werden wir ein neues Institut der Verantwortungsgemeinschaft einführen. Danach sollten zwei oder mehr volljähriger Personen jenseits von Liebesbeziehungen oder der Ehe Verantwortung füreinander übernehmen dürfen.
Der Hasskriminalität gegen LGBTI wird nicht mehr Sprachlosigkeit der höchsten Staatsvertreter*innen entgegengehalten.
Wie sieht es beim Thema Hate Crimes aus? Nachdem ich im Bundestag in der letzten Legislaturperiode eine Strategie gegen LSBTI-feindliche Hasskriminalität vorgestellt habe, war mir das Thema besonders wichtig. Daher bin ich mega glücklich, dass in den Katalog des § 46 Abs. 2 StGB (Grundsätze der Strafzumessung) geschlechtsspezifische und homosexuellenfeindliche Beweggründe explizit aufgenommen werden. Das bedeutet, dass in der Praxis Queerfeindlichkeit ernster genommen und die queerfeindlichen Beweggründe der Täter*innen bei der Strafermittlung von Anfang an berücksichtigt werden müssen. Zudem soll Hasskriminalität aufgrund des Geschlechts und gegen queere Menschen durch die Polizeien von Bund und Ländern separat erfasst werden. Schliesslich kann ich versprechen, dass der Hasskriminalität gegen LGBTI nicht mehr Sprachlosigkeit der höchsten Staatsvertreter*innen entgegengehalten wird.
Was mich besonders stolz macht, ist der vereinbarte Entschädigungsfonds für trans- und intergeschlechtliche Personen, die aufgrund früherer Gesetzgebung von Körperverletzungen oder Zwangsscheidungen betroffen sind. Damit soll das erlittene Unrecht von staatlicher Seite entschädigt und ein Teil der menschenrechtswidrigen Praktiken wiedergutgemacht werden. Zudem gibt es weitere queerpolitische Erfolge: Blutspendeverbote werden abgeschafft, wenn nötig auch durch Gesetzesänderungen. Lücken beim Gesetz zum Verbot von sogenannten Konversionsbehandlungen und beim Verbot von Behandlungen an intergeschlechtlichen Kindern werden wir schliessen. Und nicht zuletzt soll die Situation von queeren Geflüchteten verbessert werden.
Wie schnell sollen diese Vorhaben umgesetzt werden? Vor allem: Wann kommen die Reform des TSG und der nationale Aktionsplan gegen LGBTIQ-Feindlichkeit? Über die konkreten Zeitpläne wurde nicht gesprochen. Mir wäre aber wichtig, dass in erster Linie Diskriminierung von Regenbogenfamilien beendet und das Selbstbestimmungsgesetz das Transsexuellengesetz ersetzt. Beim bundesweiten Aktionsplan für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt wollen wir zivilgesellschaftliche Organisationen beim dessen Erarbeitung beteiligen. Daher wird der Prozess ein bisschen länger dauern müssen.
Gab es im Bereich Queerpolitik Konfliktfelder oder bestand hier weitgehend Einigkeit zwischen den drei Parteien? Erfreulicherweise hat uns das Ziel eines gesellschaftspolitischen Aufbruchs geeint. Auch, wenn es in manchen Punkten Differenzen gab, war die Stimmung gut und das Ergebnis verspricht zahlreiche positive Änderungen für alle LGBTI in Deutschland.
Wird es im neuen Kabinett auch personell LGBTIQ-Sichtbarkeit geben? Da uns in der Arbeitsgruppe nicht um Personalie sondern um konkrete Verbesserung für queere Menschen ging, kann ich dazu zum jetzigen Zeitpunkt nichts sagen.
Wie stellt die neue Regierung sicher, dass überall in der Europäischen Union die gleichen Rechte für LGBTIQ gelten anstatt mit Füssen getreten zu werden wie etwa in Polen und Ungarn? Will die neue Koalition auch bilateral auf die Regierungen dieser Länder einwirken? Wenn ja: wie? In der Aussenpolitik wollen wir klare Kante gegen Queerfeindlichkeit zeigen. In der Europäischen Union werden wir dafür eintreten, dass Regenbogenfamilien und in der EU geschlossene gleichgeschlechtliche Ehen sowie Lebenspartnerschaften in allen Mitgliedsstaaten mit allen Rechtsfolgen anerkannt werden. Rechtsakte der EU, die gegen Diskriminierung aufgrund von Rassismus gelten, sollen künftig auch Homosexuellenfeindlichkeit und andere Diskriminierung umfassen. Und nicht zuletzt werden wir uns auf der Ebene der Vereinten Nationen für eine an den Yogyakarta Prinzipien orientierte Konvention für LGBTI-Rechte einsetzen.
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