Zoom will kein virtuelles «Massenmasturbieren» auf seiner Seite
Die derzeit vielgenutzte Videokonferenz-App will Online-Gruppensexpartys auf seiner Plattform unterbinden mit Verweis auf die User-Richtlinien, die «obszönes» und «unanständiges» Verhalten verbieten
In Zeiten von Social Distancing und Corona-Isolation erlebt die Videokonferenz-App Zoom gerade einen gigantischen Boom – auch bei LGBTIQ, die den visuellen Gruppenchat für Online-Sexpartys nutzen. Dagegen geht die Firma aus Kalifornien jetzt gezielt vor.
Es mag sein, dass die meisten von der 2011 gegründeten App erst kürzlich gehört haben, als sie aus dem Homeoffice heraus an Gruppen-Meetings teilnehmen sollten. In Corona-Zeiten ist es ja recht häufig Conference-Call-Zeit. Und weil das so super funktioniert, wurde Zoom über Nacht auch ein fester Bestandteil von virtuellen Sexpartys, die in Corona-Zeiten ein Art Safe Space bieten: man bleibt isoliert und ist trotzdem in Kontakt! (MANNSCHAFT berichtete über LGBTIQ-Einsamkeit während der Pandemie.)
Doch dem will das Unternehmen mit Sitz in San José nun ein Ende bereiten. Es verweist darauf, dass sowohl Nacktheit als auch Pornografie nicht erlaubt seien laut den «acceptable use»-Leitlinien der Firma. Wie ein Zoom-Sprecher zum Magazin Rolling Stone sagte, soll eine «Vielzahl von Mitteln» («mix of tools») angewandt werden, um Accounts zu identifizieren, die gegen die Regeln verstossen.
Neue Generation, die weiss, wie man gut vor der Kamera aussieht In dem Rolling Stone-Artikel ging es um genau solche Regelverstösse und die kreativ erweiterten Nutzungsmöglichkeiten von Zoom. Es wird ein Mann zitiert, der für den Privatclub NSFW tätig ist, spezialisiert auf «positive Sex- und Cannabis-Erfahrungen». Er sagt: «Ich glaube, dass inzwischen viele Leute wissen, was ihre gute Perspektive und ideale Ausleuchtung ist. Dank Zoom werden wir eine ganze Generation von Menschen haben, die gelernt hat, wie man echt super vor der Kamera aussieht.»
Ein Veranstalter von queeren Underground-Sexpartys, die fast jede Nacht via Zoom stattfinden, ergänzt: «Es ist fast so, als würde man Menschen mitnehmen zu einer angeleiteten Meditation. Alle sind in Gruppen, alle machen das gleiche. Und man versucht, die Leute anzufeuern, anzuregen, sich auf ihre Körper zu verlassen und ihren Fantasien Raum zu geben. Wir versuchen, den Teilnehmenden das Gefühl zu vermitteln, dass sie frei sind.»
Während Zoom in der Vergangenheit vor allem als Geschäftskundenplattform genutzt wurde, ist wegen Covid-19 die Beliebtheit von Zoom explodiert: in den letzten drei Monaten ist die Zahl der täglichen Nutzer von 10 Millionen auf 200 Millionen geklettert. Zoom wird derzeit für so ziemlich alles genutzt: von Klassentreffen über Proben für Musicals … bis zum Gruppensex.
Sich gegenseitig wertschätzende Wix-Gesellschaft Laut Rolling Stone und dem Underground-Sexpartyveranstalter, sei auf Zoom eine Art «mutual appreciation jerk-off society» entstanden, also eine (grob übersetzt) «sich gegenseitig wertschätzende Wix-Gesellschaft». Bei den erwähnten Untergrundpartys würden jeden Abend 20 bis 30 Männer immer wieder rein und raus klicken. Und wir reden hier nur von einer (!) von sehr vielen solchen Zoom-Partys weltweit.
Als der Artikel in der US-Ausgabe des Rolling Stone rauskam, fand es Zoom nicht wirklich positiv, plötzlich als Plattform in den Medien zu sein, auf der man sich gegenseitig beim Masturbieren zuschaut; Diversity hin oder her.
9 Erkenntnisse vom ersten Mal Camsex
Die Firma reagierte und betonte: «Unsere Nutzerrichtlinien verbieten ausdrücklich alle obszönen, unanständigen, illegalen oder gewalttätigen Aktivitäten bzw. Inhalte auf unserer Plattform. Wir fordern Nutzer auf, uns jeden Verdacht auf Verletzung der Richtlinien zu melden. Und wir werden selbst eine Mischung von Massnahmen anwenden, um solche Verletzungen aufzuspüren, dazu gehört auch maschinelles Lernen, um pro-aktiv Konten zu identifizieren, auf denen verbotene Dinge stattfinden.»
Datenschutz und Privatsphäre Natürlich fragte Rolling Stone nach, was in diesem Kontext «maschinelles Lernen» bedeute. Darauf gab Zoom vorerst keine Antwort, auch nicht darauf, wie genau die Firma herausfinden will, wer sich bei Zoom beim Massenmasturbieren zuschaut.
Fest steht lediglich, dass etwas passieren wird. Also, Achtung!
Ein queeres Nachrichtenportal überlegte öffentlich, ob man wieder zum guten alten Skype zurückkehren sollte. Denn: Gegen Zoom läuft aktuell eine Untersuchung wegen Verstoss gegen Datensicherheit und unzureichenden Schutz der Kundenprivatsphäre, wie die New York Times Ende März 2020 berichtete.
Angesichts von solchen Verfahren – die schon Unternehmen wie Facebook massiv in die Krise stürzten – könnte man meinen, Zoom habe momentan andere Sorgen, als masturbierende Nutzer ausfindig zu machen. Aber wir wissen aus unser aller Social-Media-Alltag: US-Firmen benehmen sich oft seltsam, wenn es um Sex geht, und ganz speziell wenn es sich um nicht-heteronormativen Sex handelt. (MANNSCHAFT berichtete über Zensurmassnahmen bei YouTube.)
Queerona versüsst das Zuhausebleiben
Gerichtsurteil zur Definition von «obszön» Interessant wird es vermutlich dann, wenn in den USA eine Klage eingereicht wird, die erzwingt, dass auch im Online-Kontext genauer definiert wird, was «obszön» und «unanständig» bedeutet. Das ist in den Vereinigten Staaten schon einmal geschehen, als 1957 der Oberste Gerichtshof ein Urteil zum Fall Roth vs. United States of America fällte. Dabei definierte Richter Brennan das Wort «obszön» neu und ebnete den Weg für eine Revolution auf dem Pornografiemarkt, speziell im schwulen Pornosektor; wobei man wissen muss, dass es schwule Pornopioniere waren, die die Klage angestrengt hatten.
Richter Brennan erklärte damals, dass Obszönität «absolut ohne sozial zu rechtfertigende Wichtigkeit» sei und befand, dass sie nicht geschützt sei durch das Recht auf freie Rede und die Freiheit der Presse. Er erklärte aber auch, dass «Sex und Obszönität nicht synonym» seien. Wenn man das 2020 auf Zoom anwendet – von Facebook ganz zu schweigen –, dann könnte tatsächlich eine Revolution bevorstehen. Betonung liegt auf: könnte.
Bei Brennan ging es damals um ein Staatsunternehmen wie die Post, bei Zoom, Facebook & Co. geht es um Privatunternehmen, die im «Privatraum» ihrer App bzw. Online-Community eigene Spielregeln definieren, die sich dann noch einmal nach den Spielregeln des App-Stores richten müssen. Und bei Apple und Google scheint das Urteil des Supreme Courts von 1957 bislang niemanden zu interessieren.
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