World Aids Day und Ziele 2030: So steht die Schweiz da
Eine Einschätzung von David Haerry, Vorsitz des Positivrats Schweiz
Die Schweiz hat sich dem Ziel der UNAIDS angeschlossen, die HIV-Epidemie bis 2030 zu beenden.1 David Haerry, Vorsitz des Positivrats Schweiz, über den aktuellen Zwischenstand.
Herr Haerry, wird die Schweiz das Ziel erreichen und die HIV-Epidemie bis 2030 eliminieren? Das wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Die Zwischenziele haben wir gut erreicht oder sogar übertroffen.2 Mit den Eliminationszielen hat sich die Schweiz bisher schwergetan. Diese sind nun im neuen nationalen Programm zur Überwachung, Verhütung und Bekämpfung sexuell übertragbarer Infektionen (NAPS) ab 2024 verankert.3 Ich hoffe, dass wir sie erreichen werden. Wer soll diese Ziele erreichen, wenn nicht wir?
Ist das Ziel der Elimination denn besonders herausfordernd? Die Elimination bedeutet, dass wir weitgehend keine neuen Ansteckungen mit HIV mehr verzeichnen. Hier haben wir bedeutende Fortschritte gemacht. Die PrEP4 ist wirksam und wird eingesetzt. Im Gegensatz zu anderen Ländern muss man sie in der Schweiz jedoch selbst bezahlen, was für Jüngere und Studierende ein Kostenproblem sein kann.2 Wir arbeiten gerade auf verschiedenen Ebenen daran, Lösungen zu finden, um besonders hohe Zugangsbarrieren zu überwinden.
Was uns auch beschäftigt ist die Frage: Weshalb stecken sich Leute heute an? Fachleute erhoffen sich Einblicke durch die «negative Kohorte» von SwissPREPared. Diese begleitet Menschen mit einem gewissen Risikoverhalten und will herausfinden, in welchen Fällen PrEP versagt und warum.5
Gibt es weitere Hürden? Es ist schwierig, gewisse Personengruppen zu erreichen, darunter etwa junge Männer, die ihr Coming-out haben und sich ausleben. Ich denke auch an Secondos aus konservativen Familienverhältnissen und an Männer aus Kulturkreisen, in denen homosexuelle Kontakte versteckt ausgelebt werden. Da müssen wir uns etwas einfallen lassen.
Sind Heterosexuelle relevant beim Erreichen des Ziels 2030? Wir müssen die Fälle von Heterosexuellen angehen, die sich in den Ferien mit HIV anstecken. Das betrifft zum Beispiel Frauen, die in afrikanische Länder reisen und Männer, die nach Asien gehen. Es ist keine grosse Gruppe, aber sie ist präventionsrelevant und schwierig ansprechbar.
Werfen uns COVID-19 oder die Affenpocken zurück? Das glaube ich nicht. Wir haben jedoch eine erhöhte Fragilität bei Menschen mit HIV festgestellt und bei Menschen, die nicht ausgehen durften. Aids-Hilfen, Checkpoints und Fachärzt*innen beobachten vermehrte Fälle von Depressionen. Was mich langfristig mehr beunruhigt, ist der Einfluss sozialer Medien bei der jüngeren Generation.
Wie meinen Sie das? Leute verbringen viel mehr Zeit im virtuellen Raum, statt sich physisch zu treffen. Die Sozialkompetenz nimmt ab, das wirkt sich auch auf die Kommunikation beim Kennenlernen und beim Sex aus. Der Mensch ist nicht derselbe, wie er es vor zwanzig Jahren war. Wir müssen verstehen, wie sich das auf unsere Arbeit auswirkt.
Wie steht die Schweiz im internationalen Vergleich da bezüglich 2030? Die Schweiz schneidet besonders bei der Therapie gut ab.2 In den Spitälern haben wir ein relativ offenes Gesprächsklima und eine gute Betreuung von HIV-Patient*innen. Die Leute, die diagnostiziert werden, haben hohe Chancen eine Therapie zu bekommen, in die Kontrolle zu gehen und ein Medikament zu nehmen. In anderen Ländern klemmt es vielleicht beim Gesprächsklima oder beim Follow-up. Patientenvertreter*innen aus Ländern in Süd- und Osteuropa sagten mir, dass es patientenunfreundliche Strukturen sowie Diskriminierungen im Gesundheitssystem gibt. In meiner Einschätzung ist die Schweiz ähnlich gut unterwegs wie die Niederlande, Schweden oder Dänemark.
Das Zwischenziel 90-90-90 hat die Schweiz erreicht. Was denken Sie hat zu diesem Erfolg beigebracht? Gute und verträgliche Therapien und eine gute Behandlung in den Kliniken, dazu eine ausgezeichnete Adhärenz – also eine gute Einhaltung der vereinbarten Therapie. Das liegt auch daran, dass die Therapie heute sehr einfach geworden ist. Morgens nach dem Aufstehen nimmt man bei der Morgentoilette eine Pille ein. Man muss keine Medikamente mehr ins Büro mitnehmen oder abends daran denken. Es gibt vermutlich zahlreiche Wohngemeinschaften oder Partnerschaften, in denen die anderen nichts von der HIV-Therapie wissen. Was wir bei HIV betreffend Adhärenz erreicht haben, ist sensationell.6
Wie sieht es mit Diskriminierung und Stigmatisierung aus: Gibt UNAIDS da auch Ziele heraus? Damit schlagen wir uns seit 40 Jahren herum. Es ist schwierig, ein Ziel zu setzen. In gesellschaftlichen Umfeldern wie Familie und Freundeskreis hat sich die Situation verbessert. Nach wie vor schwierig ist es meines Erachtens am Arbeitsplatz oder wenn man jemand Neues kennen lernt. Das hat mit tiefsitzenden Ängsten zu tun.
Weiterhin müssen wir uns darauf konzentrieren, wie Menschen mit HIV leben. Die Einsamkeit und das mentale Wohlbefinden sind ein Thema, das durch COVID-19 verschärft wurde. Das Älterwerden mit der Therapie ist nicht so einfach, wie angenommen. Einige Patient*innen legen an Gewicht zu, andere entwickeln Probleme mit der Leber.7 Wie sieht die Therapie im Altersheim aus? Da gibt es noch einiges zu tun. Auch wenn wir die Ziele 2030 erreichen: Die Menschen, die mit HIV leben, dürfen wir nicht vergessen.
ViiV Healthcare
ViiV Healthcare fokussiert sich auf die Erforschung neuer Medikamente, um die Behandlungsergebnisse für Menschen mit HIV zu verbessern. Damit erreichen wir ein besseres Verständnis für die Krankheit und wie sie verhindert und therapiert werden kann.
Wir stärken das Bewusstsein von Menschen mit HIV für ihre Gesundheit und setzen uns dafür ein, dass Vorurteile gegenüber HIV abgebaut werden. – viivhealthcare.com
NP-CH-HVU-WCNT-230004/02.23
1 UNAIDS. Fast-track commitments to end AIDS by 2030. Verfügbar unter: https://www.unaids.org/en/resources/documents/2016/fast-track-commitments. Aufgerufen am: 17.05.2023.
2 Bundesamt für Gesundheit BAG. Sexuell übertragene Infektionen und Hepatitis B/C in der Schweiz im Jahr 2021: eine epidemiologische Übersicht. BAG Bulletin45 vom 7.11.2022. Verfügbar unter: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/zahlen-und-statistiken/zahlen-zu-infektionskrankheiten/hiv-sti-statistiken-analysen-trends.html.
3 Das Interview wurde Anfang März 2023 geführt. Für den Entwurf des neuen nationalen Programms war eine öffentliche Konsultation mit anschliessender Aktualisierung im Frühsommer 2023 geplant, bevor dieses vom Bundesrat frühestens per Januar 2024 in Kraft treten kann. Siehe auch: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/strategie-und-politik/nationale-gesundheitsstrategien/nationales-programm-hiv-und-andere-sexuell-uebertragbare-infektionen/erarbeitung-nachfolgeprogramm.html
4 PrEP steht für Prä-Expositions-Prophylaxe und ist ein Medikament in Tablettenform. Richtig eingenommen, schützt es HIV-negative Menschen vor einer Ansteckung mit HIV.
5 Weber M, Nicca D, Schmidt AJ, et al. HIV-Prä-Expositionsprophylaxe in der Schweiz. Swiss Med Forum. 2021;21(3738):632-6.
6 Glass TR, De Geest S, Weber R, et al. Correlates of self-reported nonadherence to antiretroviral therapy in HIV-infected patients: the Swiss HIV Cohort Study. J Acquir Immune Defic Syndr. 2006;41(3):385-92.
7 Chawla A, Wang C, Patton C, et al. A Review of Long-Term Toxicity of Antiretroviral Treatment Regimens and Implications for an Aging Population. Infect Dis Ther. 2018;7(2):183-95.
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