Wo 73 Prozent für die Wiederwahl von Jair Bolsonaro stimmen
Zu Besuch in der deutschesten Stadt Brasiliens
Der brasilianische Staatschef Jair Bolsonaro gilt als Rassist, der Schwule hasst, die Corona-Pandemie verharmlost und den Regenwald auf dem Gewissen hat. Trotzdem kann der Ex-Militär auf breite Unterstützung zählen. Die Stimmen der deutschstämmigen Wähler im Süden sind ihm sicher.
Von Martina Farmbauer und Denis Düttmann, dpa
Vor dem Restaurant «Wunderwald» in Pomerode hängen die brasilianische und die deutsche Flagge, in der Gaststube des schmucken Fachwerkhauses werden Schlachtplatte, Eisbein und Gulasch serviert. Einwanderer aus Pommern gründeten einst das kleine Städtchen. Heute gilt es als der deutscheste Ort Brasiliens, weil der Anteil Deutschstämmiger besonders hoch ist. Und Pomerode ist eine Hochburg des rechten Präsidenten Jair Bolsonaro. Bei der ersten Runde der Präsidentenwahl vor drei Wochen stimmten mehr als 73 Prozent der Wähler für den Amtsinhaber, sein linker Herausforderer Luiz Inácio Lula da Silva kam gerade mal auf gut 18 Prozent.
Er ist der beste Präsident, den Brasilien je hatte.
Auch bei der Stichwahl am kommenden Sonntag kann Bolsonaro wieder auf seine treuen Anhänger*innen in Pomerode zählen. «Er ist der beste Präsident, den Brasilien je hatte», sagt «Wunderwald»-Besitzer Sebastião Mazico Bernardino. Er habe die Wirtschaft angekurbelt und für Sicherheit gesorgt. «Wissen Sie, warum das Haus da drüben keine Gitter vor den Fenstern hat? Wenn sich einer nähert, bekommt er eine Ladung Schrot ab», sagt der 63-Jährige.
Zahl der legalen Schusswaffen in den Händen von Zivilisten stieg um 187 Prozent Schützenvereine sind ein Erbe der deutschen Einwanderer, allein in Pomerode gibt es 15. Unter Bolsonaro haben die Brasilianer ordentlich aufgerüstet: Der Ex-Militär lockerte das Waffenrecht, und die Zahl der legalen Schusswaffen in den Händen von Zivilist*innen stieg während seiner Amtszeit um 187 Prozent auf über eine Million.
Im Ausland gilt Bolsonaro als vulgärer Rüpel, der Frauen, Schwule, Schwarze und Indigene beleidigt, bei Wahlkampfauftritten mit seiner Potenz protzt und den Regenwald auf dem Gewissen hat. Doch in Brasilien kann er auf breite Unterstützung zählen. Entgegen aller Umfragen kam er in der ersten Wahlrunde auf starke 43,6 Prozent knapp hinter Lula (MANNSCHAFT berichtete).
Bolsonaro hat immer wieder Zweifel am Wahlsystem gestreut und angedeutet, das Ergebnis möglicherweise nicht anzuerkennen. Radikale Anhänger des Hauptmanns der Reserve forderten bei Demonstrationen unverhohlen einen Militärputsch gegen die Justiz, die ihn mehrfach in die Schranken wies.
Die Ideologie des 67-Jährigen wird als «Bala, Boi e Bíblia» (Kugel, Vieh, Bibel) beschrieben. Die Waffenlobby, die mächtigen Landwirte und die Evangelikalen sind seine Wählerbasis.
Auch im kleinen Pomerode, das etwa auf der Hälfte der Strecke zwischen Sao Paulo und Porto Allegre liegt, fallen die vielen evangelikalen Kirchen auf. Gilvan da Silva Marinho, der andächtig auf einer Bank unter dem Maibaum sitzt, ist ebenfalls Mitglied einer protestantischen Freikirche. In seiner Gemeinde kennt der 59-Jährige keinen, der Lula wählen würde. «Bolsonaro hat den Segen des Pastors, weil er ehrlich ist», sagt er. (Tatsächlich behauptete er u.a., die WHO wolle Kinder homosexuell machen – MANNSCHAFT berichtete).
Im Wahlkampf hat Bolsonaro seinen Rivalen Lula immer wieder als Dieb bezeichnet. 2018 wurde Lula wegen Korruption und Geldwäsche zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Im vergangenen Jahr hob ein Richter am Obersten Gerichtshof das Urteil auf – allerdings nur aus formalen Gründen. Aber auch gegen Bolsonaro gibt es Korruptionsvorwürfe. So sollen er und seine Angehörigen in den vergangenen 30 Jahren über 100 Immobilien erworben haben – rund die Hälfte wurde Medienberichten zufolge in bar bezahlt.
Doch für viele seiner Anhänger*innen ist Bolsonaro schlicht das letzte Bollwerk gegen die Roten. «Er verteidigt die Werte der Mehrheit hier, die Familie, die Arbeit», sagt Restaurant-Mitarbeiterin Fernanda Flohr Renke. «Der Süden von Brasilien ist sehr entwickelt. Die meisten unterstützen ihn, weil sie nicht wollen, dass der Kommunismus ins Land kommt.»
Bolsonaro ist es gelungen, die zuvor gespaltene Rechte hinter sich zu vereinen. In der ersten Wahlrunde zogen viele seiner Gefolgsleute in den Kongress ein oder eroberten Gouverneursposten. «Zu den Kernwählern gehören Leute, die Bolsonaros Aussagen im Laufe der Zeit übernommen haben», sagt die Politikwissenschaftlerin Camila Rocha. Sie kritisieren etwa die traditionellen Medien, sprechen von Gott, Vaterland und Freiheit.
Mit Bolsonaro können wir wieder stolz auf Brasilien sein.
Bolsonaro profitiert ausserdem davon, dass viele Brasilianer eine weitere Amtszeit von Ex-Präsident Lula (2003-2010) um jeden Preis verhindern wollen. «In Brasilien ist Lula sehr umstritten», sagt der deutsch-brasilianische Politikwissenschaftler Oliver Stuenkel von der Stiftung Getúlio Vargas. «Auch wegen dem, was nach seinen Amtszeiten passiert ist.» Mit der Fussball-WM 2014 und den Olympischen Spielen 2016, für die seine Regierung die Zuschläge bekommen hatte, übernahm sich das aufstrebende Land. Mehr als zwei Millionen Menschen demonstrierten damals für Schulen und Krankenhäuser statt Stadien.
«Bolsonaro hat eine klare Linie, ist direkt, vielleicht mehr wie ein Deutscher. Das gefällt mir sehr», sagt Rogério Siewert auf Deutsch. Seine Vorfahren setzten 1868 von Hamburg nach Brasilien über. In einem Haus am Ende von Pomerodes Fachwerk-Strasse zeigt er Besuchern wie seine Ahnen damals lebten. «Mit Bolsonaro können wir wieder stolz auf Brasilien sein.»
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