Lord Battersea: Wie überlebt man einen Sex-Skandal?
Erstmals wird die Geschichte von Cyril Flower und seinem Escort-Ring erzählt
In seinem Buch «A Secret Between Gentlemen» schildert Peter Jordaan LGBTIQ-Geschichte, über die 120 Jahre geschwiegen wurde.
Der Untertitel des neuen Buchs lautet «Lord Battersea’s Hidden Scandal and the Lives It Changed Forever», zu Deutsch: «Der versteckte Skandal rund um Lord Battersea und die Leben, die er für immer veränderte.» Es ist eine Geschichte, die um 1902 ihren Anfang nahm.
Es ging um strafbare «Beschaffung» von jungen Männern für sexuelle Zwecke, also so etwas wie einen Escort-Service. Diesen nahmen in diesem Fall etwa 30 Mitglieder aus adligen Familien in Grossbritannien in Anspruch, darunter auch Angehörige des Parlaments und der Royal Family.
An der Spitze des Escort-Services stand der Parlamentarier Cyril Flower, Lord Battersea. Er hat den Londoner Stadtteil entwickelt, der nach ihm benannt ist. Und er galt als einer der attraktivsten Männer im britischen Parlament. Er war verheiratet mit der Millionenerbin Constance de Rothschild und lebte in unvorstellbarem Luxus.
In jenen Jahren wurde die Aristokratie von der britischen Polizei ebenso wie von der Politik weitgehend geschützt. Sollte es zu Skandalen kommen, wie hier, wurden Details so weit wie möglich geheim gehalten.
«Molly Houses» Natürlich gab es auch im 19. Jahrhundert Männer, die Sex mit Männern haben wollten. Viele hochgestellte Persönlichkeiten suchten sich – oft gegen Bezahlung – dafür Partner in der Arbeiterklasse, beim Militär oder der Marine. Sie gingen in Männerbordelle, sogenannte «Molly Houses». Oder sie wandten sich an «Pimps», die Treffen arrangierten.
Allerdings mussten sie dann immer befürchten, erpresst zu werden, wobei es um hohe Geldbeträge ging und um möglichen gesellschaftlichen Ruin. Deshalb schien es besonders attraktiv für Adelige, sich für die Beschaffung von Sexpartnern nicht an zwielichtige Personen zu wenden oder an fragwürdige Orte zu begeben, sondern jemandem aus ihren eigenen Reihen zu vertrauen: eben jenem Lord Battersea.
Die sogenannte Battersea-Affäre begann, als Anfang des 20. Jahrhunderts Briefe entdeckt wurden. Einer wurde bei einem Marinerekruten gefunden. In dem Schreiben wurde eine sexuelle Beziehung zu einem älteren Gentleman angedeutet. Daraufhin begannen Nachforschungen, bei denen auch ein weiterer junger Matrose ins Visier genommen wurde. Allerdings galt das Interesse der Polizei weniger den beiden Seefahrern, sondern den Personen, zu denen sie «verbotene» Beziehungen unterhielten.
Polizei ist «geschockt» Die Polizei entdeckte zwei hochgestellte Persönlichkeiten, die mit diesem Fall zu tun hatten: Bernard Fraser, Sohn einer reichen schottischen Familie, der andere war Arthur Thorold, Student in Oxford und anglikanischer Geistlicher.
Es stellte sich heraus, dass sowohl Fraser als auch Thorold damit beschäftigt waren, über Jahre hinweg junge Männer zu rekrutieren, für sich selbst, aber auch für Standesgenossen. Als die Polizei weiterforschte, kam sie schliesslich auf die Spur von Lord Battersea und anderen Männern aus höchsten Regierungskreisen.
Die Polizei war wegen dieser Entdeckungen «geschockt», schreibt Jordaan. Sie fragte sich, wie sie weiter verfahren sollte.
Man entschied sich, mit der Untersuchung fortzufahren. Gleichzeitig wurde der Fall aber geheim gehalten, keine Details gelangten an die Presse. Man verhaftete schlussendlich Fraser und Thorold als eine Art Bauernopfer, um alle anderen frei gehen zu lassen.
Fraser und Thorold wurden zu Gefängnisstrafen mit harter Arbeit verurteilt, einer bekam zehn Jahre, der andere fünf. Gleichzeitig gewährte man Battersea und seiner Entourage Immunität – Jordaan beschreibt in seinem Buch den opulenten Lebensstil des Lords und seine vielen wohltätigen Aktivitäten, aber auch seinen politischen Einfluss. Diesen Lebensstil setzte Lord Battersea ungehindert fort, nachdem Fraser und Thorold abgeurteilt worden waren.
Nach der Gefängnisstrafe schafften es Fraser und Thorold, sich ein neues Leben aufzubauen. Thorold ging nach Australien und wurde Leiter einer Schule. Fraser flüchtete nach Algerien, das damals zu Frankreich gehörte. Mit seinem geerbten Familienvermögen unterstützte er vor Ort einen jungen algerischen Komponisten, mit dem er eine intime Beziehung unterhielt.
«Diese Geschichte lag ein Jahrhundert im Verborgenen» In der Gay & Lesbian Review schreibt William Burton, dass es sich bei «A Secret Between Gentlemen» um ein «detailliert recherchiertes Buch» handle, das «nicht nur eine Episode in der britischen Geschichte des frühen 20. Jahrhunderts» beschreibe, sondern uns «einen tiefgründigen Einblick in den schwule Geschichte jener Zeit» bietet.
«Die Erzählung ist spannend, gefüllt mit Sex und Kriminalität, politischem Skandal, extravaganten Lebensweisen und einem unfassbaren Cover-Up», so Burton. Anders als Oscar Wilde nutze Lord Battersea seine Verbindungen und seinen Einfluss, um der Strafverfolgung und dem Gefängnis zu entgehen. «Diese Geschichte lag ein Jahrhundert im Verborgenen», schreibt Burton. Nun wird sie erstmals vollumfänglich erzählt.
Man darf gespannt sein, ob diese Battersea-Geschichte demnächst Basis für einen Film oder eine Mini-Serie à la «A Very English Scandal» wird.
In London hat unlängst das erste LGBTIQ-History-Museum Grossbritanniens eröffnet (MANNSCHAFT berichtete).
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