Wie Russland ein trans Mädchen aus einem Buch tilgte
In der russischen Ausgabe von «Good Night Stories for Rebel Girls» findet sich stattdessen eine weisse Seite
Bücher mit LGBTIQ-Themen werden in Russland mit so strengen Verkaufsbedingungen versehen wie bei uns nur Pornos. Ein aktuelles Beispiel zeigt, auf welch kreative Ideen die Verlage dabei kommen.
Liza Lazerson reibt sich nachts in Moskau erstaunt die Augen. Die feministische Bloggerin blättert nochmals durch ihre russischen Ausgabe von „Good Night Stories for Rebel Girls“ („Gute-Nacht-Geschichten für Rebellenmädchen“) und tatsächlich: Das Buch von Elena Favilli und Francesca Cavallo enthält nur 99 Geschichten, nicht wie auf dem Cover angekündigt 100. Dass eine Seite leer sei, damit jede Leserin ihre eigene Geschichte hinzufügen könne, wie dort erklärt wird, überzeugt sie nicht. Lazerson berichtet darüber. Und erhält von einem ihrer Follower prompt die fehlende Geschichte aus der französischen Ausgabe, wie die Thomas Reuters Foundation berichtet. Es ist die von Coy Mahis, der trans Teenagerin, die 2013 als Elfjährige in den USA durchsetzen konnte, in ihrer Schule künftig die Mädchentoilette benutzen zu dürfen. Eine kleine Rebellion mit großem medialem Echo.
In Russland darf man das jedoch nicht hören. Auf Lazersons Anfrage, weshalb die Geschichte denn entfernt worden sei, reagiert der Verlag zunächst nicht. Etwas später teilt er einer russischen Nachrichtenagentur mit, man musste aufgrund des Verbotes der Ausbreitung von „Propaganda für nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen“ eben so reagieren. Das Gesetz existiert landesweit seit 2013 und verbietet jegliche positiven Äußerungen über Homosexualität in Anwesenheit von Minderjährigen, in der Öffentlichkeit und den Medien. Allgemein wird es als Putins Zugeständnis an die konservative, stark von der Orthodoxen Kirche geprägte russische Gesellschaft gewertet.
Aufklärung nötig In der Tat: Bei einer Umfrage unter 1.600 Erwachsenen aus 45 Regionen in 2013 äußerten sich nur acht Prozent dafür, dass Homosexuellen dabei geholfen werden müsse, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Und zwar, so wie sie eben sind. Die große Mehrheit wollte LGBTIQ-Menschen heilen, einsperren oder gar vernichten. Übrigens: 89 Prozent der Befragten kannten gar keinen Schwulen, bzw. gar keine Lesbe. Die Zahlen belegen, wie dringend nötig Aufklärung wäre, die durch das „Anti-Gay-Propaganda-Gesetz“ aber so gut wie unmöglich geworden ist. Bücher mit LGBTIQ-Themen dürfen nur noch in Folie eingeschweisst und dem Aufdruck „18+“ verkauft werden.
„Als Leserin bin ich damit nicht mehr in der Lage durchzublättern und zu entscheiden, ob ich das Buch brauche“, sagt dazu die Autorin und Journalistin Lena Klimova der Foudation. Klimova hat auch die Onlinegruppe „Kinder 404“ ins Leben gerufen – eine Beratungsangebot für queere Teenager. Zwei Bücher hat sie herausgegeben, eines über den Kampf von LGBTIQ-Teenagern in Russland, und einen Ratgeber für junge Mädchen. In beiden geht es zwangsläufig auch um Sex, weshalb Klimova per Self-Publishing veröffentlicht, in Folie verschweißt und „18+“ drauf klebt. „Die einzige Option“, seufzt sie. Doch sie sorgt dafür, dass ihre Bücher auch im Internet verfügbar sind, für jedes Alter. „Es ist einfach wichtig, dass Jugendliche sehen sie sind nicht allein“, bekräftigt die Autorin.
Russisch, echt russisch! Die „Gute Nacht Geschichten für Rebellenmädchen“ erfüllen diese Aufgabe in Russland leider nicht, bzw. nur für alle, die nicht das gleiche Geschlecht begehren. Oder eben für jene, die kuschen, ihre Homosexualität verschweigen. Mutige Russinnen wie Liza Lazerson und Lena Klimova sind es, die darüber reden, stellvertretend. Und vielleicht, wer weiß, motivieren sie ja einige weitere Rebellenmädchen dazu, tatsächlich ihre eigenen Geschichten auf die leeren, weißen Seiten zu schreiben. Daraus, könnte dann ein neues Buch werden. Es wäre russisch, echt russisch, sozusagen.
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