WHO-Alarm wegen Affenpocken? Neue Beratungen in Genf
Der weitaus grösste Teil der Betroffenen sind Männer, die Sex mit Männern haben
Die Corona-Pandemie ist noch nicht vorbei, da alarmiert die Häufung von Affenpocken-Nachweisen Gesundheitsbehörden. Droht neben Corona nun eine weitere «Notlage von internationaler Tragweite»?
Von Gisela Gross und Christiane Oelrich, dpa
Die Affenpocken haben sich in kurzer Zeit rund um den Erdball ausgebreitet. In Deutschland sind seit Mitte Mai mehr als 2100 Fälle gemeldet worden. Ein von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einberufener Notfall-Ausschuss tagt deshalb an diesem Donnerstag zum zweiten Mal innerhalb von vier Wochen. Ist die Lage so gefährlich, dass er das Ausrufen einer «Notlage von internationaler Tragweite» empfehlen wird?
Die WHO will, dass ausgewiesene Experten auf dem Fachgebiet beurteilen, ob die öffentliche Gesundheit in grösserem Umfang bedroht ist. Die WHO ist über die Häufung der gemeldeten Fälle besorgt. Die US-Gesundheitsbehörde CDC zählt für dieses Jahr schon mehr als 14 000 Fälle in Ländern, in denen das Virus bislang praktisch unbekannt war. Nur in Afrika gab es zuvor einige Länder, die immer mal Affenpocken-Ausbrüche meldeten. «Wir wollen nicht warten, bis die Situation ausser Kontrolle geraten ist», sagte WHO-Spezialist Ibrahima Socé Fall, als der Ausschuss im Juni das erste Mal einberufen wurde.
Wie beurteilten die Expert*innen die Lage? Sie stellten zwar einen «Notfall-Charakter der Situation» fest, fanden aber, dass mehr Informationen etwa über die Infektionswege und die Symptome der Krankheit nötig seien, um zu beurteilen, ob es sich um eine «Notlage internationaler Tragweite» handelt. Ausserdem hielten sie fest, dass die Fallzahlen in manchen Ländern ein Plateau erreicht hätten oder möglicherweise fielen.
Die Erklärung einer Notlage (PHEIC – Public Health Emergency of International Concern) ist die höchste Alarmstufe, die die WHO zünden kann. Unmittelbare Auswirkungen hat das nicht. Vielmehr soll dies die Aufmerksamkeit der 194 Mitgliedsländer erhöhen. Der Expertenrat kann empfehlen, dass Kliniken und Praxen nach Fällen Ausschau halten und mit Aufklärung dafür sorgen sollen, dass sich möglichst wenig Menschen anstecken. Der Rat begutachtet auch das Risiko einer internationalen Ausbreitung und Risiken für den Reiseverkehr. Welche Schlüsse Regierungen daraus ziehen, bleibt ihnen selbst überlassen.
Muss die Welt sich auf eine Pandemie wie mit dem Coronavirus einstellen? Nein. Zwar hat die WHO für Sars-CoV-2 am 30. Januar 2020 eine «Notlage von internationaler Tragweite» erklärt. Aber die Krankheiten lassen sich überhaupt nicht vergleichen.
Affenpocken werden nach bisherigem Kenntnisstand hauptsächlich durch engen Körperkontakt von Mensch zu Mensch übertragen. Nach WHO-Angaben sind der weitaus grösste Teil der Betroffenen Männer bis 65 Jahre, die Sex mit Männern haben (MSM). Generell kann sich aber jeder infizieren, der engen körperlichen Kontakt mit Infizierten hat.
Dagegen verbreitet sich das Coronavirus Sars-CoV-2 über virenhaltige Aerosole, die beim Atmen, Husten und Sprechen von Infizierten entstehen. Die Aerosole können über längere Zeit in der Luft bleiben, was zur schnellen Ausbreitung beiträgt.
Bei Corona gab es am 30. Januar 2020 gut 20 000 bestätigte und wahrscheinliche Infektionen mit dem neuen Virus in China, sowie 83 gemeldete Fälle in anderen Ländern.
Was spricht für und was gegen die Erklärung einer globalen Notlage? Dagegen spricht: Die Infektionszahlen steigen nicht explosiv, weil die Übertragung nach jetzigem Kenntnisstand deutlich schwieriger ist als bei Corona. Bislang wurden praktisch keine schweren und tödlichen Krankheitsverläufe beobachtet. Es gibt auch bereits einen Impfstoff (MANNSCHAFT berichtete). Der wurde gegen Menschenpocken entwickelt, ist aber auch gegen Affenpocken wirksam.
Dafür spricht: Das Virus verhält sich anders als bislang bekannt war. Affenpocken sind eigentlich eine Krankheit bei Nagetieren in West- und Zentralafrika. Vereinzelt springen sie dort auf Affen und auf Menschen über. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist bei engem Kontakt möglich. Neu ist die Ausbreitung in Europa und anderswo.
Die WHO ist früher mehrfach kritisiert worden, weil sie zu spät auf Bedrohungen reagiert hat. Nach dem Ebola-Ausbruch in Westafrika 2013 hat sie erst im August 2014 mit Notfallmassnahmen reagiert. Mehr als 11 000 Menschen kamen ums Leben. Auch bei Corona wurde ihr das vorgeworfen. Problem war aber mehr, dass sich viele Länder – auch Deutschland – trotz aller WHO-Warnungen im Januar 2020 zu lange fälschlicherweise gut gewappnet fühlten. Die WHO hat inzwischen mehr als 560 Millionen Corona-Infektionen und mehr als 6,3 Millionen Todesfälle registriert. Sie geht von einer hohen Dunkelziffer aus.
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