Ursula von der Leyen – «gute Nachrichten aus Brüssel»
Alexander Vogt, Bundesvorsitzender der LSU, erklärt in einem Gastbeitrag, warum er die Personalie aus LGBTIQ-Sicht begrüsst
Nach zähen Verhandlungen haben sich die EU-Regierungschefs auf Ursula von der Leyen (CDU) als Chefin der Kommission geeinigt – und damit viel Kritik auf sich gezogen. Die Entscheidung im kleinen Kreis auszukarten, stösst u. a. bei SPD und Opposition auf Unverständnis. Alexander Vogt, Bundesvorsitzender der Lesben und Schwulen in der Union (LSU), erklärt in einem Gastbeitrag für MANNSCHAFT, warum er die Personalie aus LGBTIQ-Sicht trotzdem begrüsst.
Nachdem die Nominierung Ursula von der Leyens als Präsidentin der EU-Kommission bekannt wurde, wollte ein norwegischer Freund wissen: «Gute Nachrichten aus Brüssel, Alex?»
Bekommt die SPD einen schwulen Vorsitzenden?
Ursula von der Leyen hat sich in unserer Partei immer vernehmbar gegen Diskriminierung und für Gleichberechtigung ausgesprochen, auch wenn das vielen in der CDU gegen den Strich ging. Für uns als LSU war und ist sie eine unserer wertvollsten Verbündeten innerhalb der Union. Sie war die erste hohe Amtsträgerin in unserer Partei, die öffentlich das volle Adoptionsrecht einforderte, und eine vehemente Verfechterin der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare.
Ursula von der Leyen hat Bundeswehr einladender für LGBTIQ gemacht Darüber hinaus gebührt ihr unzweifelhaft das Verdienst, die Bundeswehr offener und einladender für LGBTIQ gemacht zu haben. Ende Januar 2017 fand dazu in Berlin ein Workshop statt, der relativ hohe Aufmerksamkeit in den Medien erfuhr aber aus manchen Kreisen der Bundeswehr wie der Union auch heftig kritisiert wurde. Manche meinten, sie solle sich auf drängendere Angelegenheiten konzentrieren, die Kern der Verteidigungspolitik näher stünden wie Ausrüstung, Ausbildung, Rekrutierung usw. Ich halte diese Wahrnehmung aus zwei Gründen für falsch.
Ursula von der Leyens Bemühen um und Einsatz für LGBTIQ erfahren deswegen mehr Echo in den Medien, weil sie – zumindest für die Bundeswehr und zumal für eine christdemokratische Amtsinhaberin – so revolutionär neu sind. Und seien wir mal ehrlich – mit ihrer Linie bemüht sie sich doch ausdrücklich um neue Rekrut*innen. Die Bundeswehr hat als reine Berufsarmee zunehmend ein Rekrutierungsproblem. Was liegt da näher, als eben auch LGBTIQ für die Armee zu gewinnen?
Auch aus Diversity-Aspekten ein Gewinn Bei aller Kritik, die man ihr entgegenbringt, was haben die Menschen erwartet? Wunder? Es war eine Mammutaufgabe, die sie von ihren Vorgängern übernommen hatte. Der Posten an der Spitze des Verteidigungsministeriums gilt als «Schleudersitz». Aber sie hat ihn seit sechs Jahre inne. Das sagt einiges aus. Und sie verlässt ihn nicht, weil sie muss, sondern weil sie einen anderen Ruf erhalten hat. Zuvor war sie u. a. bereits Ministerin für Familie und Jugend und Ministerin für Arbeit und Soziales, spricht fliessend Englisch und Französisch, ist promovierte Medizinerin, sie ist auf internationaler Ebene durch Ihr Amt als Verteidigungsministerin bestens vernetzt und hoch respektiert. Ausserdem wäre sie als erste Frau auf diesem Posten auch aus Diversity-Aspekten ein Gewinn. Sie ist absolut geeignet für diese Amt.
Keine Mauschelei im Hinterzimmer! Ihre Nominierung ist ein Kompromiss der EU-Regierungschefs. Nach vehementer Opposition einiger europäischer Staaten gegen Manfred Weber, aber auch gegen Frans Timmermans musste neu verhandelt werden. In Ermangelung anderer schriftlicher Vereinbarungen oder einer europäischen Verfassung sind die Regierungschefs der Mitgliedstaaten nach wie vor das Organ, das über die Nominierung entscheidet. In Zeiten von Konflikten und Instabilität sollten wir uns tunlichst daran halten. Das war also keine Mauschelei im Hinterzimmer.
Offizielle «Outing-Tage»? Streit um Diversity bei der Bundeswehr
Dennoch ist das Europäische Parlament verständlicherweise verschnupft, denn eine Vereinbarung wurde nicht eingehalten. Aber man soll es den Regierungschefs anlasten, die es zu verantworten haben, nicht denjenigen, die sich bemüht haben, eine tragfähige Lösung zu finden und dies auch geschafft haben. Unter letzteren ist besonders unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel hervorzuheben.
Am Ende stand ein Kompromiss, den – wohlgemerkt – selbst ein Helmut Schmidt einst als das Wesen der Demokratie bezeichnete. Vielleicht mal was zum Nachdenken auch für die SPD.
Eine Ablehnung würde uns als Community mehr schaden als nutzen
Ich wünsche mir für die Zukunft auch eine weitergehende Demokratisierung des Wahlprozesses. Ich hoffe aber auch, dass Ursula von der Leyen die Mehrheit des Parlaments überzeugen kann und ihre Nominierung bestätigt wird. Eine Ablehnung würde zu mehr Unsicherheit und Instabilität führen, und genau das braucht Europa jetzt nicht. Auch uns als Community würde das mehr schaden als nutzen.
Von der Leyen versicherte uns als LSU ohne Wenn und Aber: «Mir liegen die Rechte aller Menschen – unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität – sehr am Herzen. Die Vielfalt der Menschen ist kein Diskriminierungsgrund, sondern eine Chance und ein Mehrwert unserer Gesellschaft.» Als langjährige unermüdliche Unterstützerin und für ihre Verdienste gegenüber LGBTIQ verlieh ihr die LSU in Niedersachsen 2018 die Ehrenmitgliedschaft.
Um auf die Frage zurückzukommen, die mir mein Freund aus Norwegen gestellt hatte: «Ja, lieber Helge, aus meiner Sicht definitiv gute Nachrichten aus Brüssel!»
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