Trans Personen erzählen: «Immer weitermachen. Egal was andere sagen»

Symbolbild
Symbolbild (Bild: Pexels, Pixabay)

Im Buch «Wir sind wir» erzählen 20 junge trans Personen von ihrem Lebensweg. Sie berichten von Schwierigkeiten, von Erfolgserlebnissen, von verzweifelten Situationen und davon, wie sie sich letztendlich nicht haben entmutigen lassen.

Luis, 27, aus Nordrhein-Westfalen, erzählt ebenfalls in dem Buch seine Geschichte. Im Interview mit MANNSCHAFT berichtet er von seelischen Notlagen und von der Kraft, an sich selbst zu glauben. So will er anderen Mut machen.

«Wir sind wir – Junge trans* Menschen erzählen»
(Bild: Fischer Sauerländer Verlag)

Luis, du hast bei dem Buch «Wir sind wir» mitgemacht, in den trans Menschen ihre Geschichten erzählen. Was hat dich daran gereizt?

Je mehr Leute darüber sprechen, desto mehr Transparenz gibt es auch für Menschen, die in einer ähnlichen Situation sind oder auch für Angehörige. Und das finde ich immer ganz wichtig.

Wann hast du dich das erste Mal in deinem Leben als Mann gefühlt?

Das fing schon als Kind an. Da war ich drei, vier Jahre alt. Da habe ich mit Klassenkameraden immer «Mutter, Vater Kind» gespielt und ich war dabei immer die männliche Person. Und meine Oma hat damals gesagt, wenn man nicht wüsste, dass du ein Mädchen bist, würden alle glauben, dass du ein Junge seist.

Kurz bevor ich 18 wurde, hat das erst so richtig angefangen. Aber ich hatte kein Wort dafür. Es ist schwierig, sich darüber Gedanken zu machen und sich Informationen zu holen.

Wann war für dich der Punkt erreicht, an dem du in deinem Körper so nicht länger weitermachen konntest und dein Leben ändern musstest?

Das hatte bei mir 2016 angefangen, da war ich noch mit einem Mann zusammen. Als ich ihm davon erzählt hatte, sagte er mir, dass er sich dann von mir trennen würde. Das war schon sehr belastend. Ein Jahr später habe ich mich dann von ihn getrennt. In dieser Zeit habe ich einen guten Kumpel gefunden, der auch trans ist und der schon ein bisschen weiter war. Der hat mich dann aufgeklärt und mir geholfen.

Illustrationen von Vanessa Mundle aus "Wir sind wir" © 2024, Fischer Sauerländer GmbH, Frankfurt am Main
Illustr. Vanessa Mundle aus «Wir sind wir» © 2024, Fischer Sauerländer

Was war in dieser Phase die Quelle grösster Unsicherheit für dich? Wovor hattest du am meisten Angst?

Am grössten war die Angst vor Ablehnung. Ich hatte es damals auch noch nicht meiner Familie gesagt, nur wenigen Freunden, mit denen ich darüber reden konnte. Ich bin meinem Grosseltern aufgewachsen. Ich habe fast ein Jahr gebraucht, bis ich meiner Oma das gesagt habe.

Kurz vor diesem Zeitpunkt hatte ich mir schon die Haare abgeschnitten. Danach hatte meine Oma mit mir vier Tage nicht geredet. Als ich schon früher angefangen habe, Jungsklamotten zu tragen, hatte sie das auch schon immer abgelehnt. Das hat mein Selbstwertgefühl schon sehr belastet.

Die Frage, vor der ich stand war: Wie sagt man denn jemandem, dass man selbst die ganze Zeit über im falschen Körper gelebt hat?

Illustrationen von Vanessa Mundle aus "Wir sind wir" © 2024, Fischer Sauerländer GmbH, Frankfurt am Main
Illustr. Vanessa Mundle aus «Wir sind wir» © 2024, Fischer Sauerländer

Und wie hast du das gemacht, wie hast du es gesagt?

Ich habe ein Jahr lang an einem Brief geschrieben. Ich habe alles, was mich in den letzten Jahren belastet hat, aufgeschrieben und es dann einfach aus mir herausgeschrieben, wie es ist: ich bin trans, ich bin ein Junge, ich möchte ab heute so genannt werden und habe meinen neuen Namen.

Welche Kraftanker gab es in Zeiten dieser Ungewissheit für dich?

Eigentlich nur mich selbst. Ich hatte zwar Freunde, aber das waren immer nur Bekannte, ich war im Grunde immer alleine. Ich habe einfach für mich selber gesagt: entweder mache ich jetzt diesen Weg für mich, egal was irgendwer sagt, oder ich springe von der nächsten Brücke, so blöd es klingt. Denn das Leben in der Zeit war für mich einfach so schlimm. Ich habe mich nicht mehr wohl gefühlt, ich konnte auch bei meiner Arbeit kaum noch telefonieren. Ich habe versucht halt auch jemand zu sein, der ich nicht bin, auch meiner Familie gegenüber.

Ich war quasi mein eigener Anker. Der Satz, den ich einfach immer im Kopf habe, war: ich lebe dieses Leben nur einmal. Ich weiss nicht, was später kommt. Und wenn ich jetzt nicht das mache, was mich eben glücklich macht, dann habe ich vielleicht keine Chance mehr.

Ich greife nach den Sternen. Werd ich mich verbrennen? Alle verlieren, die mich kennen? Oder kann ich fliegen lernen?

(Gedicht «Blühen im Zwischenraum» von Rio aus «Wir sind wir»)

Was war während des Prozesses der Transition besonders schwierig für dich? Welche besonders belastenden Situationen sind dir im Gedächtnis geblieben?

Da fallen mir zwei Dinge ein. Einmal war es ganz am Anfang vor allem der Weg zur Toilette. Obwohl sich meine Stimme durch Testosteron schon verändert hat, war der Besuch eines Männerklos wirklich sehr schwierig für mich. Eben weil ich aus mehreren Klos rausgeschmissen wurde. Und auch als ich schon so weit war, dass man theoretisch nichts mehr erkannt hat, war es für mich sehr, sehr schwierig, auf die Toilette zu gehen, weil ich immer diesen Satz im Kopf habe: Sie gehören hier nicht her!

Das andere Bespiel habe ich im Beruf erlebt, als ich in einer Bäckerei gearbeitet habe. Einmal war da eine ältere Dame, der ich den Kaffee serviert hatte und die fragte mich dann: «Was sind Sie denn - Männlein oder Weiblein?»

Solche Situationen, dieses misgendern, haben sehr an meinem Selbstwertgefühl gekratzt. Gerade weil ich der Meinung war, dass man es zu den Zeiten schon nicht mehr so richtig gesehen und gehört hatte.

Luis aus dem Buch «Wir sind wir», (Foto: privat)
Luis aus dem Buch «Wir sind wir»

Nun liegt ja der Beginn deiner Transition schon einige Jahre zurück. Wann hattest du das erste Mal das Gefühl, im richtigen Körper angekommen zu sein?

Tatsächlich war das nach der Mastektomie. Die habe ich 2019 gehabt. Da war ich im Gesicht aber noch nicht so maskulin aus. Das war für mich aber okay. Damals war ich aber der Meinung: jetzt bin ich endlich angekommen, weil die Brüste immer das waren, was mich am meisten gestört haben.

Es gab da natürlich noch Momente, wo mich jemand misgendert hat, oder wo jemand gesagt hat, ich wäre eine Frau, aber das war für mich nicht mehr so schlimm, weil ich eine flache Brust hatte. Für mich hat da eigentlich das Leben erst richtig angefangen.

Was hat dich am meisten überrascht, als du dann endlich von deiner Umgebung als Mann wahrgenommen wurdest?

Wenn Männer untereinander reden, ist es teilweise so schlimm, also wirklich! Ich habe ja in einem Lager gearbeitet mit 95% Männern, da sind Ausdrücke gefallen… So abfällig über Frauen zu reden, da habe ich mich sehr erschrocken.

In deinem Buchbeitrag schreibst du auch darüber, wie verwundert du warst, wie unterschiedlich du im Kolleg*innenkreis behandelt wurdest, je nachdem, ob du als Mann oder Frau gelesen wurdest...

Als Mann werde ich mehr ernst genommen. Ich habe das deswegen gemerkt, weil ich ja eine Ausbildung gemacht habe und zu dem Zeitpunkt noch als Frau gelesen wurde. Und später, als ich in einem Lager gearbeitet habe, wurde ich schon als Mann wahrgenommen. Es ist so grotesk, dass man als Mann, egal ob man jetzt die Arbeit gut macht oder nicht, mehr Zuspruch bekommt als eine Frau. Das ist super traurig. Dass du als Mann mehr in der Gesellschaft wahrgenommen wirst.

Wenn sich eine andere trans Person an dich wenden würde, was würdest du ihr mit auf den Weg geben?

Das Ziel immer vor Augen haben, egal wie schwer es ist. Und auch wenn man am Ende des Tages alleine ist. Du gehst letztendlich diesen Weg für dich allein. Du gehst den Weg nicht für jemand anderen.

Ich habe es nicht für möglich gehalten, dass ich 2024 hier sitze. Und ich fühle mich wohl, ich sitze hier, mir geht es gut. Also immer weitermachen. Egal was die Anderen sagen. Und wenn jemand sagt, du schaffst das nicht, dann musst du ihm gerade zeigen, dass du es schaffst. Lieber verliere ich jeden anderen, aber bin mir selber treu geblieben.

Illustrationen von Vanessa Mundle aus "Wir sind wir" © 2024, Fischer Sauerländer GmbH, Frankfurt am Main
Illustr. Vanessa Mundle aus «Wir sind wir» © 2024, Fischer Sauerländer

Am Ende des Buches «Wir sind wir» werden eine Reihe von Hilfs-, Informations-, und Beratungsstellen genannt, an die sich Menschen wenden können. Hierzu zählen unter anderem die «Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität» (dgti), der «Bundesverband TRANS*» und «lambda». Trans Menschen, die geflüchtet sind bekommen etwa bei «Queeramnesty» Hilfe. «Queermed» ist eine mediziniche Beratungsstelle.

«Wir sind wir», herausgegeben von Kobai Halstenberg

Illustration von Vanessa Mundle

Fischer Sauerländer Verlag Frankfurt am Main

350 Seiten

Fr. 19.90 / 12,90 €

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