Out & Proud in der Autoindustrie? Interview mit Top-Manager Thomas Meiers

Gerade wurde er zu einem der «Top 50 Diversity Drivers» ernannt, der «Equity & Inclusion» in der deutschen Wirtschaft «massgeblich» voranbringen kann. Wie schwer ist das in einer weitgehend von Heteromännern dominierten Autowelt?

Der deutsche Top-Automanager Dr. Thomas Meiers (Foto: Waldemar Salesski)
Der deutsche Top-Automanager Dr. Thomas Meiers (Foto: Waldemar Salesski)

Seit 2020 ist Thomas Meiers (50) Chief Governance and Legal Officer für SEAT und die noch junge Marke Cupra in Spanien. Kürzlich wurde er zu den Top 50 «Diversity Drivers» 2021 ausgerufen (MANNSCHAFT berichtete). Wir sprachen mit ihm darüber, wie es ist, in der Automobilindustrie «out and proud» zu sein.

Die Automobilbranche ist nicht gerade das, was einem klassischerweise als erstes einfällt, wenn’s um LGBTIQ geht. Wie offen und willkommen heissend hast du als schwuler (weisser) Mann die Autoindustrie erlebt, was hat sich da verändert in den letzten Jahr(zehnt)en? Kennst du viele glückliche LGBTIQ in den Betrieben? Ich bin seit elf Jahren in der Automobilbranche tätig, bisher ausschliesslich im Volkswagen-Konzern: MAN Truck & Bus, Italdesign in Turin, Headquarter von Volkswagen in Wolfsburg, seit Oktober 2020 SEAT und Cupra in Spanien. Es hat sich aus meiner Sicht gerade in den letzten zwei bis drei Jahren sehr viel verändert, was LGBTIQ angeht. Meine persönlichen Erfahrungen und Ansichten beziehen sich hierbei vor allem auf den VW-Konzern, aber man sieht auch viel mehr Aktivitäten bei anderen Herstellern. Wir als LGBTIQ-Community sind viel sichtbarer geworden. Innerhalb und ausserhalb unserer verschiedenen Marken im VW-Konzern erhalten wir auch wahnsinnig viel Unterstützung. Viele unserer Marken haben heute ein Diversity-Management und auch ein LGBTIQ-Netzwerk, manche davon aber noch nicht lange. Und ja: Ich kenne etliche glückliche LGBTIQ-Personen bei uns, Schwule, Lesben und auch – zumindest eine – trans Person.

Nur eine? Meine bisherige Beobachtung ist, dass ich nicht viele trans Personen sehe, jedenfalls nicht im Kreis der Manager*innen. Aber ich bin mir sicher, dass sich dies ändern wird. Unsere Branche, die von vielen eher als Männer-dominiert und konservativ angesehen wird, wandelt sich gerade an ganz vielen Stellen. Wir sehen mehr Frauen, insbesondere auf den höheren Positionen und in den Vorstandsetagen und kümmern uns – wenn auch Schritt für Schritt – um die LGBTIQ-Netzwerke innerhalb der Unternehmen des Konzerns. Zum Thema trans Personen war mein persönliches emotionales Highlight im letzten Jahr, dass die Volkswagen AG ein Video und ein Interview zum Thema «Transsexualität bei Volkswagen – Ich bin Zuhause angekommen» veröffentlichte, in dem meine Kollegin aus der technischen Entwicklung über ihre Erfahrung als trans Frau im Headquarter von Volkswagen in Wolfsburg berichtete. Das war ein grosser Schritt und hat mich und viele andere sehr stolz gemacht. Am 31. März hatten wir gerade zum Thema «Trans*Personen in der Volkswagen Group» einen #WeDriveProud-Talk, zu dem unser Volkswagen Netzwerk «We Drive Proud» alle deutschsprachigen Kolleg*innen aus dem Volkswagen-Konzern eingeladen hat. Beim letzten Talk zu einem anderen Thema haben über einhundertfünfzig Kolleg*innen teilgenommen.

Die Autoindustrie gilt als einer der wichtigsten Motoren für die Industrienation Deutschland. Man liest in den Nachrichten viel über Arbeitsplätze und Abgasskandale, Umstellung auf e-Autos usw. Aber man hört selten etwas über die Lebensrealitäten in den Werken oder im Management, von Gehältern mal abgesehen. Wie repräsentativ für die deutsche Gesamtgesellschaft mit all ihren Veränderungen empfindest du die Autobranche? Ist sie ein exakter Spiegel oder eine Welt für sich in Bezug auf Geschlechtervielfalt, sexuelle Orientierung, Migrationshintergründe und People of Color? Diese Frage kurz zu beantworten ist nicht ganz so einfach, aber ich versuche es. Meiner Ansicht nach bildet ein Unternehmen grundsätzlich die Gesellschaft ab, erst recht bei einem Konzern wie dem unseren mit über 670.000 Mitarbeiter*innen weltweit und davon 300.000 in Deutschland. In Deutschland arbeiten bei uns Menschen aus mehr als 100 Nationen. Mir wurde erzählt, dass in unseren Werkshallen in Wolfsburg – das war wohl noch vor meiner Geburt im Jahr 1970 – zum Beispiel sehr viel Italienisch gesprochen wurde (und bestimmt noch wird!), weil viele Kolleg*innen aus Italien kamen. Bei der Geschlechtervielfalt werden wir langsam besser. Schaute man sich die Menschen auf der oberen Karriereleiter an, sah man ausschliesslich weisse, deutsche Männer.

Heute haben wir mehr Frauen in Leitungs- und Top-Leitungsfunktionen und auch einen türkisch-stämmigen Kollegen im Konzernvorstand

Heute haben wir mehr Frauen in Leitungs- und Top-Leitungsfunktionen und auch einen türkisch-stämmigen Kollegen im Konzernvorstand. Es gibt noch viel zu tun, und wir sind da dran. Alle wissen, dass wir insbesondere weiblicher und internationaler werden müssen. Was People of Color angeht, bilden wir gerade im Management und im Top-Management die Gesellschaft noch nicht ab. Ich denke auch das wird sich ändern und habe keinen Zweifel, dass die Unterstützung von Vorstandsseite und von Seiten der in Deutschland sehr wichtigen Betriebsrät*innen gegeben ist.

Thomas Meiers im internen SEAT-Museum in Barcelona (Foto: privat)
Thomas Meiers im internen SEAT-Museum in Barcelona (Foto: privat)

Wie würdest du die Autobranche beschreiben mit Blick auf die #ActOut-Forderung, dass eine Repräsentation und Inklusion von LGBTIQ selbstverständlicher werden sollte, auch was eine breitere ethnische und kulturelle Vielfalt angeht? Gilt das, was die Schauspieler*innen für Film und Fernsehen fordern (MANNSCHAFT berichtete), auch für die Autoindustrie? Ich finde die kürzlich erschienene #ActOut-Forderung der Schauspieler*innen und auch das Medienecho vorbildlich. Die Forderung hat sicherlich mehrere Dimensionen. Die für mich wichtigste Botschaft lautet: Schaut her, es gibt uns, und wir sind viele! Und: Diskriminiert uns nicht, und tut auf Produktseite (Film und Fernsehen) nicht so, als würde es ausreichen, dass wir nur ab und an sichtbar sind. Sehe ich die Automobilindustrie, so liegt momentan ein grosser Schwerpunkt auf dem Thema Diversity im Allgemeinen. Das Thema LGBTIQ wird sichtbarer, aber langsamer. Auf der anderen Seite bin ich vor einigen Tagen von jemandem ausserhalb der Autobranche angesprochen worden, warum wir denn plötzlich überall – insbesondere in den sozialen Medien – über Vielfalt und LGBTIQ reden. Meine Antwort war: Weil wir verstanden haben, dass es wichtig ist und jetzt einfach an vielen Themen parallel dran sind. Zur Aussenwerbung kann ich nur wenig sagen. Wir bei SEAT hatten aber vor einiger Zeit einen Valentinstag-Spot unserer Tochter SEAT MO, in dem wir verschieden- und gleichgeschlechtliche Paare auf der Wiese, auf dem MO-Elektro-Roller und auf der Couch in Löffelchen-Stellung gezeigt haben. Auch gab es auf der Wolfsburger Seite grosse Unterstützung, u. a. vom Marketing, als die erste Teilnahme der Wolfsburger WeDriveProud-Gruppe beim Christopher Street Day in Berlin anstand.

Der Kampf gegen Heteronormativität fühlt sich gut an

Der CSD ist das eine – der Alltag im restlichen Jahr das andere. Wie wichtig findest du sichtbare Unterstützung über Partyevents hinaus, bei denen sehr oft von den Medien nur muskulöse junge schwule Männer in schrägen Kostümen gezeigt werden, selten die ganze Bandbreite der LGBTIQ-Community? Persönlich sehe ich den CSD nicht ausschliesslich als Partyevent. Ich erinnere mich noch sehr gut an die erste Teilnahme von VW am CSD in Berlin. Der Personalvorstand fand, dass das eine gute Idee sei und unterstützte die LGBTIQ-Gruppe mit dem nötigen Budget für den Truck. Die Gruppe, die teilnahm, war sehr vielfältig aufgestellt. Junge und ältere Kolleg*innen, LGBTIQ-Personen und auch Freunde des WeDriveProud-Netzwerkes waren dabei. Gerade bei der ersten Parade war das Feedback der Teilnehmer*innen, dass die Veranstaltung die Verbindung zwischen ihnen und ihrem Arbeitgeber gestärkt hat. Aber natürlich ist es richtig, dass eine nachhaltige Unterstützung gegeben sein muss. In meinen Augen beinhaltet das beispielsweise die nötige Kooperation mit der internen Kommunikation, die das Netzwerk unterstützen muss und die entsprechenden Aktivitäten – anstehende Diskussionen, Ansprechpartner, Events – sichtbar macht. Nur so können Kolleg*innen, die bisher noch nicht von den Aktivitäten wussten, auf diese aufmerksam gemacht werden. Soweit ich das bei Volkswagen und beispielsweise bei AUDI und MAN sehe, klappt das sehr gut.

Du wurdest kürzlich zu einem der Top 50 «Diversity Drivers» in Deutschland benannt. Dabei wird Diversity sehr breit bzw. intersektional gefasst. Was bedeutet Diversity für dich und warum ist Diversity in dem Bereich wichtig und geschäftsfördernd, den du als Manager bisher betreut hast? Ich sehe den Begriff Diversity weniger dogmatisch als vielmehr etwas sehr Praktisches. Egal, wer bei uns tätig ist: Die Person soll sich bei uns wohlfühlen. Dass gemischte und vielfältige Teams innovativer und erfolgreicher sind, ist mittlerweile allgemein anerkannt. Auch der CEO des Volkswagen-Konzerns hat es vor einigen Tagen noch einmal öffentlich gesagt, wie wichtig ihm vielfältige Teams sind. Für mich persönlich sind dabei zwei Themen wichtig. Zum einen die Unterstützung für Frauen, die auch von Männerseite kommen muss, Stichworte #HeForShe und #IchWill und zum anderen die Unterstützung von LGBTIQ. Wer diese oder ähnliche Themen unterstützt, spielt dabei letztlich keine Rolle. Man oder frau muss nicht selbst «Betroffene*r» sein, um sich für die Themen einzusetzen.

Man oder frau muss nicht selbst «Betroffene*r» sein, um sich für die Themen einzusetzen

In meinem letzten Bereich in Wolfsburg hatte ich ein recht diverses und agiles Team, und das hat uns geholfen, das dortige dreijährige Monitorship unter dem (schwarzen) US-Amerikaner Larry D. Thompson erfolgreich abzuschliessen. Und natürlich hatte er in seinem amerikanisch-europäischen Team auch eine grosse Vielfalt.

Selfie von Thomas Meiers mit Partner und dem gemeinsamen Hund am Strand von Barcelona (Foto: privat)
Selfie von Thomas Meiers mit Partner und dem gemeinsamen Hund am Strand von Barcelona (Foto: privat)

Was sind denn typische Widerstände, denen du begegnet bist bei anderen Manager*innen oder sonstigen Mitarbeitenden, wenn es um Diversity ging und welche Formen von Diversity waren gemeint? Die Frage ist für mich nicht, welche Widerstände es gibt. Sicher gibt es mal jemanden, dem man erläutern muss, warum Vielfalt für uns wichtig ist. Und wie gesagt, ich als auch viele andere Kolleg*innen, ob in Frauen- oder LGBTIQ- oder ähnlichen Netzwerken erhalten in den letzten Jahren grosse Unterstützung bei den Aktivitäten. Was mich am meisten ärgert, ist kein aktiver Widerstand, sondern vielmehr, wenn Personen untätig sind. Ich wünsche mir insbesondere von den Männern mehr Engagement für das Thema Vielfalt, denn die Arbeitswelt in der Automobilindustrie ist nun einmal (noch) Männer-dominiert. Es hilft schon, das Thema ab und an im eigenen Mitarbeitenden-Meeting anzusprechen. Läuft alles gut? Gibt es Probleme? Was können wir tun, um das Thema zu stärken?

Du sprichst von Netzwerken: Gibt’s diese für LGBTIQ schon lange? Kommt man da einfach rein, wenn man in der Firma anfängt? Das VW-interne Netzwerk WeDriveProud hat sich im März 2019 gegründet. Die Marken AUDI, MAN, SEAT und Porsche haben eigene Netzwerke. Weitere befinden sich im Aufbau. Bei Volkswagen besteht die Möglichkeit, sich im Intranet über das Netzwerk zu informieren und die interne Kommunikation bringt regelmässig Informationen zu Diversity und LGBTIQ. Die WeDriveProud-Gruppe organisiert beispielsweise Infoveranstaltungen und Netzwerktreffen und lädt dazu ein. Sie hat auch angestossen, dass Volkswagen die Deklaration #PositivArbeiten unterschrieben hat. Soweit mir bekannt, gibt es keine Hürden für den Eintritt in die Netzwerke. Auch Freund*innen der Themen sind herzlich eingeladen mitzumachen.

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Du stehst nicht am Fliessband, sondern arbeitest im Top-Management. Es war da lange die Rede von einer gläsernen Decke, durch die «man» nicht durchkam, wenn man nicht bestimmten Heteronormen entsprach. Wie hast du das erlebt?  Ich bin gerade 50 Jahre alt geworden. Seit 20 Jahren halte ich es so, dass ich bei einer neuen Stelle immer einmal im Vorgespräch oder im Interview fallen lasse, dass ich schwul bin. Einfach sicherheitshalber sozusagen. Die Reaktionen dabei waren und sind im Grunde immer gleich: «Das passt für mich», «Das ist mir egal», «Auch fein» etc. Hätte jemand kein Interesse an meiner Mitarbeit, muss er oder sie mich ja nicht ins Team nehmen. Ich kann das nur jedem und jeder anderen auch raten. Und wenn es Probleme geben sollte, einfach zur Personalabteilung, zum Betriebsrat, zur Diversity-Abteilung oder zu Leuten wie mir kommen. Wir stellen dann sicher, dass Probleme abgestellt werden. Meine sexuelle Orientierung hat mich bisher vor kein Problem gestellt und wird es auch nicht. Schön ist auch, dass man dann auch leichter einhaken kann, wenn zum Beispiel jemand sagt: «Bei dem Thema müssen wir ganz nah mit dem Arsch an der Wand entlanglaufen.»

Bei dem Thema müssen wir ganz nah mit dem Arsch an der Wand entlanglaufen

Als mir ein Vorstand – jetzt schon viele Jahre her – das in einem Gespräch sagte, antwortete ich: «Sie wissen schon, dass ich schwul bin, oder?» Ich kann versichern, dass er den ziemlich alten Witz mit einem sehr langen Bart, den man heute sicherlich als diskriminierend bezeichnen würde, danach weniger oder gar nicht mehr benutzt hat. Und seine Antwort an mich war: «Nein, aber da habe ich natürlich überhaupt kein Problem mit.»

Heute schreien viele Aktivist*innen in solchen Fällen sehr schnell «Homophobie». Ist es dir damals in den Sinn gekommen, das angesichts des Witzes dieses Vorstands auch zu tun? In der obigen Situation hat es für mich ausgereicht, die Sache gleich anzusprechen. Das heisst aber nicht, dass ich mich nicht auch drastischer wehren würde, wenn ich es als erforderlich ansehen würde. In meinem Arbeitsumfeld war das aber nie nötig.

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Bei den «Diversity Drivers» sind viele weisse heterosexuelle Frauen dabei, für die Diversity vermutlich etwas anderes bedeutet als für dich. Erlebst du eine nennenswerte Solidarität zwischen LGBTIQ und Heterofrauen, wenn es um den Kampf für Gleichberechtigung und mehr Akzeptanz geht in einer Welt, die angeblich ausschliesslich von älteren weissen heterosexuellen Cis-Männern regiert wird? Wenn ich sehr stark in einem bestimmten Netzwerk für Diversity oder speziell für Frauen oder LGBTIQ engagiert wäre, könnte ich sicher eine belastbarere Antwort geben. Mit meinem (normalen) Engagement innerhalb der Volkswagen-Gruppe, hier bei SEAT und CUPRA und in meiner Freizeit in den sozialen Medien, lautet meine Antwort: Ja, Heterofrauen – egal mit welchem Hintergrund – stehen der LGBTIQ-Community jedenfalls wesentlich näher als Männer. Mich sprechen beispielsweise viel mehr Frauen auf die Themen Diversity und LGBTIQ an als Männer. Deshalb ist es mir – insbesondere in der Autobranche – auch so wichtig, dass mehr Frauen mitarbeiten, egal auf welchen Ebenen und egal mit welchem Hintergrund. Meine persönliche Ansicht ist, dass Frauen diese wichtigen Themen einfacher aufnehmen und diskutieren als Männer.

Woran liegt das? Gute Frage! Ich glaube, viele Männer sehen das Thema LGBTIQ und Diversity noch zu oft als «Soft Topics» an und begreifen erst langsam, wie wichtig sie sind. Ob das an der Erziehung liegt (Stichwort Fussball statt Theater-AG) oder an der Übung, sich im Büro vielleicht eher über die Produkte (bei uns Autos und Car Software) statt über vermeintlich weichere Themen zu unterhalten, weiss ich nicht. Ich sehe aber auch hier einen Wandel. Beispielsweise in den Bereichen Recruiting, Kultur und Change Management gibt es viele Heteromänner, die sich in ihrer Tätigkeit immer mehr mit Diversität im weiteren Sinne auseinandersetzen.

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Bist du mit den anderen 49 «Diversity Drivers» in Kontakt? Plant ihr zusammen Strategien und Projekte? Ich habe mich sehr gefreut, als eine von 50 Personen auf der Liste der Beyond-Gender-Agenda zu stehen und als ein «Diversity Driver to Watch» in 2021 bezeichnet zu sein. Das motiviert ungemein. Das Thema ist noch frisch. Sicher chatte ich ab und an mit einer oder einem der anderen. An einem konkreten Projekt arbeite ich momentan nicht.

Thomas Meiers (r.) mit seinem Partner in Berlin. Das Bild postete er auf Twitter, um gegen Rassismus zu protestieren (Foto: privat)
Thomas Meiers (r.) mit seinem Partner in Berlin. Das Bild postete er auf Twitter, um gegen Rassismus zu protestieren (Foto: privat)

Auf Twitter hast du dich kürzlich gegen Rassismus ausgesprochen und ein Foto dazugestellt, wo du neben einem jungen Mann mit asiatischem Hintergrund stehst. Falls das dein Partner ist: Wie reagiert das Top-Management darauf, wenn du mit ihm zu Geschäftsterminen gehst, wo früher Männer gern ihre «Trophy Wives» vorgeführt haben?  (Lacht) Ja, das ist mein Partner. Aber interne Geschäftstermine mit Partner*in habe ich seit zehn Jahren schon nicht mehr erlebt. Je grösser ein Unternehmen ist, je weniger solcher Geschäftstermine gibt es. In meinem Job als Anwalt und Compliance-Spezialist gibt es auch keine externen Geschäftstermine mit Partner. Das letzte Mal, dass wir zusammen in die Firma gegangen sind, war bei einem Sommerfest von Italdesign in Turin vor zirka drei Jahren, und das war ganz wunderbar. Wir haben uns sehr gefreut und alle anderen auch. Auch wenn ich natürlich nicht viele Fotos von uns poste, ist es mir dennoch wichtig, es ab und an zu tun. Wie gesagt, für mich sollen sich alle in der Firma wohlfühlen. Und in dieser von mir avisierten Normalität müssen auch schwule oder lesbische Paare oder beispielsweise trans Personen vorkommen. Vor nicht allzu langer Zeit hat eine Kollegin, die mit ihrer Frau verheiratet ist (ich meine, sie arbeitet in der Produktion), in einem internen Diskussionsforum mit unseren Wolfsburger Betriebsrät*innen von ihren Erfahrungen bei der Arbeit berichtet. Fand ich klasse! Und wieder einen Schritt weiter in die neue Normalität.

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Erlebst du Rassismus mit deinem Partner – auch in der LGBTIQ-Szene selbst? In der LGBTIQ-Szene haben wir beide, soweit wir uns erinnern können, noch keinen Rassismus erlebt. Mein Partner hat als Asiate aber sehr wohl schon Rassismus in Deutschland erlebt. Das reicht von verbalen Attacken bis hin zum körperlichen Angriff. Es ist schwer für Personen, die noch keinen Rassismus am eigenen Leib erlebt haben, zu verstehen, was es heisst, angepöbelt oder angegriffen zu werden. Die Vorfälle, die wir erlebt haben, haben mich geprägt. Ich bin so erzogen worden (wir waren zu Hause sechs Kinder), dass man (und frau) Menschen gerecht behandelt, egal wo sie herkommen und wie sie aussehen. Rassismus ist für mich eine der grössten Ungerechtigkeiten, die es – neben der Armut – auf der Welt gibt. Das ist übrigens auch ein Grund, warum ich mich bei der Volkswagen-Gruppe und bei unseren Marken sehr wohl fühle. Sowohl die Betriebsrät*innen als auch die Vorständ*innen positionieren sich klar gegen Rassismus. Diese Haltung des Unternehmens und Wertschätzung für Vielfalt drückt sich beispielsweise auch darin aus, dass – wenn das Unternehmen eine(n) Mitarbeiter*in ins Ausland entsendet – es sich bei einem gleichgeschlechtlichen Paar um die Organisation für beide kümmert. Wir werden also genauso behandelt wie ein heterosexuelles Paar, egal ob wir verpartnert oder verheiratet sind oder nicht.

Rassismus ist für mich eine der grössten Ungerechtigkeiten, die es – neben der Armut – auf der Welt gibt

Ist das ein typisches Verhalten für alle deutschen Autokonzerne – und für grosse deutsche Unternehmen? Das weiss ich nicht, hoffe es aber. Wenn jemand bei einem Automobilkonzern oder einem grossen deutschen Unternehmen im Bewerbungsinterview sitzt, könnte der/die Bewerber*in das ja ruhig fragen und gleich herausfinden, wie das Unternehmen zu dem Thema steht.

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Als Manager bist du viel in der Welt unterwegs: Was siehst du bzgl. Diversity und LGBTIQ anderswo, wovon wir in Deutschland lernen können? Und wo sind wir auf einem guten Weg, von dem sich andere eine Scheibe abschneiden könnten?  Ich denke, die Themen Diversität, grössere Sichtbarkeit von Frauen und LGBTIQ haben in Deutschland an Fahrt aufgenommen. Dieser Trend wird sich meiner Ansicht nach in Deutschland auch nicht mehr umkehren. Warum auch! Wir brauchen mehr Vielfalt und Innovation, nicht nur in Deutschland, aber auch in ganz Europa, um weiterhin ein Gegengewicht gegenüber beispielsweise den USA und China zu bilden. Aber auch in Deutschland hängt es sicher manchmal vom Ort oder der Stadt ab, in der man wohnt, oder vom Unternehmen, in dem man (oder frau) arbeitet. Da ist beispielsweise – und bekanntlich – Berlin entspannter als München. Und ein Start-up ist offener als ein alteingesessenes Unternehmen.

Was ist denn konkret in Berlin anders als in München? Kannst du da ein Beispiel nennen? Spürt man den Vibe einer Stadt auch innerhalb eines Konzerns, wo die Leute eigentlich mit Arbeiten beschäftigt sind und nicht mit Privatem? Ich selbst fühle in Berlin einen grösseren Vibe. Vielfalt wird eher zugelassen. Und wenn man (oder frau) anders aussieht, sich anders kleidet, vielleicht mit dem gleichen Geschlecht eingehakt durch die Stadt spaziert, dann interessiert es in Berlin nur wenige. Dieses Zulassen von Andersartigkeit und Vielfalt überträgt sich dann auch auf die Kreativität in den Büros.

Thomas Meiers mit seiner Spanischlehrerin (Foto: privat)
Thomas Meiers mit seiner Spanischlehrerin (Foto: privat)

Seit Ende letzten 2020 lebst du in Spanien… Hier fällt mir auf: Kein Mensch dreht sich um, wenn wir eingehakt oder Händchen-haltend durch die Stadt laufen. Es interessiert schlicht keinen. Diese Normalität wünsche ich mir auch für Deutschland.

Was ist denn im katholischen Spanien passiert, dass das dort so viel einfacher funktioniert (heute) als im vermeintlich säkularen Deutschland, das sich gern als besonders aufgeklärt und fortschrittlich darstellt? Diese Frage beschäftigt mich auch. Ich glaube, dass Spanien insgesamt ein eher liberales Land ist. Und auch wenn ich noch nicht lange hier bin: Gefühle, die eigenen und die der anderen, sind in der spanischen Kultur sehr wichtig. Vielleicht schaut man hier insgesamt mehr auf den Menschen. Das sieht man (und frau) beispielsweise im Büro: Ein Gespräch über das Wochenende oder über die Familie ist hier viel normaler als in anderen Ländern. Es ist meiner Ansicht nach auch eher unüblich, einander (im Privatleben) Vorschriften zu machen.  Gelassenheit finde ich spannend.

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