«Nichts dagegen, dass du ’ne Scheissschwu***el bist – aber bleib in Afrika!»
Seit Oktober moderiert Tarik Tesfu die neue NDR-Talkshow «deep & deutlich»
In seinen Videokolumnen entlarvt Tarik Tesfu auf humorvolle und provokante Weise Rassismus, Frauen- und Homofeindlichkeit. Wir sprachen mit dem Wahlberliner über Racial Profiling, Hasskommentare und süsse Mäuse in der Politik. Auch als Podcast verfügbar!
Tarik, wir müssen reden. In deiner Trallafitti-Show hast du den Chef der deutschen Liberalen, Christian Lindner, als süsse Maus bezeichnet . . . Damit meine ich nicht das, wofür er politisch steht. Oder wie er sich selber inszeniert, sondern nur vom Aussehen her. Wenn er nicht reden würde, wäre er eine noch süssere Maus.
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Lindner hat im September seine Generalsekretärin Linda Teutenberg mit den Worten verabschiedet, dass sie «ungefähr 300-mal den Tag zusammen begonnen haben». Nach einer kurzen Pause meinte er: «Nicht, was ihr jetzt denkt.» Das hat er auf jeden Fall verkackt.
Die Äusserung über Teutenberg wäre ja eigentlich ein gefundenes Fressen für dich als Feminist und «Gendertainer». Stammt der Begriff eigentlich von dir? Nein. Ich wurde mal bei einem Vortrag oder einem Panel als Gendertrainer bezeichnet. Und normalerweise mag ich solche Fremdzuschreibungen nicht. Aber in dem Fall dachte ich: Wow, da hätte ich auch mal selber draufkommen können.
Es gibt eine neue Talkshow vom NDR, «Deep & Deutlich», mit vier Moderator*innen, je zwei Teams, und du bist Ende Oktober gestartet, mit Svenja Kellershohn. Ihr hattet spannende und sympathische Gäste, etwa Stefanie Heinzmann. Wie ist dein Résumé? Erstmals finde ich es total toll, weil der NDR da etwas macht, was für Öffentlich-Rechtliche immer noch sehr mutig ist – mal auf andere Moderator*innen zu setzen, auf andere Gäste. Alle, die für die Sendung arbeiten, haben krass Lust auf das Format. Das macht richtig Spass, Teil von so etwas sein zu dürfen. Ich neige immer zu einer sehr grossen Portion Selbstkritik, aber wenn ich das alles weglasse, dann bin ich krass froh über den Start. Svenja und ich sind ein tolles Team und ich freue mich sehr, zu gucken, wohin diese Reise geht.
Die Original-NDR-Talkshow gibt es seit über 40 Jahren. Du kanntest sie vorher? Auf jeden Fall. Ich bin ja grosser Barbara-Schöneberger-Fan. Wenn ich es gucke, dann wegen ihr – wie lustig, charmant und toll sie einfach moderieren kann. Das ist vielleicht so ein Mini-Learning, auch wenn ich ja grundsätzlich eine andere Persönlichkeit habe als sie.
Du lebst aktuell in Berlin, schon zum zweiten Mal, hast aber auch schon in Köln und in Wien gewohnt. Ich musste irgendwann weg aus Köln, obwohl ich die Stadt sehr mag. Aber nach drei Jahren wurde es mir ein bisschen zu klein. Erst war ich sehr verliebt, dann habe ich gemerkt: Krass, die Partnerschaft ist irgendwie nicht auf Augenhöhe und ich dachte, ich muss zurück nach Berlin. Hier fühle ich mich noch am wohlsten. Wobei, auch hier bröckelt so langsam die Liebelei. Hach, it’s complicated . . . Es gibt gerade als schwarze queere Person in Deutschland keine Stadt, die es einem angenehmer macht.
Der Schauspieler Pierre Sanoussi-Bliss schreibt in einem Gastbeitrag für MANNSCHAFT, in Bus oder Bahn bleibe der Platz neben ihm immer bis zum Schluss leer. Ich kenne das natürlich nicht, denn wer möchte nicht neben mir sitzen, vor allem in einer Bahn . . . Nein, im Ernst, ich kenne das auch, dass Leute es immer noch vorziehen zu stehen, als sich neben mich zu setzen. Das hängt aber auch davon ab, in welcher U-Bahn in welchen Gegenden von Berlin ich unterwegs bin.
In deinen Videokolumnen beschäftigst du dich viel mit Rassismus. 2020 hat sich die deutsche Bundesregierung darauf verständigt, in einer Studie den Alltagsrassismus zu erforschen, auch um den Alltag von Polizist*innen soll es gehen. Was wird da wohl rauskommen? In der Form, in der die Studie jetzt durchgeführt werden soll, habe ich leider keine allzu grossen Erwartungen. Im besten Fall hätten wir schwarz auf weiss, dass es immer noch rassistische Praktiken bei der Polizei gibt, wie etwa Racial Profiling. Es wird nochmal klarer, dass die Polizei ein grösseres Problem mit Rechtsextremismus hat als die Chats, von denen wir jetzt wissen. Das Problem ist, dass diese Menschen mit einer grossen Macht und mit Waffen ausgestattet sind. Wir müssen aufhören, so krass überrascht zu sein, dass es rassistische bis rechtsextreme Strukturen gibt – denn das alles findet man auch in der Gesellschaft. Man kann nur hoffen, dass Massnahmen daraus entwickelt werden, um die Polizei rassismuskritischer zu machen.
Du erlebt selber auch Racial Profiling? Ja, als ich in Wien wohnte, musste ich über Landesgrenzen fahren, und da ist es mir bei jeder Fahrt passiert, dass ich kontrolliert wurde und andere nicht. Es gab keinen offensichtlichen Grund, dass ich den Ausweis zeigen musste. Beim letzten Mal geschah es in Passau. Da kam ich in die Bahn, und eine Polizistin, die gerade noch einen anderen schwarzen Typ kontrolliert hatte, kam direkt zu mir, und ich durfte auch direkt meinen Pass zeigen. Ich hatte mich noch nicht einmal hingesetzt. Die anderen weissen Leute wurden nicht kontrolliert. Das ist Racial Profiling und in Deutschland verboten.
Glaubst du, das Jahr 2020 wird mit dem Mord an Georg Floyd und der Black-Lives-Matter-Bewegung etwas ändern? Oder wird es sein wie so oft, dass viel über ein Thema geredet wird, aber am Ende passiert doch wieder nichts? Natürlich würde ich mir wünschen, dass sich was ändert. Aber es ist nicht das erste Mal, dass über Rassismus oder über Diskriminierungsformen gesprochen wird. Es ist auch interessant, dass man hier so eine vermeintlich intensive Diskussion über Rassismus führt, nachdem mal wieder eine schwarze Person in den USA ermordet wurde. Nach Hanau, wo im Februar neun Menschen ermordet wurden, weil sie für den Täter nicht in sein Bild von Deutschland passten, war die Diskussion nicht so intensiv. Da frage ich mich schon: Wie nachhaltig kann diese Debatte jetzt sein? Daher ist meine Hoffnung ein bisschen tief.
Als du aufgewachsen bist im Ruhrgebiet, hattest du als Junge oder Jugendlicher schwarze Vorbilder um dich herum? Nö. Ich hatte keine Vorbilder. Es gab zwar schon Mola Adebisi von VIVA, den fand ich aber gar nicht so cool. Eher schon Milka oder Minh-Khai Phan-Thi, die nicht schwarz, aber PoC ist – also selten Männer. Wenn überhaupt, ist Billy Porter seit Ewigkeiten mein Vorbild. Sonst suche ich meine Role Models eher in Menschen, die weiblich, nichtbinär oder trans sind. So ein klassisches Männervorbild habe ich gar nicht.
Mittlerweile lösche und blockiere ich radikal.
Wo du Billy Porter erwähnst: Es gab im Frühjahr ein Vogue-Shooting, da trägst du einen Rock. Ist er auch kleidungsmässig ein Vorbild? Er war sowas wie eine Inspiration für das Shooting. Weil ich schon finde, dass er gerade im Fashion-Bereich so krass auf männlich/weiblich scheisst und sein eigenes Ding macht, dass er für uns alle ein Vorbild sein sollte, egal ob queer oder nicht. Weil er einfach Grenzen überwindet, und das auf eine sehr kreative und schöne Art und Weise.
Du erhältst immer wieder Hasskommentare. Wie gehst du damit um? Mittlerweile lösche und blockiere ich radikal. Anfangs fand ich es noch lustig: Ich veröffentliche ein Video über Rassismus, und in den Kommentaren werde ich dann auch noch rassistisch beleidigt. Eine bessere Bestätigung für mein Dasein auf Youtube hätte es eigentlich nicht geben können. Dann habe ich aber gemerkt, dass das Stehenlassen der Kommentare etwas mit mir macht. Es trifft einen ja doch auch irgendwie. Man kann ja Kritik an meinen Aussagen äussern, aber man darf mich nicht beleidigen, wenn man die Form meiner Inszenierung im Netz nicht mag. Jetzt werden die Leute beim ersten Kommentar direkt blockiert. Ich habe mir auch viel zu viele Gedanken darüber gemacht, was die Leute jetzt denken – und das ist eine solche Zeitverschwendung.
Erhältst du Hasskommentare vor allem aus rassistischer Motivation oder beziehen sie sich auf das Männerbild, das du verkörperst, oder auf dich als queere Person? Ich glaube, es ist eine Mischung aus allem. Es sind sicher auch meine Themen. Feminismus ist immer ein Generator für Hass, gerade bei Menschen, die als Frauen gelesen werden oder die trans oder nichtbinär sind. Aber die meisten Kommentare betreffen die Hautfarbe. So nach dem Motto: «Ich habe nichts dagegen, dass du ’ne Scheissschwuchtel bist, aber mir wärs lieber, du würdest in Afrika bleiben.» Und wenn ich aber hier bin, dann muss ich krass dankbar sein – und das Letzte, was ich in den Augen dieser Leute machen darf, ist es, weissen Menschen zu erzählen, wie sie weniger rassistisch sein können.
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