«Shwule Grüsse vom Balkan» (29) – Wiedersehen mit einem Bekannten
Die späte Versöhnung
Bogdana kehrt mit vielen neuen Erkenntnissen aus Nepal zurück. In Zürich angekommen fährt sie direkt ins Spital zu ihrem Mann, der einen Unfall hatte. Der Schuldige des Unfalles ist zugleich auch ein alter Bekannter …
Kaum ist Bogdana nach ihrem Nepal-Trip in Zürich gelandet, pickt sie ihr Sohn Aleksandar im Ankunftsterminal auf: «Hattest du einen guten Flug? Ich fahre dich gleich ins Spital zu Papa.» «Danke, Sine*. Mein Flug war angenehm. Wie geht es Papa nach dem Unfall?» «Ganz gut, er hatte Glück im Unglück», antwortet Aleksandar und klappt den Kofferraumdeckel zu.
Auf dem Weg zum Unispital unterhält sich Aleksandar mit seiner Mutter, die ihm verändert vorkommt: «Was hast du in Nepal genau gemacht?» «Neue Leute kennengelernt, meditiert und LSD genommen», fasst Bogdana ihren Trip mit einem Augenzwinkern zusammen.
«Du hast was?!» Aleksandar lacht lauthals heraus und doppelt nach: «Du und Drogen? Nie im Leben!» Bogdana antwortet schmunzelnd: «Das war eine geleitete LSD-Therapie. Sie half mir, meine Seele vom Ballast der Vergangenheit zu befreien. Keine Sorge: Ich war nicht da, um mich zu berauschen.»
Ich habe euch stets nach den Erwartungen und Meinungen anderer Leute geformt, anstatt zu euch zu stehen
«Aha …», Aleksandar ist immer noch etwas erstaunt über den Trip seiner Mutter, «aber dir geht’s nach all dem gut, ja?» «Ja, ich fühle mich endlich ich selbst. Ich habe viel Zeit, damit verbracht, über unsere Familie nachzudenken: über dich und dein Outing, über deinen Bruder und seine HIV-Infektion und über deinen Papa und mich.» «Mit welchem Ergebnis?» «Dass ich euch alle so liebe, wie ihr seid. Ich habe in der Vergangenheit einen grossen Fehler gemacht: Ich habe euch stets nach den Erwartungen und Meinungen anderer Leute geformt, anstatt zu euch zu stehen und euch in eurer Einzigartigkeit zu stärken.»
Aleksandar parkt das Auto vor dem Spitalgebäude: «Wow, das sind ja Neuigkeiten … Lass uns später noch darüber reden, besuchen wir nun Papa.» Bogdana nickt, steigt aus und hakt sich bei Aleksandar ein: «Komm’ stütze deine abgedrehte Mutter – sie ist unglaublich müde.» Aleksandar lächelt sie an. Ihm gefällt seine tiefenentspannte Mutter. ‹Hoffentlich bleibt das so›, denkt er sich, während er mit Bogdana das Zimmer seines Vaters aufsucht. Dort wartet bereits sein Bruder Alen:
«Hallo Mama, wie geht es dir? Bist du gut gereist?» Bogdana umarmt Alen und nickt zufrieden. Dann widmet sie sich ihrem Mann Cvetko mit Tränen in den Augen: «Schatz, geht es dir gut? Wie ist das passiert?» «Mir geht’s gut. Ich hatte Glück und wurde nur am Rande erwischt. Ausser den gebrochenen Beinen bin ich glimpflich davongekommen», erklärt Cvetko, als es unerwartet an der Zimmertüre klopft.
Ein Blumenstrauss lugt als Erstes durch den Türspalt, ehe das Gesicht eines Bekannten folgt: Es ist Jascha, Aleksandars Ex-Freund. Der Boulevardjournalist, der die HIV-Infektion seines Bruders und Fussballnachwuchsspielers öffentlich gemacht hat.
Was zum Geier suchst du hier?
«Was zum Geier suchst du hier?», entfährt es Bogdana, deren Tiefenentspannung auf einen Schlag verpufft, «und warum zum Teufel trägst du die Jacke eines Pizzakuriers?» «Ich komme Cvetko besuchen, um zu sehen, wie es ihm geht», erklärt Jascha in geduckter Haltung sein Erscheinen. «Es tut mir unendlich leid … Ich bin schuld an diesem Unfall. Ich habe Cvetko angefahren, als ich zu spät mit meinen Pizzalieferungen unterwegs war.»
Bogdana mustert ihn kühl – wie Meryl Streep in ihrer Rolle als Miranda Priestley im Film «Der Teufel trägt Prada»: «Seit wann lieferst du Pizzas aus? Ich dachte, du seist ein erfolgreicher Schmierfink.» «Ich war ein erfolgreicher Schmierfink, bis ich aufgeflogen bin …», erklärt sich Jascha. «Aufgeflogen wobei?», will es Bogdana wissen. Jascha, dem die Schuld und Übernächtigung seit dem Unfall ins Gesicht geschrieben stehen, sammelt sich kurz, bevor er mit der Wahrheit herausrückt: «Ich habe zahlreiche Berichte und Reportagen gefälscht. Darum arbeite ich jetzt als Pizzakurier in Zürich. Das ist wohl mein Karma dafür, was ich euch allen angetan habe.» Jaschas krampfhaftes Lächeln setzt über in ein bebendes Wimmern: «Es tut mir so leid. Ich schäme mich so sehr.»
Aleksandar geht zu Jascha, nimmt ihm den Blumenstrauss ab und drückt ihn: «Lieber spät als nie. Das kriegen wir wieder hin.» Bogdana schaut Aleksandar verdutzt an: «Seid ihr wieder …» «Zusammen? Das nicht. Aber auf gutem Weg zu einer guten Freundschaft, stimmt’s?» Aleksandar lächelt Jascha an, dem immer noch Tränen die Wangen runterkugeln.
*Serbokroatisch für Sohn
*Wir schreiben in dieser Kolumne «shwul» statt «schwul», um den Balkan-Slang wiederzugeben. Weitere Hintergründe zur Kolumne «Shwule Grüsse aus dem Balkan» erfährst du im Interview mit dem Autor Predag Jurisic.
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