«Shwule Grüsse vom Balkan» (38) – Nicht füreinander geschaffen
Wenn die sexuelle Uhr anders tickt
Aleks fühlt sich bei Sam geborgen, aber der Sex mit ihm erfüllt nicht seine Bedürfnisse. Als Aleks’ Bruder Alen ihm rät, sich Gedanken über seine eigenen Bedürfnisse zu machen, erkennt Aleks, dass er fremdbestimmt lebt.
Aleks ist ratlos: Er hat mit Sam einen verständnisvollen Mann kennengelernt, der immer für ihn da ist. Sam muntert ihn auf, wenn Aleks’ Chef wieder mal die toxische Männlichkeit raushängen lässt. Sam umsorgt ihn, wenn er krank ist. Darüber hinaus ist Sam attraktiv, gebildet und weltoffen. Selbst Aleks’ Familie bezeichnet Sam als perfekten Schwiegersohn.
Doch der Sex mit Sam widerspricht Aleks’ Vorstellungen und Bedürfnissen: «Weisst du, dass ich sexuell nichts mehr spontan erleben kann?», ergiesst sich Aleks’ Frust seinem Bruder Alen gegenüber. Dieser zeigt Verständnis und ergänzt: «Sex sollte etwas Unerwartetes, Kreatives und Abenteuerliches erlauben. Zugleich sind beim Sex Nähe, Geborgenheit, Liebe, Vertrauen und Verbindung wichtig.»
Aleks nickt, wenn auch resigniert: «Weisst du, bei Sam fühle ich mich geborgen, aber der Sex ist immer mit Erwartungen und Leistungen verbunden. Sams Sex-Drehbücher mit den Rollenspielen hängen mir zum Hals raus!»
«Und was hält dich noch bei Sam?», fragt Alen direkt. Aleks stockt, ehe er antwortet: «Na ja, er hört mir zu und ist für mich da, egal was ist.» «Und sonst?», wirft Alen trocken dazwischen. «Gute Frage …», erwidert Aleks, «ich fühle mich bei ihm geborgen und mit ihm verbunden …» «Aber?», wendet Alen mit eindringlichem Ton ein. «Ich fühle mich nicht frei und kann nicht ich selbst sein. Weil er auf die Skripte mit den Rollenspielen besteht, obschon ich wenig damit anfangen kann. Ich mache das, was er will – nicht das, was ich will.»
«Dann lebst du für ihn und nicht mit ihm», analysiert Alen die Situation nüchtern, «überlege dir, welche Bedürfnisse du hast und ob du diese mit Sams Bedürfnissen in Einklang bringst. Sonst vergisst du dich irgendwann selbst.»
Das hat gesessen, aber auch Klarheit gebracht: Aleks’ Sexualität ist fremdbestimmt. Ausserdem haben Aleks und Sam ausgemacht, monogam zu leben. Zu einem Zeitpunkt, als Aleks noch nichts über Sams Sex-Drehbuch-Fantasien wusste. Somit bleiben Aleks’ Wünsche nach Abwechslung und Spontaneität verwehrt – auch mit anderen Männern. Aleks nimmt sich vor, Sam beim morgigen Treffen darauf anzusprechen.
«Hallo, mein hübscher Kerl! Wie geht es dir? Hast du schon mein neustes Skript gelesen? Gefällt es dir? Wenn ja, was genau?», begrüsst Sam Aleks. Aleks wiederum krallt sich an der eigenen Wohnungstür fest. Er kann sich nicht entscheiden, ob er Sam um den Hals fallen oder sich vor lauter Nervosität übergeben soll.
Als Schweizer Jugo mit Integrationshintergrund entscheidet sich Aleks für die landesgemäss neutrale Variante – ohne Wiedergabe seines Mageninhalts, dafür mit viel bauschiger Wortwatte: «Hey, du siehst grossartig aus! Komm’ rein und mach es dir im Wohnzimmer gemütlich, ich komme gleich nach!» Wohl wissend, dass ihm die Galle bald auf seiner Hirnrinde herumtanzen und seine Stirn mit Schweissperlen verzieren wird.
«Danke», erwidert Sam, «hast du unser Drehbuch schon gelesen und deine Rolle einstudiert?» Aleks wechselt bei dieser Frage das gesamte Farbspektrum im Gesicht. Als wäre ein Nachkomme eines Chamäleons, das sich mit einem Tintenfisch gepaart hat. An seinem Unwohlsein beinahe erstickend, antwortet er mit einem knappen Ja.
«Und? Wie findest du es? Wollen wir es heute Abend umsetzen?», will Sam voller Erwartung wissen. Aleks hapert mit seiner Antwort. Er liebt Sam. Von ganzem Herzen. Allerdings ticken die sexuellen Uhren der beiden gegensätzlich. Aleks rafft sich auf und sagt, was Sache ist: «Sam, du bist ein wunderbarer Mann. Du empfindest viel für mich, ich auch für dich. So, wie jemand für seine Liebe empfinden sollte. Wir empfinden womöglich dasselbe füreinander. Dennoch tickt deine sexuelle Uhr anders als meine. Ich schätze, dass wir nie im selben Rhythmus ticken werden.»
Sam erstarrt und ist nur noch fassungslos: «Du verlässt mich? Wegen Sex?» Aleks schluckt mehrmals und bejaht Sams Frage: «Ja, ich verlasse dich. Nicht wegen des Sex’, sondern weil wir nicht füreinander geschaffen sind.»
Der australische Kunst- und Turmspringer Matthew Mitcham – Olympiasieger in Peking 2008 – gab bekannt, dass er seinen Muskelkörper jetzt auf OnlyFans zeigt (MANNSCHAFT berichtete).
*Wir schreiben in dieser Kolumne «shwul» statt «schwul», um den Balkan-Slang wiederzugeben. Weitere Hintergründe zur Kolumne «Shwule Grüsse aus dem Balkan» erfährst du im Interview mit dem Autor Predag Jurisic.
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