«Shwule Grüsse vom Balkan» (26) – Mad Honey

Die spirituelle Reise

Symbolbild (Bild: Pixabay, Florian Kurz)
Symbolbild (Bild: Pixabay, Florian Kurz)

Bogdana reist nach Nepal, um Abstand von ihrer Familie zu bekommen. Dort nimmt sie an einer Meditationsreise teil, bei der sie einen besonderen Tee trinkt, der sie in einen Drogenrausch versetzt.

Was bisher geschah …

«Auszeit in Nepal?» Bogdana steht an der Gepäckausgabe am Flughafen Kathmandus, als sie jemand jäh aus ihrer Gedankenwelt reisst. «Klaus ist mein Name. Ich führe in Nepal Meditationsreisen durch.» Bogdana mustert die etwas jüngere Ausgabe des Crocodile Dundee mit blondem Dutt und erwidert: «Ja. Ich brauche etwas Abstand von meiner turbulenten Familie in Zürich. Sind Sie der Reiseführer …» «… der Schweizer Reisegruppe ‹Meditieren geht über Studieren›? Ja, genau – der bin ich», beendet Klaus ihre Frage.

«Und wohin geht’s als Erstes?», will Bogdana wissen. «Zu unserem Quartier in Jhamsikhel – einem Viertel der südlich angrenzenden Stadt Lalitpur, knapp zwanzig Minuten von hier», erklärt Klaus, «danach steht auch schon die erste Meditation an.»

Inzwischen hat sich um Klaus eine zehnköpfige Mediationsgruppe formiert, die ihm zum Mini-Bus nach Jhamsikhel folgt. Dort angelangt checkt die Gruppe in einem gemütlich und doch modern eingerichteten Guest House ein – samt Willkommenstee.

Schliesst nun die Augen und konzentriert euch auf euren Atem. Wir machen eine Körperreise, indem wir gedanklich von Körperregion zu Körperregion wandern

Bogdana bezieht ihr Zimmer und begibt sich im Anschluss zum Gemeinschaftsraum, wo sie die Gruppe bereits erwartet. «Macht es euch bequem – sitzend oder liegend, mit Kissen und Decke oder ohne. So, wie ihr euch wohlfühlt», leitet Klaus die Meditation ein. «Schliesst nun die Augen und konzentriert euch auf euren Atem. Wir machen eine Körperreise, indem wir gedanklich von Körperregion zu Körperregion wandern.» Während Klaus’ sonore Stimme allmählich in den Hintergrund driftet, spürt Bogdana, wie ihr ganzer Körper kribbelt. Eine starke Hitze überkommt sie, gefolgt von einem Gefühl des Schwebens. Sie fühlt sich leicht und mit dem ganzen Universum verbunden.

‹Das ist wohl die viel zitierte Erleuchtung, die pure Glückseligkeit›, denkt sie sich, als Klaus die Gruppe aus der Meditation zurückholt. Bogdana blickt in die Runde und verspürt eine ungeheure Verbundenheit zur Gruppe, obwohl sie niemanden daraus kennt. Und ganz besonders nah fühlt sie sich Klaus. Sein Lächeln glitzert wie das Meerwasser in der Sonne Dalmatiens, als sie damals ihren shwulen Sohn Aleks einer Konversionstherapie unterziehen wollte.

Trink noch etwas vom Willkommenstee mit dem kostbaren Honig. Er wird dich stärken

Klaus nimmt sie in den Arm: «Ist schon gut, lass es raus.» Bogdana bemerkt erst jetzt den Schwall Tränen, der ihre Wangen von ihrer Schuld reinzuwaschen versucht, ehe sie schluchzend Trost in seiner Umarmung sucht. «Was auch immer dich belastet, wirst du hier los.» Klaus muntert sie auf und reicht ihr eine Schale: «Trink noch etwas vom Willkommenstee mit dem kostbaren Honig. Er wird dich stärken.»

Bogdana nimmt ein paar Schlucke – unwissend, dass sich darin Tollhonig befindet. Ein Honig, den die grossen Kliffhonigbienen des Himalaja aus dem giftigen Rhododendron gewinnen. «Zweimal im Jahr erntet das Volk der Gurung die Waben der magischen Bienen», erklärt Klaus die besondere Zutat, die Bogdanas Sinne erneut verzaubert. Er begleitet sie zu ihrem Zimmer: «Der Honig ist wirklich magisch: Der Fussboden scheint, als bestünde er aus lauter kissengrossen Trampolinen, die mich von einer Stelle zur nächsten befördern», beschreibt Bogdana ihren Rausch. Klaus lächelt und legt sie ins Bett: «Nun ist es wichtig, dass du schläfst. Morgen setzen wir unsere Reise fort.»

Kaum ist Klaus aus dem Zimmer, überfallen Bogdana Übelkeit, Herzrasen und Panik. Sie eilt zum Bad und speit die Reste des Tees in die Kloschüssel. Schweissgebadet stemmt sie sich empor zum Waschbecken, um ihr glühendes Gesicht mit Wasser abzukühlen. Im Spiegel blickt ihr eine bleich-grünliche Bogdana entgegen. Noch nie in ihrem Leben hat sie einen Drogenrausch erlebt. Sie schämt sich. Gleichzeitig ist sie stolz, etwas Verwegenes getan zu haben. Mitten im Taumel nimmt sie ein dumpfes Klopfen an der Türe wahr: «Alles in Ordnung bei dir? Ich bin’s – Tina von nebenan.»

Bogdana schleppt sich zur Türe, macht auf und fragt: «Was zum Teufel ist in diesem Tee drin?» «Mad Honey», erwidert Tina, «ein Honig, der dein Bewusstsein erweitert … Dein erstes Mal?» Bogdana nickt benommen. «Das vergeht wieder, ging mir vor zwei Jahren auch so, als ich hierherkam.» «Und was führte dich hierher?», erkundigt sich Bogdana. «Mein shwuler Ex-Mann.»

*Wir schreiben in dieser Kolumne «shwul» statt «schwul», um den Balkan-­Slang wiederzugeben. Weitere Hintergründe zur Kolumne «Shwule Grüsse aus dem Balkan» erfährst du im Interview mit dem Autor Predag Jurisic

Unterstütze LGBTIQ-Journalismus

Unsere Inhalte sind für dich gemacht, aber wir sind auf deinen Support angewiesen. Mit einem Abo erhältst du Zugang zu allen Artikeln – und hilfst uns dabei, weiterhin unabhängige Berichterstattung zu liefern. Werde jetzt Teil der MANNSCHAFT!

Das könnte dich auch interessieren