«Shwule Grüsse vom Balkan» (28) – Bogdanas Befreiung
Nach einer intensiven LSD-Session gibt es ein böses Erwachen
Eine LSD-Therapie, die dazu dienen soll, unverarbeitete Gefühle zu öffnen, führt bei Bogdana zu einer tiefgreifenden emotionalen Transformation.
Bogdana öffnet die Türe zu einem verdunkelten Raum. Darin sind Kerzen aufgestellt. In der Mitte des Raums empfängt sie eine dicke Matratze mit einer flauschigen Decke. Klaus, der Leiter des «Seelenbefreiungsseminars in Nepal», an dem Bogdana teilnimmt, sitzt in einem Sessel. In einem anderen sitzt die Therapeutin Andrea, die Bogdana einlädt, sich ebenfalls zu setzen. Auf einem kleinen Tisch vor Bogdana liegt eine Schale mit LSD-Ampullen. «Deine Therapiesitzung dauert heute den ganzen Tag. Klaus und ich begleiten dich dabei. Die LSD-Therapie dient dir, Türen zu deinem Inneren zu öffnen – zu deinen nicht verarbeiteten Gefühlen», erklärt ihr Andrea.
Bogdana folgt Andreas Instruktionen und setzt sich auf die weiche Matratze. Nun nimmt sie ihre LSD-Dosis ein und legt sich hin. Sie kuschelt sich ein und schliesst die Augen. Nach einer halben Stunde setzt die LSD-Wirkung ein: Ein starkes Gefühl überkommt Bogdana, als fliesse Energie aus ihr und in sie. Zwar realisiert sie, dass sie sich immer noch im Raum mit Andrea und Klaus befindet, doch ihr Körper wird leicht. So, als durchdringe die Luft im Raum ihren Körper.
«Wie geht es dir?», fragt Andrea Bogdana. Bogdana lässt mit ihrer Antwort etwas warten, weil sie diese Explosion von Gefühlen gerade einordnet. «Gut … ich fühle mich so leicht … so sorglos … so frei», flüstert Bogdana in kurzen Schüben. «Das ist gut. Du kommst zu dir. Möglicherweise entdeckst du nun Gefühle oder Erlebnisse, die dir lange versteckt geblieben sind», kommentiert Andrea Bogdanas Antwort.
«Was für Gefühle …?»
Kaum hat Bogdana ihre Frage ausgesprochen, taucht ihr Leben wie in einer Rückschau auf: Sie sieht ihren Vater, der als KZ-Häftling überlebt, aber seine fürchterlichen Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg nie verarbeitet hat. Sie sieht die Armut und die Hungersnot im Jugoslawien der Nachkriegszeit und ihren Willen, nie wieder arm sein zu wollen. Sie sieht die Kinder derjenigen, die sich im Krieg bereichert und schlechter Gestellte gnadenlos erniedrigt haben. Sie bricht in Tränen aus. Es ist ein Weinen, das aus dem tiefen Inneren von Bogdanas Seele hervorquillt. Ihre emotionale Verhärtung, ihr Fokus auf Perfektion und ihre Sehnsucht, durch Status anerkannt zu sein, lösen sich in ihrem Tränenmeer plötzlich auf wie der Zucker, den sie jeweils in ihren Tee gibt.
Ich fühle mich so glücklich, so verbunden mit der Welt. Ich verschmelze mit ihr völlig friedvoll
Andrea fragt nochmals, wie es ihr gehe. Bogdana spürt eine Befreiung. Ihre bitteren Tränen wandeln sich zu Freudentränen: «Ich fühle mich so glücklich, so verbunden mit der Welt. Ich verschmelze mit ihr völlig friedvoll.» «Das ist genau das, was du bisher versteckt hast. Du hast ein besseres, ein glücklicheres Leben verdient. Nun hast du es dir geholt», bestärkt sie Andrea.
Der Druck, immer perfekt auf andere zu wirken, schwindet. So auch der Zwang, sich für ihren shwulen Sohn Aleksandar nicht mehr zu schämen, sondern ihn anzunehmen, wie er ist: ein liebender Mensch, der einfach anders liebt als die Mehrheit der Gesellschaft. Oder die Sorge um Alen, ihren anderen Sohn, der als heterosexueller Fussballnachwuchsstar mit seiner HIV-Infektion gerade im Rampenlicht steht: Sie merkt, dass er mit seiner HIV-Therapie bestens aufgehoben ist und nichts zu befürchten hat.
All das ist nicht mehr wichtig für sie. Es zählt nur die Liebe zu ihren Söhnen. Und zu ihrem Mann Cvetko: Er hat sie in ihrem Leben nie abschätzig behandelt, sondern sie in all ihren Vorhaben unterstützt. Zusammen mit ihr hat er stets das Beste für die beiden Söhne gewollt und alles dafür getan. Einzig sein Hang zum Fussball und zum ex-jugoslawischen Klublokal hat sie manchmal auf die Palme gebracht, weil er dann blind, taub und stumm für sie war – wie die drei Affen, die in Messenger-Apps als Emoji herumgeistern. Aber was ist das schon, wenn er bei allem anderen im Leben immer für sie da war …
Während ihrer Rückkehr von der LSD-Reise spürt Bogdana, wie Klaus energisch an ihr rüttelt: «Es ist dein Sohn Aleksandar. Er sucht dich verzweifelt. Dein Mann Cvetko liegt im Krankenhaus!»
*Wir schreiben in dieser Kolumne «shwul» statt «schwul», um den Balkan-Slang wiederzugeben. Weitere Hintergründe zur Kolumne «Shwule Grüsse aus dem Balkan» erfährst du im Interview mit dem Autor Predag Jurisic.
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