Sheyn: Die Architekten schöner Dinge
«Wir sind ein ziemlich queerer Brand»
Nicolas Gold und Markus Schaffer sind Gründer von Sheyn, ein junges Start-up aus Wien. Ein Protokoll über die Träume und Meilensteine eines queeren Designstudios.
Wie 40 futuristische Spinnräder sehen sie aus: Die 3D-Drucker, die in der Zieglergasse in Wien leise vor sich hin surren. Nur spinnen sie keine Wolle, sondern Fäden aus biobasierten Kunststoffen. Auch spinnen ist das falsche Wort.
Vielmehr tragen die Maschinen Schicht um Schicht auf, Millimeter um Millimeter – mit so grosser Präzision, dass am Ende eine perfekte geometrische Form entsteht, die nicht nur schön aussieht, sondern auch einen Zweck erfüllt: als Vase, als Schale, als Lampenschirm.
Wir befinden uns im Atelier von Sheyn, am Tisch sitzen Nicolas Gold und Markus Schaffer. Die beiden Männer sind die Gründer des jungen Designstudios und sowohl geschäftlich als auch privat ein Paar.
Die Idee Sheyn begann vor acht Jahren. Nicht in diesem Atelier, sondern in der Küche von Nicolas. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits seit etwas über einem Jahr mit Markus zusammen und schlug ihm vor, gemeinsam ein Unternehmen zu gründen. Er würde sich um das Kreative kümmern, Markus um das Geschäftliche. Was genau Nicolas jedoch produzieren wollte, wusste er damals noch nicht. «Nur etwas war mir klar: Ich wollte einfach schöne Dinge machen», sagt Nicolas.
Bei diesem entscheidenden Moment in der Küche war auch ein guter Freund von Nicolas dabei. Und sagte: «Dann wählt doch den Namen Sheyn!» Ein Argument dafür war nicht nur die jiddische Bedeutung «schön», sondern auch die Herkunft der jiddischen Sprache. «Ich stamme aus einer jüdischen Familie in Argentinien, Markus aus Österreich», sagt Nicolas. «Jiddisch steht für eine Verbindung der jüdischen Community mit Europa – ein Zusammenkommen von Hebräisch und Deutsch.»
Markus studierte Informationsmanagement, Nicolas Architektur. Während Nicolas noch den Master anhängte, absolvierte Markus den Master in Wirtschaftsinformatik. Für Nicolas war lange klar, dass er sich einmal selbstständig machen würde. «Ich designe lieber für mich selbst als für andere Leute», sagt er. «Als ich noch in einem Architekturbüro arbeitete, war ich frustriert. Du arbeitest 60 Stunden pro Woche und tust am Ende das, was andere dir sagen.»
Die Produkte Ein Architekt ist Nicolas geblieben – ein Architekt schöner Dinge. Dieser Background prägt Sheyn von den Anfängen bis heute, veranschaulicht wird das in den architektonischen Designs der Produkte. Diese kommen aus dem 3D-Drucker und werden nach Modellierungstechniken entworfen, die Nicolas im Studium gelernt hat.
Die erste Kollektion, die Sheyn herausbringt, ist Schmuck. «Das waren Ringe, Anhänger und Armreifen, die wir in Silber fassten. Damit besuchten wir die ersten Designermärkte in Wien», erinnert sich Markus. Sowohl er als auch Nicolas hatten zu dieser Zeit noch ihre Jobs und Sheyn war nichts weiter als ein Nebenprojekt. 2019 kauften die beiden ihren eigenen 3D-Drucker, um mehr Kontrolle über die einzelnen Teile ihrer Schmuckdesigns zu haben.
Nicolas experimentierte mit Vasen und produzierte erste Prototypen. Diese stellte er zusammen mit dem Schmuck am Wiener Fesch’Markt aus, ein ehemaliger Marktplatz für die Kreativszene Österreichs. «Die Prototypen waren schnell ausverkauft, so dass wir nachts weitere nachdrucken mussten», erinnert sich Markus. «Uns war sofort klar, dass wir die Vasen weiterverfolgen mussten.»
Nicolas und Markus konzentrierten sich auf «Homeware». Der Begriff kann etwa mit Haushaltswaren übersetzt werden und umfasst Vasen, Schalen und Töpfe für Pflanzen. Bald kamen Leuchtmittel wie Tischlampen und Hängeleuchten hinzu, die das Paar erstmals 2022 bei der Vienna Design Week ausstellten.
Heute ist der Schmuck eher in den Hintergrund gerutscht. «Die Homeware-Kollektionen können wir komplett selbst produzieren. Beim Schmuck ist es ein bisschen komplizierter, da wir die Fassungen andernorts herstellen lassen müssen», sagt Nicolas. «Daher verkaufen wir den Schmuck nur noch auf Bestellung.»
Vasen und Lampen aus dem 3D-Drucker: Kann man sich diese Wundermaschine kaufen und bloss auf den «Print»-Knopf drücken? So einfach, wie das klingt, ist es nicht. Abgesehen von der Tatsache, dass ein qualitativ hochwertiges Gerät mehrere hundert Euro kostet, sind die Produkte von Sheyn das Ergebnis eines zeitintensiven Design- und Herstellungsprozesses, die akribisch auf den Drucker abgestimmt sind.
«Wir lassen uns vom Drucker nicht vorschreiben, wie er unsere Ware druckt», sagt Nicolas. «Wir versuchen die Balance zwischen Design und Produktionsqualität zu finden.» Ähnlich wie die Statik eines Gebäudes in der Architektur eine Rolle spielt, muss Nicolas neben dem Design auch die Struktur und Stabilität seiner Produkte berücksichtigen – und wie diese durch den 3D-Drucker gewährleistet werden können. Seine Anforderungen sind hoch: Produkte, die einen Makel oder Druckfehler aufweisen, wandern ins Recycling.
Der Durchbruch 2020 erhielten Markus und Nicolas eine Förderung über 60 000 Euro der Wirtschaftsagentur Wien, ein Fonds der Stadt Wien. Markus schrieb den dafür erforderlichen Antrag und das Budget. «Der Antrag musste sehr gründlich sein, fast wie ein Businessplan. Doch für uns war es gut, so konnten wir uns an ihm orientieren», sagt er.
Die beiden erhielten die Zusage für den Förderbeitrag im Februar 2020. Ein Monat später kam die Pandemie und Markus und Nicolas sassen zuhause im Lockdown. Während viele andere Unternehmen zum Stillstand kamen, hatte das Paar Glück. Es war ein guter Zeitpunkt, um durchzustarten. «Die Menschen mussten im Homeoffice bleiben und wollten ihr Zuhause verschönern. Unser Onlineshop mit allen Produkten war startbereit», sagt Nicolas.
Wir bestehen aus vier schwulen Männern und einer heterosexuellen Frau
Heute besteht Sheyn aus einem fünfköpfigen Team. «Wir sind ein ziemlich queerer Brand», sagt Markus lachend. «Wir bestehen aus vier schwulen Männern und einer heterosexuellen Frau.» Auf die Frage, wann Sheyn der Durchbruch gelang, geben Markus und Nicolas unterschiedliche Antworten. Der Betriebswirtschafter Markus nennt die Bestellung eines kanadischen Onlineshops von 1300 Stück. Der lukrative Auftrag liess die jungen Unternehmer jedoch erst einmal leer schlucken.
«Bis dahin war unsere grösste Bestellung lediglich bei 150 Stück», erinnert sich Markus. «Wir hatten nicht genügend Zeit und nicht genügend Platz für eine so grosse Bestellung.» Sheyn einigt sich mit dem Kunden auf eine Lieferfrist von zwei Monaten und eine Anzahlung. Mit dem Geld schaffen sich Markus und Nicolas fünf neue 3D-Drucker an und beginnen mit der Produktion. «Ohne diese Bestellung wären wir heute vielleicht nicht dort, wo wir jetzt sind», sagt Nicolas. «Wir konnten viel lernen, was den Umgang mit grossen Bestellungen betrifft.»
Für den Kreativkopf symbolisiert jedoch ein anderes Ereignis den Durchbruch von Sheyn: das Ausstellen bei der renommierten Designmesse «Maison & Objet» in Paris. «Die angesehenen Marken und Produkte sind dort vertreten, für mich schien das immer unerreichbar», sagt Nicolas. «Als wir aber dort unseren kleinen Stand hatten und die Leute zu uns kamen, um Bestellungen aufzugeben, gab es uns schon das Gefühl, endlich angekommen zu sein.»
Balance zwischen Geschäft und Beziehung Markus und Nicolas sind nicht selten unterschiedlicher Meinung. Doch es sind gerade die gegensätzlichen Ansichten und das Treffen in der Mitte, was Teil des Erfolgsrezepts von Sheyn ist. «Ich bin sehr impulsiv und möchte alles am liebsten gleich sofort umsetzen», sagt Nicolas. «Markus ist der typische Österreicher. Er mag es gerne etwas langsamer, dafür auf der sicheren Seite. Für die geschäftlichen Dinge fehlt mir schlicht die Geduld.»
Markus ist der typische Österreicher. Er mag es gerne etwas langsamer, dafür auf der sicheren Seite
Es ist jedoch der eher risikoscheue Markus, der Nicolas zu gemeinsamen Kollektionen mit anderen Künstler*innen bringt. «Ich sage anfangs oft nein, weil ich nicht mit anderen Menschen designen möchte. Am Ende kommen aber immer coole Produkte dabei raus», sagt Nicolas. Ein Jahr nach seiner grossen Bestellung meldete sich der kanadische Onlineshop wieder und schlug eine gemeinsame Weihnachtskollektion vor.
«Ich bin Jude, ich habe keinen Bezug zu Weihnachten», sagt Nicolas lachend. Doch Markus überzeugte ihn und im Rahmen der Kollaboration entdeckte Nicolas eine Methode, die zwei Farben beim 3D-Druck miteinander kombiniert. Die zweifarbigen Modelle sind nun fester Bestandteil der Sheyn-Hauptkollektion. «Sie gehören zu unseren Bestsellern», sagt Nicolas. «Ohne die Zusammenarbeit hätten wir nie diese Richtung eingeschlagen.»
Während Markus und Nicolas in den Anfangsjahren fast ihre gesamte Zeit in Sheyn investierten, kommen sie heute in einer durchschnittlichen Arbeitswoche auf je rund 50 Stunden. «Wir sind ein Paar, das zusammen arbeitet und zusammen wohnt. Oft besprechen wir Geschäftliches, wenn wir zuhause oder schon im Bett sind», sagt Markus.
«Ich bin ein Workaholic», ergänzt Nicolas. «Für mich ist Sheyn nicht nur ein Unternehmen, sondern auch ein Hobby. Ich kann 24 Stunden am Tag arbeiten, wenn es sein muss.»
Wirklich abschalten können die beiden, wenn sie auf Reisen sind und sich von Design und Architektur inspirieren lassen. Eine weitere Leidenschaft ist der Eurovision Song Contest, zu dem sie jährlich reisen. «In der Eurovision-Woche tun wir auch wirklich nichts Geschäftliches», sagt Nicolas. «Wir achten darauf, dass wir gemeinsam mit unseren Freunden etwas unternehmen.» Am letztjährigen Contest unterstützten sie den finnischen Kandidaten Käärijä und trugen schwarze T-Shirts mit fluoreszierendem Aufdruck. Nicolas schmunzelt: «Wir schafften es in der Liveshow drei Mal vor die Kamera!»
Uns ist wichtig, dass wir mit ökologischen Materialien arbeiten
Die Verantwortung für Umwelt und Community Die Produkte von Sheyn werden mit PLA gedruckt, die englische Abkürzung für Polymilchsäuren. Vereinfacht ausgedrückt handelt es sich bei diesem Material aus biobasiertem Kunststoff. Markus und Nicolas füttern ihre 3D-Drucker mit Filamenten aus Maisstärke. «Uns ist wichtig, dass wir mit ökologischen Materialien arbeiten», sagt Markus. «PLA aus Maisstärke ist erneuerbar, kann recycelt werden und ist sogar biologisch abbaubar.»
Auf dem Komposthaufen sollte PLA trotzdem nicht landen – der Kunststoff ist vorerst nur industriell kompostierbar. «Produkte, die mit PLA gedruckt werden, können granuliert und so zu neuen Filamenten verarbeitet werden», erklärt Nicolas. Des Weiteren sind ihm eine nachhaltige Produktion wichtig. «Wir produzieren alles vor Ort und nur auf Bestellung. Wir benötigen keine Lagerhäuser und haben keine überschüssige Ware, die wir recyceln müssen.»
Als queeres Designstudio legt Sheyn auch viel Wert darauf, in der Community ein Zeichen zu setzen. Zum Pridemonth im Juni 2023 lancierten Markus und Nicolas die «Embracing Beauty»-Kampagne. Menschen aus der LGBTIQ-Community, unter anderem auch «Drag Race Germany»-Finalist Metamorkid, posierten nackt mit Vasen.
Die Bilder kamen nicht nur gut an und Sheyn büsste auf Social Media eine kleine Zahl von Followern ein. Es kamen Kommentare wie: «Es ist nicht mehr Juni, können wir wieder Bilder von coolen Vasen sehen und nicht nackten Menschen. Auch Kinder nutzen diese App.»
Markus und Nicolas sind trotzdem stolz auf ihre Kampagne. «Wien ist sehr offen, wie ganz Österreich das sieht, weiss ich nicht. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Kampagne zeigen», sagt Markus.
Besonders queer ist auch die Kollektion «Edge», die Sheyn zusammen mit Jordan Cluroe and Russell Whitehead vom Londoner Designstudio «2LG Studio» umsetzte. Dazu gehören unter anderem die «genderlose» Vase «Touch» oder die phallische Vase «Bulbous», mit denen die beiden Designstudios queere Kreativität feiern wollen. «Ich arbeitete sicherlich mit 50 Entwürfen von Penissen in den unterschiedlichsten Grössen und Formen», sagt Nicolas. «Und es war gar nicht so einfach, sich auf die Form zu einigen.
Soll er lang oder kurz, dick oder dünn, beschnitten oder unbeschnitten sein?» Doch so wie bei allen Kollaborationen konnte auch hier eine Lösung gefunden werden. Nicolas lacht: «Es dauerte zwar zwei Monate, doch wir konnten uns auf einen Penis einigen, der allen vieren gefiel.» – sheyn.at
«Dank Onlyfans sehe ich Pornos, die die Realität abbilden» – Eddy und Flo haben Lust auf ihre Lust. Nebenberuflich drehen sie Pornoclips für die Plattform Onlyfans und wünschen sich, dass niemandem mehr das Gesicht entgleist, wenn sie darüber sprechen (MANNSCHAFT+).
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