Parteipolitisches Kleinklein stört LGBTIQ-Erinnerungsarbeit
Die Hamburger FDP beantragt ein «Denkmal für sexuelle Vielfalt» - aber will sie es wirklich?, fragt unser Samstagskommentator
Die Hamburger FDP hat einen Antrag zur Errichtung eines Denkmals für sexuelle Vielfalt gestellt. Doch während etwa in Düsseldorf einem ähnlichen Bestreben ein intensiver Community-Prozess zu Grunde liegt, will man sich in der Hansestadt offenbar nur profilieren, schreibt Stefan Mielchen, Erster Vorsitzender beim Hamburg Pride, in seinem Samstagskommentar*.
Weltweit wurde in diesem Jahr über 50 Jahre Stonewall geredet. Ein stolzes Jubiläum, das den Widerstand gegen Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt feierte – und aus dem auch ein halbes Jahrhundert später unterschiedliche Communities rund um den Globus Kraft schöpfen. Wenngleich erst allmählich gesehen und namentlich benannt wird, wer die wahren Held*innen der Christopher Street waren.
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Während alle Welt feierte, wurden zwei deutsche Jubiläen kaum thematisiert: Reform und Abschaffung des Paragraphen 175 im bundesdeutschen Strafrecht vor 50 beziehungsweise 25 Jahren. Dieses dunkle Kapitel unserer Geschichte, das für viele zerstörte Leben steht, rückte weit weniger ins öffentliche Bewusstsein. Dabei sind die Auswirkungen des Paragraphen bis heute spürbar. Vor allem ältere schwule Männer können ein trauriges Lied davon singen.
Stolz und Schande – beides ist in der Bundesrepublik eng miteinander verwoben und verdient eine angemessene Würdigung. Umso erschreckender ist es, wie unsensibel Parteipolitiker mit Erinnerung und Gedenken häufig umgehen. Mittlerweile scheint das historische Bewusstsein derart verblasst zu sein, dass man selbst den Paragraphen 175 zur Reaktivierung vorschlagen kann – wenn auch mit einer anderen Zielrichtung.
Die SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs und Karl-Heinz Brunner wollten Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit einem eigenen Gesetzentwurf zum Verbot so genannter «Konversionstherapien» vorführen, und dies ausgerechnet mit der Ziffer 175 im Strafrecht festschreiben. Nach diversen Protesten ruderte Brunner, der auch neuer SPD-Vorsitzender werden will, zwar kleinlaut zurück. Doch die Idee war in der Welt. Und man fragt sich fassungslos, wie ein ehemaliger und ein amtierender Fraktionssprecher für LGBTI-Belange einen Vorschlag in Umlauf bringen konnten, der die hohe Symbolkraft des Paragraphen ignoriert und die Empfindungen der noch lebenden Opfer beleidigt.
Da ist die Zivilgesellschaft zuweilen wesentlich weiter. Unabhängig von aktuellen Jubiläen wird auf lokaler Ebene in mehreren deutschen Städten derzeit diskutiert, wie man dem Gedenken an die Verfolgung und der Würdigung der Emanzipation einen angemessenen öffentlichen Raum geben kann. Hamburg, Düsseldorf, Darmstadt: Überall waren es engagierte Einzelpersonen, Vereine und Verbände aus der Community, die die Initiative hierzu ergriffen und sich politische Unterstützung suchten.
Darmstadt und Düsseldorf arbeiten im Konsens Doch während in Darmstadt der Vorstoss von allen Parteien im Stadtrat getragen wird und in Düsseldorf ein intensiver Community-Prozess die Grundlagen für das weitere Vorgehen der städtischen Kunstkommission legte, auch hier im breiten Konsens der Stadtgesellschaft, geriet das Projekt in Hamburg unlängst in den beginnenden Bürgerschaftswahlkampf. Hier zeigte sich einmal mehr, wie wenig Erinnerungsarbeit und parteipolitisches Kleinklein zusammenpassen.
So griff sich die Hamburger FDP-Fraktion den Vorschlag zur Errichtung eines Denkmals für sexuelle Vielfalt, der aus einem kleinen Initiativkreis schwuler Männer der Hansestadt an sie herangetragen wurde, und machte daraus ihren eigenen Antrag, der den Senat ausführlich und gut begründet zum Handeln aufforderte. Auf die Idee, im Vorfeld einen interfraktionellen Konsens herbeizuführen, kamen die Liberalen offenbar nicht. Doch um das Anliegen – auch angesichts einer erstarkenden Rechten – gesellschaftlich breiter zu verankern, wäre genau dies sinnvoll gewesen: einen gemeinsamen politischen Willen möglichst des gesamten Parlamentes zu artikulieren, statt alleine politisch punkten zu wollen.
Zumal es bei dem geplanten Denkmal nicht primär um die Opfer von Verfolgung gehen soll. «Hamburg muss sich stark machen gegen Hass, Intoleranz und Ungerechtigkeit. Hamburgs Anspruch als Zukunftsstadt muss immer sein, dass hier Menschen jeden Geschlechts und jeder sexuellen Identität in Frieden und frei leben und lieben können. Für diesen Anspruch und als weithin sichtbares Zeichen soll es in Hamburg ein Denkmal für sexuelle Vielfalt geben», unterstrich die FDP in ihrer Antragsbegründung.
Denkmal für schwule Nazi-Opfer schon wieder beschmiert
Sexuelle Vielfalt ist Reizwort Der damit gesetzte Reizbegriff sexuelle Vielfalt zwang zur Positionierung – CDU, Linke und AfD in der Hamburgischen Bürgerschaft verweigerten prompt ihre Zustimmung. Doch genau dies zeigt, wie sinnvoll eine intensive Debatte im Vorfeld gewesen wäre, um auch die Gegner und Zweifler mitzunehmen; Düsseldorf und Darmstadt haben es vorgemacht. Ein halbes Jahr vor der Bürgerschaftswahl arbeitete man bei der FDP aber lieber auf eigene Rechnung.
Und so griff das überkommene politische Ritual, nach dem eine regierende Mehrheit jeden noch so klugen Antrag unterstützt – nur nicht, wenn er von der Opposition kommt. SPD und Grüne drückten lieber einen eigenen Zusatzantrag durch, der in grösstmöglicher Schwammigkeit noch etwas Opfer-Gedenken hinzu formulierte und dies in einen Zusammenhang mit dem 40-jährigen CSD-Jubiläum in der Hansestadt im kommenden Jahr stellte. Hamburgs CSD-Macher erfuhren davon aus der Zeitung.
Die Beteiligten müssen sich fragen lassen, wie ernst ihnen das Anliegen tatsächlich ist.
Was für eine vertane Chance! Offenbar war es den handelnden Politiker*innen wichtiger, einen schnellen Punkt im beginnenden Wahlkampf zu erzielen, als das Thema in der gebotenen Ruhe und Breite vorzubereiten. Während sich nun drei Fraktionen rühmen, für eine gute Sache gekämpft zu haben, ist kaum damit zu rechnen, dass sich vor der Hamburg-Wahl im kommenden Februar in Sachen Denkmal Entscheidendes tut. Danach werden die Karten neu gemischt. Und die Beteiligten müssen sich fragen lassen, wie ernst ihnen das Anliegen tatsächlich ist.
UMFRAGE: Wie schwul ist Umweltschutz?
Das Hamburger Beispiel zeigt, wie politische Rituale und Taktierereien wichtige gesellschaftliche Anliegen konterkarieren. Dabei wäre es gerade im Jahr des 50-jährigen Stonewall-Gedenkens ein gutes Signal gewesen, politisch einen Ort auf den Weg zu bringen, der die Opfer von Hass, Intoleranz und Ungerechtigkeit ebenso wertschätzt wie die Kämpfer*innen der Emanzipationsbewegungen, deren errungene Freiheiten wir heute geniessen. Es steht zu hoffen, dass dies trotz des fehlenden politischen Feingefühls und des mangelnden Willens, Parteiinteressen aussen vor zu lassen, auch in Hamburg noch gelingt.
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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