Schwules Drama «Hör auf zu lügen» – Wenn die erste Liebe tragisch endet
Neu im Kino
Olivier Peyons neuestes Drama, die Romanverfilmung «Hör auf zu lügen», kommt ins Kino.
Für queere Geschichten und ihre Macher*innen gibt es wenig bessere Orte als das französische Kino. Nicht zuletzt schwulen Regisseuren, die in schöner Regelmässigkeit die Gelegenheit bekommen, im gehobenen Mainstream-Bereich Filme mit LGBTIQ-Thematik zu drehen, begegnet man dort in einer Frequenz, von der die deutschsprachige Filmbranche nur träumen. Man denke an François Ozon und Christophe Honoré, an Robin Campillo und Alain Guiraudie. Und dank «Hör auf zu lügen» nun auch an Olivier Peyon.
Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Philippe Besson (der zumindest in Frankreich ein echter Bestseller war) erzählt der Regisseur die Geschichte des schwulen Schriftstellers Stéphane Belcourt (Guillaume de Tonquédec), der mit autobiografisch inspirierten Werken berühmt wurde, aber inzwischen aber in einer kreativen Krise steckt. Die Einladung zu einer Lesung und Ehrung auf einem Cognac-Weingut in seiner Provinzheimat könnte womöglich Abhilfe schaffen, doch das Gegenteil ist der Fall.
In seiner Jugend konnte Stéphane nicht schnell genug die ländliche Kleinstadtenge hinter sich lassen, und auch bei der Rückkehr befällt ihn nun eine Beklemmung, die es ihm kaum möglich macht, überhaupt auch nur eine Rede zu schreiben. Überall wird er an die grosse Jugendliebe erinnert, die als Schüler zwischen ihm (Jérémy Gillet) und dem ungeouteten Bauernsohn Thomas (Julien de Saint-Jean) entbrannte – und von einem Tag auf den anderen endete, als letzterer nach dem Abschluss nach Spanien ging. Jahrzehnte später nun trifft Stéphane plötzlich auf den jungen Cognac-Vertreter Lucas (Victor Belmondo), der sich unerwartet als Thomas Sohn herausstellt. Eine Begegnung, die bei beiden Männern sehr unterschiedliche, nie wirklich verheilte Wunden ganz neu aufreisst.
Peyon, der selbst Vater zweier Söhne ist und sich erst recht spät in seinem Leben geoutet hat, nimmt etliche Veränderungen gegenüber der Romanvorlage vor, die seiner Version von «Hör auf zu lügen» allerdings nur zum Vorteil gereichen. Die einzelnen Bestandteile seiner Geschichte mögen allesamt nicht hundertprozentig neu sein. Das Aufarbeiten der ersten, tragisch geendeten Liebe ist ein gängiges Thema im queeren Kino. Schwule Männer, die nach Hause zurückkehren, kennt man von Didier Eribon und Édouard Louis. Und auch dass nebenbei, über die Verschiedenheit der beiden jungen Liebenden, Klassenunterschiede verhandelt werden, hat man schon gesehen.
Wie Peyon all diese Elemente allerdings kombiniert, ist ungemein effektiv und berührend. Zart und herzzerreissend ist «Hör auf zu lügen», aber auch immer wieder erfreulich humorvoll (etwa, wenn Stéphane vor diversen aus Amerika angereisten Cognac-Händler*innen von Erlebnissen in einer Schwulenbar in San Francisco zum Besten gibt) und in den leidenschaftlichen Liebesszenen der Rückblenden auch durchaus sexy. Die Kameraarbeit überzeugt in der unterschiedlichen Bebilderung der beiden Zeitebenen, und der grösste Trumpf des Films ist definitiv sein Ensemble. Alle vier männlichen Schauspieler spielen glaubhaft und einfühlsam, wobei gerade Jean-Paul Belmondos Enkel Victor mit besonderem Charme verzaubert.
Nicht unerwähnt bleiben sollte allerdings auch Nebendarstellerin Guilaine Londez (stand schon für Chantal Akerman oder Paul Verhoeven vor der Kamera) die als örtliche PR-Frau aus einem nächtlichen, freimütigen Gespräch mit Stéphane eine geradezu unvergessliche Szene macht.
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