«Vor 10 Jahren hätte ich nicht akzeptiert, dass du schwul bist»
Ein Rabbiner hatte den Eltern von Hillel Meyer einst empfohlen, den Jungen in eine Konversionstherapie zu stecken
In den letzten 20 bis 25 Jahren habe sich vieles geändert in Israel, sagt Hillel Meyer. Aber natürlich ist noch Luft nach oben. Darum wirbt er für Toleranz und Akzeptanz für queere Kinder.
Wirklich schlecht steht Israel im internationalen Vergleich nicht da. Laut Spartacus Travel Index 2019, der trans Rechte und Antidiskriminierungsgesetze ebenso in die Bewertung mit einbezieht wie das Recht auf Eheschliessung oder eine eingetragene Partnerschaft, landete das Land auf Platz 23, gleich hinter Deutschland. Auch wenn man sich hier nicht mal verpartnern kann, geschweige denn heiraten.
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Eine Zivil-Ehe gibt es in Israel nämlich nicht. Auch nicht für Heteros. Eheschliessungen liegen in der Hand der Religionsgemeinschaften, und so kann auch beispielsweise ein jüdischer Mann keine arabische Frau heiraten.
Hillel Meyer führt ab und zu freie Trauungen für schwule und lesbische Paare durch, auch wenn er selber bis vor wenigen Jahren noch nicht allzu viel vom Thema Heiraten hielt. Nicht in der Form einer Zivilehe wenigstens, nicht für sich selbst. Aber durch die freien Trauungen hat sich seine Einstellung geändert.
Vater ist er schon. Seine zwei Söhne (10 und 8) spielen begeistert Fussball. Er selber kann damit nicht furchtbar viel anfangen – stattdessen hat er ihnen Boxen beigebracht. Die Jungs sind aber auch grosse Fans des Eurovision Song Contest, ganz der Vater. Der offen schwule 50-Jährige aus Tel Aviv zieht die Kinder mit der Mutter, einer heterosexuellen Freundin, als Co-Eltern auf. Gemeinsam, aber in getrennten Wohnungen. Während Meyer orthodox ist, ist die Mutter seiner Kinder säkular – und so wachsen auch die Kinder auf. Zwar wird bei ihnen an Shabbat nicht ferngesehen, auch Handys werden nicht benutzt, damit sie traditionelle orthodoxe Werte kennenlernen. Wie religiös sie aber ihr Leben führen wollen, das sollen sie später selber entscheiden, wenn sie alt genug sind, findet ihr Vater.
Damit er und seine Kinder einen Ort haben, an dem sie beten können, hat er vor ein paar Jahren mit einem heterosexuellen Freund eine LGBTIQ-inklusive Synagoge gegründet, unweit seiner Wohnung. Anfangs bestand die Gemeinde zu 90 % aus queeren Juden, mittlerweile ist der Anteil der Heteros auf 50 % gestiegen – so gross ist der Zulauf, erzählt Meyer stolz. Die Synagoge ist u.a. bei Eltern beliebt, die wollen, dass ihre Kinder in einer offenen Atmosphäre aufwachsen.
Früher waren Schwule in Synagogen tabu Die Erfahrungen, die er zuvor mit eigentlich inklusiven Synagogen in den USA gemacht hat, wo er 12 Jahre lebte, waren nicht allzu positiv. 1997 hatte er Israel verlassen. «Damals hätte ich hier als schwuler Mann in keine Synagoge gehen können», sagt er heute. Früher hatte er es als orthodoxer Schwuler schwer. Als er sich mit 18 seinem Rabbiner anvertraute, liess der ihn wissen: «Du kommst in die Hölle!“ Wie die aussehen würde, das erklärte er ihm auch: «Wenn du 30 bist, wirst du einsam sein, keine Familie haben und an AIDS erkrankt sein.» Nichts davon hat sich erfüllt.
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Der Rabbiner hatte den Meyers damals empfohlen, den Jungen in eine Konversionstherapie zu stecken. Doch für seinen Vater kam das nicht in Frage: Die Homosexualität seines Sohnes mochte er zwar zunächst nicht akzeptieren, aber ihn mit Elektroschocks zu behandeln – das ging ihm dann doch zu weit.
Offenere Gesellschaft dank ESC-Sieg In den letzten 20 bis 25 Jahren habe sich viel geändert in Israel, sagt Hillel Meyer. Das sei einerseits dem Premier und Friedensnobelpreisträger Jitzchak Rabin zu verdanken, der Israel nach einer ersten Amtszeit Mitte der 70er nochmal von 1992 bis zu seiner Ermordung im Jahre 1995 regierte. Und zur Öffnung der Gesellschaft habe der Sieg der trans Sängerin Dana International beim ESC 1998 auch eine Menge beigetragen, glaubt er.
Vor zehn oder 15 Jahren hätte ich das nicht akzeptieren können, dass du schwul bist
Heute ist Israel ein anderes Land. «Seit ich weg war, ist hier viel passiert, sagt Meyer. Kürzlich traf er Mitglieder seiner orthodoxen Jugendgruppe wieder und outete sich bei ihnen. Alle seien nach kurzem Schweigen sehr unterstützend gewesen. Einige gaben zu: «Vor zehn oder 15 Jahren hätte ich nicht akzeptieren können, dass du schwul bist.»
Solidarität unter Jüd*innen als Vorbild für die LGBTIQ-Community
Meyer, der als Reiseleiter für wohlhabende Juden arbeitet, engagiert sich ehrenamtlich in der LGBTIQ-Bildungsinitiative Shoval, dessen Vorsitzender er auch mal war. Als «leiser Aktivist», wie er sich selber nennt. Das Schwenken von Regenbogenfahnen liegt ihm nicht, sagt er. Stattdessen geht er weiter in moderne orthodoxe Gemeinden, spricht auch mit Lehrern, Rektoren sowie mit Schulpsychologen, um für Toleranz und Akzeptanz für queere Kinder zu werben. «Ich mache das für die nächste Generation.»
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