Schwul und jüdisch: Von Nazis verfolgte Zwillingsbrüder erhalten Gedenkstein
In Trier werden erstmals zwei Stolpersteine für ein homosexuelles Zwillingspaar verlegt, die eineiigen Salomon-Zwillinge Ernst und Leo
Manchmal recherchiert Jürgen Wenke über mehrere Jahre an einem Lebensweg. Schicksal und liest hunderte Seiten Akten, bevor ein weiterer Stolperstein verlegt werden kann, der an die Verfolgung oder Vernichtung eines homosexuellen Mannes durch die Nazis erinnert. Ernst Papies etwa, mehrfach verurteilt und eingesperrt, überlebte die Konzentrationslager Buchenwald, Mauthausen und Auschwitz und brachte danach noch die Kraft auf, in der jungen Bundesrepublik Anträge auf Wiedergutmachung und Entschädigung zu stellen. Er schrieb an Bundeskanzler und Bundespräsident, nichts half. Die Streichung des Paragraphen 175 im Jahr 1994 hat er noch erlebt, er starb 1997 in Konstanz; von einem Gesetz zur Rehabilitierung, wie es im Sommer 2017 verabschiedet wurde, konnte er nur träumen.
Der Familientherapeut Wenke hat jahrelang die Beratungsstelle des Vereins Rosa Strippe geführt, der 1980 als Selbsthilfeinitiative von schwulen Männern für schwule Männer gegründet worden war. Längst hat sich der Verein zum zweitgrößten Spezialberatungsangebot zum Thema sexuelle und geschlechtliche Identitäten in Nordrhein-Westfalen entwickelt. Vor zehn Jahren begann Wenke damit, sich in seiner Heimatstadt Bochum dem Projekt Stolpersteine zu widmen. 150 Steine erinnerten an jüdische Opfer des Nationalsozialismus, aber keiner an Homosexuelle. Heute listet sein Verein auf seiner Homepage über 25 Namen von Männern vor allem aus NRW auf, an deren Schicksal erinnert wird. Wenke hat die Geschichten recherchiert, hat die Verwandten der Opfer angeschrieben, mit ihnen geredet. „Im Laufe der Recherchen rücken einem die Personen näher“, sagt er.
Wenke berichtet im Gespräch mit der Mannschaft , dass er auch nicht immer mit offenen Armen empfangen wird: Manchmal wollen Nachfahren partout keinen Blick in die dunkle Vergangenheit wagen; in ländlichen Gegenden schämt man sich oft noch für schwule Angehörige. Meist aber erlebt Wenke sein Anliegen als Türöffner, das Projekt mit weit über 60.000 verlegten Steinen in Europa habe längst ein großes Renommé. Und doch gibt es immer noch Premieren.
In Trier werden am Montag, den 6. November erstmals zwei Stolpersteine für ein homosexuelles Zwillingspaar verlegt, die eineiigen Salomon-Zwillinge Ernst und Leo, deren Schicksal Jürgen Wenke recherchiert hat. 60 Seiten stark ist sein Bericht. So umfassend waren seine Recherchen, dass mindestens fünf weitere Steine in Berlin verlegt werden könnten, und zwar für Familienmitglieder, die als Juden von den Nazis verfolgt wurden.
Grosse Gefahr für die heranwachsende Jugend wegen ihrer Veranlagung
Es hat mir fast den Atem verschlagen, weil ihre Antwort so positiv war
Für die beiden schwulen Zwillinge aus Trier, die deportiert und ermordet worden, hat die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) die Patenschaft übernommen. Überraschend unkompliziert habe sie Wenkes Anfrage beantwortet, sagt er. Zwei Briefe hat er geschrieben, dann war die Sache klar. „Es hat mir fast den Atem verschlagen, weil ihre Antwort so positiv war.“
In Dreyers Grußwort, der der Mannschaft vorliegt, heißt es: „Jeder Bürger und jede Bürgerin ist […] dazu aufgerufen, mutig und entschlossen denjenigen entgegenzutreten, die mit Hetze und dumpfen Parolen Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihres Glaubens, ihrer sexuellen Orientierung, ihres Alters oder Geschlechts diskriminieren […. Es] gilt […], an das Schicksal so Vieler zu erinnern, denen Ähnliches widerfahren ist, wie den Schülern Ernst und Leo Salomon aus Trier. Die beiden Stolpersteine dienen als Mahnmale, die Schrecken des Nationalsozialismus niemals zu vergessen.“
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