Schlussendlich Schwul: «Ich wollte kein Doppelleben führen»

Michael und sein Partner Giulio erzählen aus ihrem Leben

Giulio und Michael (Bild: zVg)
Giulio und Michael (Bild: zVg)

Schon früh wusste Michael, dass er anders ist. Doch er konnte es nicht in Worte fassen. Nach vielen Höhen und Tiefen lebt er heute glücklich mit seinem Partner Giulio. In der SRF-Sendung «Schlussendlich Schwul» erzählen die beiden ihre Geschichten.

«Damals gab es noch keine Vorbilder», beginnt Michael von seiner Jugend zu erzählen. Schon früh wusste der heute 55-Jährige, dass er anders ist «aber niemand in meinem Umfeld war schwul oder lesbisch. Ich wusste, dass da etwas ist, aber hatte keinen Namen dafür.» In seiner konservativen Familie wurde nie über Homosexualität gesprochen.

Ich habe keine Ahnung von Mode und kenne vielleicht ein Lied von Madonna.

Später sah er im den Medien Bilder von den Christopher Street Days. Damit konnte sich der Ostschweizer ebenfalls nicht identifizieren. «Da wurden halbnackte Männer mit Federboas gezeigt. Ich mag aber lieber Motorsport, ich habe keine Ahnung von Mode und kenne vielleicht ein Lied von Madonna.» Es habe ein starkes Schubladendenken gegeben anfangs der 80er und 90er.

«Die Schwulenbewegung auf der Strasse war natürlich sehr wichtig, sie waren unsere Speerspitze und haben sich sozusagen für uns alle geopfert», erklärt Michael. Man habe sich oft über sie lustig gemacht, aber sie hätten den Weg bereitet für die Rechte, die es heute gibt. Die erste Person, mit der er sich identifizieren konnte, war Hape Kerkeling, als er von Rosa von Praunheim öffentlich geoutet wurde (MANNSCHAFT berichtete).

Für Michael war es damals schwierig seinen Platz in der Gesellschaft zu finden. Davon erzählt er in der neuen Folge von «Schlussendlich Schwul» auf SRF. Mit seinem Partner Giulio berichtet der 55-Jährige, wie er nach Deutschland auswanderte und dort zum ersten Mal akzeptiert wurde, wie er wirklich ist. Dort fand er auch seine erste Liebe.

Zurück in der Schweiz wollte er nicht länger schweigen. «Ich wollte kein Doppelleben führen. Das wäre nicht gut gewesen für meine Gesundheit. Was bringt es mir, wenn ich im Krankenbett sagen kann, dass mich immer nur angepasst habe.» Nach der Geschichte von Giulio ist diese Annahme gar nicht so unwahrscheinlich. Deshalb erzählte Michael seinen Eltern, dass er schwul ist und einen Freund hat, den er ihnen gerne vorstellen würde. Die erste Frage seiner Mutter war hingegen: «Läufst du jetzt in Frauenkleidern rum?»

«Ich habe heute noch keine Ahnung, wie sie darauf gekommen ist», sagt Michael. «Ich habe zwei Schwestern und bin nie mit deren Kleidern rumgelaufen als Kind.» Zu seiner Familie hat er keinen Kontakt mehr. Als seine Eltern ihm erklärten, dass er seinen Freund nicht zur Familienfeier mitbringen dürfe, war für ihn Schluss.

Als er den Aufruf der MANNSCHAFT gesehen hatte, dass Teilnehmer*innen gesucht werden, die bei «Schlussendlich Schwul» ihre Geschichten erzählen, war Michael trotz allem schnell dabei. Etwas mehr Überzeugung brauchte Giulio, doch auch er erzählt aus seinem Leben. Die beiden möchten ein Vorbild für junge Queers sein und sie ermutigen, ihren eigenen Weg zu gehen.

Aus diesem Grund engagiert sich Michael heute im Sozialwerk.LGBT+ in Chur. «Ich möchte zeigen, wie «normal» Homosexualität aussieht und dem ein Gesicht geben. Sie dürfen mich alles fragen, was ihnen gerade durch den Kopf geht.» Gerne erzählt er in den Räumen der Organisation von seinen Erfahrungen und hilft jungen Queers, deren Familien und Interessierten mit Tipps, ihr Leben zu gestalten.

Letzten Montag war Michael im Rahmen des IDAHOBIT unterwegs und verteilte gemeinsam mit den Ostschweizer Gruppen Regenbogenherzen und sprach mit den Menschen, die an den Ständen vorbei gingen. «Es ist wichtig, dass wir nun auch ausserhalb von Zürich, Bern und Genf für Sichtbarkeit sorgen.» (MANNSCHAFT berichtete)

Für junge Menschen hat Michael einen Wunsch: «Ich hoffe, dass Diversität irgendwann normal ist. Dass sie überall auf der Welt mit ihre Geliebten nach Hause mitbringen und ihren Familien vorstellen können. Wir sind alle Menschen, aber alle sind anders.»

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