Ralf Königs «Vervirte Zeiten» – Der ausgebremste Mann
Eine Corona-Chronik als Comic
Witzige Corona-Chronik über Lust und Frust im Lockdown: Ralf König, einer der populärsten deutschen Comic-Autoren, schildert den (schwulen) Pandemie-Alltag. Sein Motto: Es sind «Vervirte Zeiten». Von Werner Herpell, dpa
Es beginnt wie ein ganz normaler Tag im März 2020. «Morgähn…» ruft der kugelrunde, knollennasige Paul seinem gepflegten Lebenspartner Konrad zu. Doch der winkt ab: «Geh am besten gleich wieder ins Bett! Draussen ist Lockdown!» Corona schlägt auch im deutschen (und im schwulen) Alltag voll durch. «Dieses neuartige Virus aus Wuhan» (O-Ton Konrad) – es stellt fortan das Leben des so gegensätzlichen Comic-Paares, ihrer Freunde, Kumpels und Verwandten auf den Kopf. Bis zum Ende des Jahres wird das auch so bleiben.
Während der triebgesteuerte Paul sich monatelang böse ausgebremst fühlt (Notsignal: «Fiep…») und Schöngeist Konrad die Ruhe des Lockdown-Lebens zu geniessen versucht, hat ihr Schöpfer Ralf König die Pandemiezeit sehr produktiv genutzt. Seit Lockdown-Beginn vor einem Jahr schilderte er täglich bis Ende Oktober liebevoll und amüsant die Sorgen und Nöte, aber auch Freuden und Spässe seiner Cartoon-Figuren.
Die 180 Tableaus sind nun bei Rowohlt im Sammelband «Vervirte Zeiten» erschienen – ein Corona-Tagebuch mit überwiegend schwulem Personal, aber viel Allgemeingültigkeit. «Sämtliche Konrad-und-Paul-Folgen aus dem Internet und viele bislang unveröffentlichte Bonusfolgen sind nun hier gesammelt und in einem Rutsch zu lesen», wirbt König für sein aus der Not geborenes Werk. «Gebunden und gedruckt auf gutem altem Papier. Da kann man schön zu Hause bleiben.»
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Seine bis dahin geplanten grossen Themen – «Political Correctness, gendergerechte Sprache, Querelen in der queeren Szene und verabscheuungswürdige alte weisse Männer» – waren urplötzlich weg vom Fenster, konstatiert König im Vorwort. «In meiner Ratlosigkeit postete ich schnell hingekritzelte Cartoons auf Facebook, was ich selten tue. Als Buchautor lebt man vom Buchverkauf, da war mir Gratisbespassung stets suspekt», betont der 60-Jährige, der seit dem Riesenerfolg mit «Der bewegte Mann» (1994 von Sönke Wortmann grandios verfilmt) zu den beliebtesten deutschen Comic-Künstler*innen zählt.
Statt eines ambitionierten Grossprojekts also die kleine Form: eine Szene pro Tag, zusammengesetzt aus vier Panels, zum Schluss eine hübsche Pointe – oder auch mal keine, ganz wie im richtigen Leben. Es geht um den Umgang mit Corona in Zweier- und sonstigen Beziehungen, um Lust und Frust, ESC- und andere Absagen (MANNSCHAFT berichtete), Besuchssperren, Klopapier-Debatten, Verwahrlosungstendenzen, die Ödnis des immergleichen Tagesablaufs.
Oft wird mangels Ausgangs nur telefoniert oder per Zoom kommuniziert in diesen Comic-Bildchen – und es gerät auch mal deftig-versaut, wie bei König nicht unüblich. Ein «Running Gag» rund um einen besonders attraktiven Supermarkt-Filialleiter, der die schwule Szene antörnt, funktioniert als roter Faden. Neben derben Schenkelklopfern (Marke: Leder-Fetisch-Typen haben ihre Schutzmasken immer am Mann) hat König auch viel Nachdenkliches über die «allgemeine Ausbremsung» dieses Jahres zu erzählen. «Vervirte Zeiten» sind halt verwirrte Zeiten.
Er habe durch die Pandemie «einen bemerkenswerten kreativen Arschtritt» erhalten, berichtet der bei Soest/Westfalen geborene, seit langem in Köln lebende Comic-Autor. Das hatte er auch schon letztes Jahr im MANNSCHAFT-Interview anlässlich seines 60. Geburtstages erzählt.
«Ich liess die Ereignisse von Tag zu Tag treiben, oft genug beeinflusst durch neue Nachrichten oder inspirierende Einträge in den Kommentarleisten.» So taucht Angela Merkel schon auf Seite 10 des Buches auf, mit ihrem vermutlich zweitberühmtesten Satz (nach «Wir schaffen das»): Die Kanzlerin warnt per TV-Ansprache «Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.»
Ralf König hatte bei der Abgabe seiner gelungenen Corona-Chronik, die mit einer kuscheligen Silvesternacht für Paul und Konrad versöhnlich endet, eine Hoffnung: Wenn das Buch im Frühjahr 2021 auf dem Markt sei, «heult hoffentlich keine Sirene mehr und wir dürfen uns wieder maskenlos drücken und herzen und sonst wie schamlos auf die Pelle rücken. Das wird schön». Leider ist es nun doch anders gekommen. Der Comic-Meisterzeichner, seine Figuren und wir Leser*innen brauchen noch etwas Geduld.
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