Schau über queere Videospiele: «Schade, dass wir die ersten sind»
Ein Interview mit Kurator Jan Schnorrenberg über «Rainbow Arcade» im Schwulen Museum Berlin
Es ist kaum zu glauben, aber die Ausstellung «Rainbow Arcade» im Schwulen Museum Berlin ist die erste weltweit, die ein Schlaglicht auf die queere Geschichte von Videospielen wirft. Warum hat das so lange gedauert? Haben die anderen Museen geschlafen oder bewusst ihre Augen vor einem Mega-Thema verschlossen? Was gibt’s jetzt zu sehen oder vielleicht sogar mit dem Joystick selbst zu spielen? Und was heißt queer in diesem Zusammenhang?
Jan, Computer- und Videospiele sind eines der populärsten Unterhaltungsmedien überhaupt, sie werden täglich von Milliarden Menschen genutzt. Über die schwul-lesbischen oder queeren Aspekte von Spielen wird seit Jahren in der Presse und in Onlineforen heftig diskutiert. Trotzdem hat sich bislang niemand daran gemacht, das Phänomen in einer Ausstellung unter die Lupe zu nehmen. Wissenschaftlich aufgearbeitet wird die Verflechtung von LGBTIQ* und Videospielen schon seit geraumer Zeit: «Rainbow Arcade» basiert maßgeblich auf der Pionierarbeit des LGBTQ Game Archive, welches vor einigen Jahren von meiner Mitkuratorin Adrienne Shaw gegründet wurde. Aber ganz grundsätzlich haben Videospiele immer noch das Problem, dass sie als unhistorisch, unpolitisch, und letzten Endes kulturlos betrachtet werden – obwohl sie mittlerweile den rechtlichen Status von Kulturgütern haben und ihre Rolle als Wirtschaftsfaktor anerkannt wird. Unsere Ausstellung ist nicht nur die erste Ausstellung, die Videospiele explizit auf LGBTIQ* untersucht, sondern auch eine der ersten Videospielausstellungen überhaupt, die Videospielgeschichte aus einem gesellschaftspolitischen Blickwinkel betrachtet. Es ist schade, dass wir Ende 2018 tatsächlich die ersten damit sind!
Videospiele haben mittlerweile den rechtlichen Status von Kulturgütern und ihre Rolle als Wirtschaftsfaktor ist anerkannt
Die Ausstellung kommt in Berlin raus: Gibt’s da eine besondere Gamer-Szene? Die Berliner Szene ist international und groß, aber für die Wahl des Standortes war letztlich das Schwule Museum als Institution ausschlaggebend, wo wir unser Projekt zeigen können, großzügig gefördert vom Berliner Senat.
Kultursenator Klaus Lederer (Linke) hat ja sogar persönlich die Schirmherrschaft für eure Ausstellung übernommen. Ist er ein leidenschaftlicher Gamer? Ob Klaus Lederer in seiner Freizeit Videospiele spielt, weiß ich nicht. Aber er nimmt neue wie alte Medien als Kulturträger ernst und schätzt das enorme Spektrum multimedialer Kultur sehr wert.
Zuletzt haben Outings in bekannten Videospielen Schlagzeilen gemacht. Aber eure Geschichte fängt schon viel früher an … Wir zeigen Spiele ab 1985, also aus einer Zeit, in der Spiele noch überhaupt keine Schlagzeilen gemacht haben.
Was heißt denn für euch ‚queere‘ Videospiele: nach welchen Kriterien habt ihr ausgewählt? Queere Videospiele sind Games, die queere Thematiken und Charaktere bewusst und zentral präsentieren. Das können spezifische Dating-Optionen oder geschlechtliche Ambivalenz in der Charaktererstellung sein, oder auch Coming-outs, Hormontherapien oder Diskriminierung als Story-Element sein. Wir zeigen aber auch viele Spiele, die nur nebenbei, zufällig oder negativ besetzt queere Elemente beinhalten. Unser Kriterium war: Wie repräsentieren diese Spiele LGBTIQ* bzw. wieso tun sie es eben nicht? Und was sagt uns das?
Haben Videospiele auch eine Vorbildfunktion für Menschen aus der LGBTIQ*-Community? Wie jedes andere Medium auch spiegeln Videospiele gesellschaftliche Entwicklungen. Charaktere können inspirieren, und Geschichten können bewegen. Das Potenzial ist gerade im Bezug auf Queerness bislang aber nur minimal ausgeschöpft.
Es gibt einen ganzen Industriezweig, der sich auf Spiele mit eindeutig erotischer oder sexueller Komponente spezialisiert hat
Sind die Helden der Spiele auch Objects of Desire? Es gibt einen ganzen Industriezweig, der sich auf Spiele mit eindeutig erotischer oder sexueller Komponente spezialisiert hat: Oft wird Sexualität, die nicht hetero ist, aber genau darauf reduziert. Wir wollen mit unserer Ausstellung aber zeigen, dass das gesamte Spektrum von Lebensrealitäten von LGBTIQ* in Videospielen vertreten werden kann. Wir gehen außerdem darauf ein, wie Fans bestimmte Charaktere wahrnehmen oder erotische Geschichten mit ihnen geschrieben und darüber diskutiert haben.
Viele Menschen denken ja, die Gamer-Welt wäre eine reine Jungsdomäne, wo nur heterosexuelle Programmierer sitzen. Das ist aber nicht so. Behandelt ihr die Arbeitsbedingungen für LGBTIQ* in der Branche? Die Videospielbranche benötigt dringend Gewerkschaften. Wenn Studiochefs damit angeben, dass ihre neuesten Titel in 100-Stunden-Wochen entstanden sind, wie jüngst bei «Red Dead Redemption 2» der Fall, dann ist das Ausdruck einer Industrie, die Menschen ausbrennen lässt. Queere Entwickler_innen sind in diesen Arbeitskämpfen ganz vorne dabei.
Gibt es auch Queers, die in dem Bereich erfolgreich arbeiten, aber in ihren Spielen keine queeren Elemente unterbringen? Es gibt auch in der Videospielbranche viele queere Personen, die sehr erfolgreich sind, genauso wie in allen anderen Wirtschaftszweigen. Natürlich haben ihre privaten Erfahrungen immer Einfluss auf ihre Arbeit, aber Videospiele sind eben komplexe, kollaborative Prozesse. In denen Einzelpersonen nur bedingt kreative Kontrolle über jedes Detail haben. Deshalb braucht es ein Umdenken und viel mehr Sensibilität und auch Mut in der Breite der Industrie, damit die Entwickler_innen, die sich für progressive Inhalte stark machen, auch Gehör finden.
Das Computerspielemuseum Berlin ist Partner der Ausstellung
Wo kommen die Exponate her? Was gibt’s zu sehen? Der Großteil ist aus dem Internet. Wir zeigen Videos, Screenshots, Konzeptzeichnungen, Fan Art, aber auch Spieleboxen. Außerdem werden zwölf Spiele in der Ausstellung während der gesamten Laufzeit spielbar sein, unter anderem „Caper in the Castro“, das allererste queere Videospiel, auf einem originalen Apple Macintosh aus den 80ern.
Das Computerspielemuseum Berlin ist Partner der Ausstellung. War es schwer, die dazu zu bewegen mitzumachen? Sie waren von Anfang an sehr interessiert an dem Projekt, und wir sind sehr glücklich über die Zusammenarbeit. Gerade um ihr Know-How in Bezug auf mediale Vermittlungsarbeit und technische Umsetzung von Ausstellungen sind wir dankbar.
Du hast es schon erwähnt: eine eurer Kuratorinnen kommt aus den USA. Ist da die Szene anders als in Deutschland, wird da ein populärkulturelles Thema wie Videospiele anders behandelt? Die Szene ist dort viel größer und gesellschaftlich breiter verankert. Die Rolle, die Videospiele in den USA spielen, ist einfach eine andere Größenordnung als bei uns in Deutschland; wir machen hier alles mit einigen Jahren Verspätung mit. Gerade im E-Sports-Bereich ist da noch viel Luft nach oben.
Euer Art Director ist Nicolas Simoneau, Chef eines hippen Modemagazins. Was für einen Look versucht er für die Ausstellung zu kreieren? Nicolas hat ein sehr buntes und sehr klares Layout geschaffen, welches zeitgenössischen queeren, Berliner Stil mit Retrografiken kombiniert. Selbst das Schwule-Museum-Logo hat er verpixelt. Wenn man den Ausstellungsraum betritt, hat man erst mal einen Farbflash!
Die Ausstellung ist auch für Leute, die mit Videospielen bisher gar nichts am Hut hatten
In der Ausstellung soll man als Besucher auch spielen. Was genau kann man denn spielen? Die zwölf spielbaren Titel erstrecken sich von Detektivrätselspielen wie «Caper in the Castro» (1989) über die zehnsekündigen Kurzgeschichten von «Queers in Love at the End of The World» (2012) über Spanking-und-Konsens-Simulatoren («Hurt Me Plenty», 2017) bis hin zu queeren Baseball-Spieler_innen in «Butterfly Soup» (2018). Anderorts spielt man einen Penis mit Bürojob («Genital Jousting», 2018) oder als lesbische Spinnenkönigin vom Mars («Lesbian Spider-Queens from Mars», 2012). Es darf gelacht und geweint werden!
Glaubt ihr, dass auch heterosexuelle Gamer kommen? Definitiv! Die Ausstellung ist übrigens auch explizit für Leute gestaltet worden, die mit Videospielen bisher gar nichts am Hut hatten. Wir wollen zeigen, wie wahnsinnig spannend Videospiele als kulturelle Artefakte sein können. Um das wertzuschätzen, muss man nicht wissen, wie ein Controller funktioniert.
Was hat dich bei der Vorbereitung am meisten überrascht? Am eindrucksvollsten waren für mich die Biografien vieler queerer Entwickler_innen, wie sie trotz ihrer Lebenssituationen oder -erfahrungen die Kraft gefunden haben, ihr Herzblut in dieses Medium zu investieren und Werke geschaffen haben, deren emotionaler Kern auch viele Jahre später noch mitreißt.
Ihr habt über Kickstarter auch einen Katalog finanziert. Unser Katalog kommt im April 2019 raus und kann dann im Schwulen Museum gekauft werden. Er ist das allererste Sachbuch zum Thema und beinhaltet neben einem Exponatsverzeichnis eine Vielzahl von Essays und Interviews mit Entwickler_innen und Designer_innen. Wir hoffen sehr, dass er Ausgangspunkt für weitere Forschungen wird!
Gleich nach der Eröffnung wird‘s auch eine Konferenz geben: was passiert da? Am 15. Dezember beginnt mit einem Panel über die Archivierung von Videospielen mit unserer Kuratorin Adrienne Shaw und der Leiterin des Computerspielemuseums Mascha Tobe unser sechsmonatiges Veranstaltungsprogramm. Wir werden mit Schülern und Schülerinnen Videospiele programmieren, Fan Fictions lesen, Spieleabende veranstalten und mit Entwickler_innen über ihre Werke sprechen. Das gesamte Programm findet sich pünktlich zur Vernissage auf der Website des Schwulen Museums!
Die Ausstellung läuft bis Mai 2019.
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