Von der Olympia-Bühne zur queeren Clubszene: Zaho de Sagazan

Wie die französische Künstlerin mit ihrer Musik, ihrer Haltung und ihrer Stimme begeistert.

17.09.2023, Zaho de Sagazan bei der Feier « Fête de l'Humanité 2023»
Zaho de Sagazan bei der «Fête de l'Humanité 2023» (Bild: Wikimedia Commons)

Spätestens als Zaho de Sagazan am 11. August 2024 die Schlussfeier der Olympischen Sommerspiele mit dem Chansonklassiker «Sous le ciel de Paris» eröffnete, machte es auch ausserhalb Frankreichs endlich «klick».

Die queere Musikerin kommt im März nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz.

«Wer ist die? Den Song kenne ich doch! Etwa eine neue Piaf?», werden sich einige diesseits des Rheins gefragt haben. Nein, nicht alles ist immer gleich Piaf. Das Chanson, von Hubert Giraud und Jean Dréjac (geschrieben im Jahr 1951) wurde schnell von Juliette Gréco adaptiert und zum frühen Markenzeichen der grossen Muse der Existenzialisten des Pariser Quartier Saint-Germain-des-Prés.

Das Lied hätte nicht besser die musikalisch so gern gepflegte Pariser Dreivierteltaktseligkeit an einem Sommerabend in den Tuillerien repräsentieren können. Zumal noch von einer der aktuellsten Neuentdeckungen der Variété Française von 2023.

Bereits im Februar 2024 hatte man de Sagazan bei den alljährlichen «Victoires de la Musique» (den französischen Grammys) mit 4 Auszeichnungen bedacht, u.a. in der Kategorie Bestes Lied und Bestes Album, beide gleichnamig mit dem Titel «La Symphonie Des Éclairs» (Die Sinfonie der Blitze), welches bereits ein Jahr zuvor, im März 2023, erschienen war.

Die 1999 in St. Nazaire (Loire-Atlantique) geborene Künstlerin wächst bereits in einem eher kreativen Umfeld auf: der Vater, Olivier de Sagazan, ein renommierter Maler und Bildhauer, eine Schwester Choreografin und eine Cousine Regisseurin. Mit 15 nimmt sie ihre ersten Instagram Videos auf, covert Songs von -M- (Mathieu Chédid) oder ihrem grossen Vorbild Tom Odell.

Alsbald beginnt sie mit eigenen Kompositionen, gründet 2021 mit ihrer besten Freundin/Managerin ein eigenes Label debütiert bei  diversen Festivals (wie zB. «Le Printemps de Bourges» oder «Les Francofolies de La Rochelle») und vor allem als «première partie» («Vorgruppe») im heiligen Chansontempel, dem Olympia in Paris, für den neuen Szene-Star der «auteur-compositeur-interprète», Hervé.

Und so dauert es nicht lange, bis sie bald selbst mit ihren eigenen Songs Aufmerksamkeit erregt, so zB. ihre zweite Single «Suffisamment» (Genügend), jener schwebend zweifelnden Ballade, in der sie, beinah wie ein Mantra, singt:

«Alles nur, weil ich dich liebe, leidenschaftlich liebst du mich, genügend, damit ich bleiben kann. Aber warum bleibe ich? Weil ich dich liebe, leidenschaftlich liebst du mich, genügend, damit ich bleiben kann... Warum bleibe ich?»

Für jemanden, die angeblich bis dahin noch nie wirklich verliebt gewesen sei, ist es erstaunlich, mit wie viel Empathie de Sagazan, ihre emotionalen Texte von Trauer, Schwärmen, Verzweiflung und Besessenheit über ihre Elektronischen Klangschichten und Rhythmen zu legen vermag.

Sicherlich, sie ist diesbezüglich nicht die erste, die sich künstlerisch so verortet. Schon in den 1980ern waren Interpretinnen wie Desireless, Caroline Loeb, Lio oder Mylène Farmer ähnlich unterwegs. Aber es ist wohl De Sagazans heutzutage eher aus der Zeit gefallene Gesangsdiktion, die alles beherrscht. Dabei erinnert sie (gewollt oder doch eher unbewusst?) durchaus ein wenig an den Interpretationsstil jener Künstlerinnen des «Chanson Réaliste», welche vor gut 100 Jahren die sich etablierende, ganz eigene, französische Variante des Unterhaltungsliedes prägten.

Allen voran Damia, Fréhel, Berthe Sylva, Mistinguette und jene letzte grosse Vertreterin, Édith Piaf, bei deren pointierter Art zu singen, auch immer etwas Exaltiertes mitschwang.

Die Kombination elektronisch gefütterter Popchansons gepaart mit expressivem Gesang, war es dann wohl auch, die aufhorchen liess, als «La Symphonie Des Éclairs» im Frühjahr 2023 erschien.

Während sich Zahos Debütalbum und auch die gleichnamige Single in den französischen Charts tummelten, engagierte sie sich auch gegen den politischen Rechtsruck in Frankreich. Sie kritisierte den bekannten Komiker und Moderator Cyril Hanouna dafür, die Linke zu dämonisieren, hingegen den rechten politischen Flügel zu verharmlosen. So änderte sie bei einer Protestversammlung den Text ihres Chansons «Tristesse» und richtete sich damit eindeutig gegen das Rassemblement National von Marine Le Pen.

Dies brachte ihr einen Radioboykott der Mediengruppe Vivendi (u.a. bei den Sendern Europe 1, Europe 2 und RFM) um den konservativen Vincent Bolloré ein.

Ihrer Popularität tat dies bei weitem keinen Abbruch, im Gegenteil – rund 600 Kunstschaffende verfassten einen offenen Brief gegen diesen Boykott, woraufhin die betreffenden Sender mit der Farce konterten, sich lediglich musikalisch «unterhaltsamer und positiver» für ihre Hörer*innen und Zuschauer*innen ausrichten zu wollen.

Zaho de Sagazan ist eine Künstlerin, die sich nicht verbiegt oder gar verbiegen lässt. Ihre emotionale Resilienz stösst besonders in der queeren Community auf grosse Resonanz. Sie singt über Liebesgeschichten, die nicht immer einfach sind, über das Gefühl des Andersseins und über das Bedürfnis nach Akzeptanz. Auch wenn sie sich selbst immer öfter als queere Künstlerin versteht, bedeutet das für sie jedoch nicht, dass sie ihre Kunst auf diese Identität reduzieren möchte.

«Wäre ich in einer homophoben Familie aufgewachsen, wäre es ein grosses Thema gewesen und vielleicht sogar ein Kampf.»

Zaho de Sagazan

«Ich hatte das Glück, dass meine Bisexualität für meine Eltern kein Thema war» erklärte sie im vergangenen Jahr gegenüber der Siegessäule. «Wäre ich in einer homophoben Familie aufgewachsen, wäre es ein grosses Thema gewesen und vielleicht sogar ein Kampf. Bei mir war es aber natürlich, so zu sein, wie ich bin.» Mittlerweile identifiziere sich die Musikerin als pansexuell, erklärte sie in dem Interview.

Doch in Zeiten wie diesen, in der queere Sichtbarkeit anscheinend bedroht wird und immer wieder neu erkämpft werden muss, ist ihr klares Statement ein starkes Zeichen für junge Menschen, die in ihrer Musik Orientierung und Halt finden.

Auf ihrer aktuellen Europatournée kommt Zaho De Sagazan auch für fünf Konzerte nach Deutschland, auch in Zürich und Wien tritt sie im März auf. Länder, deren Sprache – oh Wunder für eine Französin – sie offensichtlich liebt. Nicht nur, dass sie bereits Nenas «99 Luftballons» (auf Deutsch!) coverte, auch auf ihrem aktuell um 7 neue Songs erweiterten Debütalbum (Titel «La Symphonie Des Éclairs/Le Dernier Des Voyages) sticht der Titel «Hab Sex» sofort heraus.

«Bonjour, bonjour, bonjour, bonjour J'aimerais faire l'amour avec toi Mais j'aimerais tellement faire l'amour, juste une fois Faire l'amour avec toi Et je sais que ça peut te plaire Je t'en prie viens faire l'amour avec moi ... Hab Sex mit mir Hab Sex mit mir Hab Sex mit mir Hab Sex mit mir»

Dank des treibend housig-poppigen Beats dürfte diese Nummer wohl nicht nur in queeren Clubs ein Highlight sein.

Und so ist Zaho de Sagazan wohl DIE zeitgeistige Auteur-Interprète der Variété Française - und daher kein Wunder, dass sie auch bei den diesjährigen «Victoires de la Musique» erneut ausgezeichnet wurde: dieses Mal als (weibliche) Künstlerin des Jahres. Text: Mayo Velvo

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