Queer und asiatisch: «Ich schämte mich für meine Lunchbox»
Ein Gespräch mit Daniel Chek-Su über Scham und Stolz
In der Schule schämte er sich für den Klebereis, den ihm seine Mutter eingepackt hatte – heute ist er stolz auf seine Herkunft und vereint all seine Facetten in seinen Fotoarbeiten: Daniel Chek-Su Housley.
Daniel Chek-Su Housley spezialisiert sich auf Reportagen und Modefotografie und ist im Norden Londons aufgewachsen. Was der Fotograf mit dem Interviewer verbindet: Beide haben einen weissen und einen asiatischen Elternteil. Der Videocall beginnt mit einem Gespräch über das Aufwachsen zwischen den Kulturen.
Daniel, die englische Bezeichnung «Wasian» steht für eine gemischte weisse und asiatische Herkunft. Ich kannte nur «Gaysian» für schwule Asiaten. Was wäre denn ein schwuler Wasian? Ich weiss nicht, vielleicht «Gwaysian»? (lacht)
Gab’s in deiner Erfahrung Momente, in denen deine weisse und asiatische Identität miteinander im Konflikt standen? Auf jeden Fall. Ich erinnere mich an die Lunchbox in der Schule. Weisse Kinder brachten geruchlose Sandwiches mit, bei Kindern of Colour war das mitgebrachte Essen sehr geruchsintensiv.
Meine Mutter packte uns immer Zongzi ein, das ist in Bambusblätter eingewickelter Klebreis. Ich erinnere mich an die starrenden Blicke und Kommentare meiner Freund*innen und wie sehr ich mich für meine Lunchbox schämte. Ich weiss, dass es meinen Schwestern ähnlich ging. Wir schämten uns auch, wenn wir chinesisch sprechen mussten oder dass wir einen chinesischen Mittelnamen hatten. Wir wollten einfach nur britisch sein.
Heute verwendest du deinen chinesischen Mittelnamen auch beruflich: Daniel Chek-Su Housley. Er ist ein wichtiger Teil meiner Identität. Heute versuche ich, stolz auf meine chinesische Herkunft zu sein, statt sie zu hassen.
Löste auch dein Queersein Schamgefühle aus? Definitiv. Ich glaube, vieles in meiner Kindheit und Jugend ist mit Scham verbunden. Neben meiner Herkunft und meinem Queersein war der niedrige sozioökonomische Status meiner Familie ein weiterer Faktor. Diese drei Dinge hatten einen grossen Einfluss auf mich und lösten Schamgefühle auf. Aus diesem Grund will ich heute diese drei Teile von mir annehmen und in meine Fotografie einfliessen lassen.
Welche Aspekte der queeren Kultur inspirieren dich in deiner Arbeit? Zurzeit bin ich von der Rave- und Partyszene angetan und lerne dort gerne neue Leute kennen. Menschen in queeren Räumen sind viel freundlicher und tendenziell offener.
Manchmal spreche ich Leute an und frage sie, ob ich sie fotografieren darf. Viele davon gehören heute zu meinen besten Freund*innen und tauchen oft auch in meiner Arbeit auf. Wenn ich eine interessante Person sehe oder das Gefühl habe, dass sie der Welt etwas zu zeigen hat, dann entstehen oft meine besten Bilder.
Mit einem Bild von zwei Männern auf einem Bett hast du eine Förderung der Organisation POCC und von Shutterstock gewonnen. Dieses Bild ist genauso entstanden! Auf dem Bild ist Soony, einer meiner besten Freunde. Wenn ich reise, nutze ich oft Grindr, um Anschluss zu finden. Als wir in Lissabon waren, lernten wir so neue Leute kennen und gingen mit ihnen auf einen Drink.
Einer von ihnen war Anta, der schliesslich Soonys Freund wurde. Das Foto zeigt sie in einem intimen Augenblick. Die Aufnahme entstand spontan, sie realisierten nicht einmal, dass ich sie fotografierte. Natürlichkeit ist mir beim Fotografieren sehr wichtig.
Ist Grindr also gar nicht so schlimm, wie alle immer sagen? Für mich war Grindr nie eine App für eine schnelle Nummer. Natürlich ist das eines der Hauptzwecke und die meisten Menschen nutzen sie dafür, aber ich habe so auch viele Freunde gefunden.
Ich finde die App ein gutes Mittel, um Leute in deiner Nähe zu finden, mit denen du auf einer Wellenlänge bist. Ich weiss, warum viele negativ über Grindr sprechen, aber wenn man die App clever nutzt, können gute Freundschaften und Verbindungen entstehen.
Persönlich hatte ich immer etwas Schwierigkeiten mit der Bezeichnung «Person of Colour» und wie sie auf mich zutreffen könnte. Wie stehst du zum Begriff? Dass ich halb britisch bin, eliminiert nicht die andere Hälfte meiner Identität. In meiner Kindheit und Jugend habe ich viele negativ behaftete Erfahrungen gemacht, die den Realitäten anderer People of Colour nahekommen. Daher nehme ich den Begriff lieber an, statt dass ich mich davon abwende.
Deine Bilder wurden bereits von der Vogue und der Gay Times gezeigt. Was hat dich am meisten geprägt? Zweifellos die Gay Times. Das war vor rund zwei Jahren und ich stand mit meiner Fotografie noch ziemlich am Anfang. Ich erhielt Fördergelder von 1000 Pfund, um ein Projekt umzusetzen, und stand erst einmal unter Schock. Im Nachhinein denke ich, dass diese Erfahrung meinen Werdegang als Fotograf massgeblich beeinflusste.
Worum ging es in deinem Projekt? Ich begleitete Dragqueens zurück an den Ort, an dem sie aufgewachsen sind. Dabei wollte ich mich auf asiatisch-stämmige Drag-Künstler*innen konzentrieren, weil diese in der Community untervertreten sind. Mit Dragqueen Le Fil ging ich in die Grafschaft Yorkshire, ein ländliches Gebiet in Nordengland. Dort gibt es kein grosses Kulturangebot und nicht viel Diversität – Le Fils Familie war die einzige asiatische Familie im ganzen Städtchen.
Wir klapperten wichtige Orte aus Le Fils Kindheit ab, darunter auch das Theater, in dem Le Fil zum ersten Mal auf der Bühne stand und die Liebe zu Kunst, Kostümen und Schauspiel entdeckte. Ich hatte fälschlicherweise angenommen, dass uns die Leute abschätzig behandeln würden, aber das Gegenteil war der Fall. Die Einheimischen waren sehr freundlich und jubelten uns teilweise sogar beim Fotografieren zu.
Warum sind asiatische Dragqueens untervertreten? In vielen asiatischen Kulturen ist das Queersein nicht so akzeptiert wie im Westen (MANNSCHAFT berichtete). In der Folge ist es für junge asiatische Queers viel schwieriger, sich so auszudrücken, sofern sie das wollen. Das sieht man gut in Sendungen wie «Ru Paul’s Drag Race», in denen oft nur ein Quoten-Asiate dabei ist.
Le Fil sagte zum Beispiel, dass es ein enttäuschendes Gefühl sei, wenn du erkennst, dass niemand oder nur eine andere Person auf der Bühne so ist wie du. Aber die Zeiten ändern sich. In Grossbritannien gibt es mit «The Bitten Peach» zum Beispiel ein queer-asiatisches Cabaret-Kollektiv.
Was steht noch auf deiner Fotografie-Bucket-List? Ich würde gerne für eine längere Dauer ins Ausland gehen, zum Beispiel nach Hongkong. Zum einen möchte ich mehr Zeit mit meiner chinesischen Familie verbringen. Zum anderen möchte ich in die queere Kultur und die asiatische Kultur eines komplett anderen Landes eintauchen. Hongkong soll über eine spannende Untergrundszene verfügen, die ich gerne erkunden würde. – danielhousley.com
Der Hafen der Ehe wartet mit allerhand Konventionen auf. Lohnt es sich, diese Tradition in der queeren Liebe fortzuführen? Die genderfluide Hochzeitsplanerin Cora Gäbel weiss Rat (MANNSCHAFT berichtete).
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