Polizei in Belgrad untersagt Parade zur Europride
Das Orga-Team will das Verbot gerichtlich anfechten
Die serbische Polizei hat bekannt gegeben, dass der Marsch zum Abschluss der Europride-Feierlichkeiten in Belgrad verboten ist. Es hagelt internationale Kritik.
«Es ist sehr bedauerlich, dass die serbischen Behörden beschlossen haben, die für den 17. September geplante Europride-Parade zu verbieten. Wochen der Ungewissheit über die Durchführung dieser Demonstration haben ein falsches Signal an die Öffentlichkeit gesendet und Platz für hasserfüllte Rhetorik geschaffen und mehr Drohungen gegen LGBTIQ-Personen, auch von religiösen Führern», erklärte die Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatović.
Die Versammlungs- und Meinungsfreiheit stünde im Mittelpunkt einer freien, integrativen und pluralistischen Demokratie, in der alle ihre Menschenrechte gleichermassen und sicher wahrnehmen könnten und gesellschaftliche Fragen im friedlichen Dialog diskutiert würden.
Terry Reintke, Co-Vorsitzende des überfraktionellen Zusammenschlusses LGBTI Intergroup im Europaparlament und stellvertretende Vorsitzende der Greens/EFA-Fraktion, erklärte am Dienstag zum Verbot: «Wir verurteilen die Entscheidung der serbischen Polizei. In den vergangenen Wochen standen wir und die Organisator*innen in intensivem Dialog mit den serbischen Behörden, um eine friedliche und geordnete Pride zu ermöglichen, die die Sicherheit der Teilnehmenden garantiert.»
Man erwarte von den serbischen Sicherheitsbehörden, jetzt alles zu tun, um eine Pride und damit die Ausübung von geschützten Grundrechten nach wie vor zu ermöglichen. Reintke werde trotzdem gemeinsam mit einem Dutzend weiterer EU-Abgeordneter nach Belgrad reisen.
Das Versäumnis, die Veranstaltung für Hunderte von Menschenrechtsaktivist*innen zu organisieren und sicherzustellen, zeige laut der Organisation Forbidden Colors, dass das Recht aller Bürger, friedlich zu marschieren und zu protestieren, in Serbien nicht garantiert sei. Dies zeige, dass die zentralen EU-Werte Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im Land nicht fest verankert sind. Es liegt auch noch viel Arbeit vor uns, um sicherzustellen, dass die EU-Charta der Grundrechte in Serbien vollständig gebilligt und durchgesetzt wird.
Das Team hinter der Europride in Belgrad habe bereits angekündigt, gegen das Verbot gerichtlich vorzugehen. Jenes Verbot sei ohne Frage ein negativer Schritt im Prozess des Beitritts Serbiens zur Europäischen Union und zeige, dass das Land weit davon entfernt sei, die Anforderungen zu erfüllen.
Angesichts des Verbots fordert Forbidden Colors konkrete und sofortige Bemühungen der serbischen Regierung, die Menschenrechte aller LGBTIQ-Personen im Land zu garantieren und zu schützen, sowie die Europäische Kommission und den Europäischen Rat, die Situation gewissenhaft zu berücksichtigen von LGBTIQ-Personen in Serbien, bevor dem Land eine Mitgliedschaft in der EU gewährt wird.
Wir wollen keine Schwulenparade und keine Besetzung durch den Westen.
Das Verbot werfe auch ein schlechtes Licht auf die serbische Premierministerin Ana Brnabić, die eine sichere Organisation der Europride im Jahr 2019 versprochen hatte. Aber auch der pro-russische serbische Präsident Aleksandar Vučić trage eine grosse Verantwortung. Seine Intervention Ende August, in der er forderte, die Europride-Feierlichkeiten abzusagen oder zu verschieben, schürte unter Menschenrechtsgegnern das Gefühl, dass der Marsch in Belgrad nicht willkommen sei und gestoppt werden sollte.
In den letzten Wochen hatten serbische Europride-Gegner*innen mit Plakaten demonstriert, auf denen zu lesen war: «Wir wollen keine Schwulenparade und keine Besetzung durch den Westen» sowie «Haltet euch von Kindern fern». Ausserdem wurden Kreuze, Heiligenbilder und serbische Fahnen zur Schau gestellt (MANNSCHAFT berichtete).
Derweil hat die Europride 2022 offiziell in der serbischen Hauptstadt Belgrad begonnen. Belgische Spitzenpolitiker*innen reisen an (MANNSCHAFT berichtete). Für die Bundesregierung wolle der Queer-Beauftragte Sven Lehmann teilnehmen, hiess es zuvor.
«Seit vielen Monaten freue ich mich auf meinen Besuch in Belgrad», so Lehmann. «Der Pride March ist der Höhepunkt der EuroPride 2022. Selbstbewusst und sichtbar für die Rechte und die Akzeptanz der LGBTIQ-Community auf die Strasse zu gehen ist die Kernbotschaft einer jeden Pride. Daher ist es für die LGBTIQ-Community Serbiens und des gesamten Westbalkans so wichtig, dass dieser Pride March stattfindet.»
Ein Schlag ins Gesicht der europäischen LGBTIQ-Community!
Zum nun erfolgten Verbot erklärte der Queer-Beauftragte nun: «Die Entscheidung der serbischen Regierung ist ein Schlag ins Gesicht der europäischen LGBTIQ-Community. Statt die LGBTIQ gegen Attacken und Angriffe zu verteidigen, wird das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit eingeschränkt. Das ist inakzeptabel und ein Affront gegen die vielen internationalen und nationalen Bemühungen der letzten Tage, den serbischen Behörden Kompromisse anzubieten. Es gab Vorschläge, die Strecke und Dauer des Pride March zu ändern, um es den Sicherheitsbehörden zu erleichtern, die Sicherheit der Teilnehmenden zu schützen. Ich wünsche den Organisator*innen der EuroPride viel Erfolg bei der angekündigten Klage. Eine friedliche Demonstration ist möglich und muss stattfinden.»
Während seines Aufenthalts in der serbischen Hauptstadt will Lehmann bei Veranstaltungen u.a. der Deutschen Botschaft und auf der Internationalen Konferenz für Menschenrechte sprechen und Aktivist*innen aus Serbien und ganz Europa treffen.
Kritik an der Absage kommt auch von der HOSI Wien: Die serbischen Behörden müssten die Demo vielmehr schützen, anstatt sie abzusagen. «Das geht sich für einen EU-Beitrittskandidaten nicht aus. Versammlungsfreiheit ist ein Menschenrecht.»
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