«Mein Coming-out hat mein Leben gerettet»
Planningtorock alias Jam Rostron mag keine Schubladen
Jüngst enthüllte die Dokumentation «Disclosure», wie schlecht es um adäquate Rollenvorbilder für trans, nicht-binäre und queere Menschen in Hollywood steht. Doch wie verhält es sich mit der Musikbranche? Jam Rostron alias Planningtorock klärt auf.
Stimmverfremdungen, Masken, mehrdeutige Inszenierungen – Jam Rostron alias Planningtorock verwehrt sich in deren* Kunst gegen jedwede Schubladen. Das beeindruckte auch das Modellabel Chanel und man bat Rostron um Musik für eine gross angelegte Fashion-Show. Die entsprechende EP «Planningtochanel» (PIAS Recordings) setzt ein Zeichen für Vielfalt und Toleranz. Ein notwendiges Zeichen, denn obwohl auch Kolleg*innen wie Anohni, Arca oder Mavi Phoenix Geschlechtergrenzen zu überwinden versuchen, muss noch immer viel dafür getan werden, die Gesellschaft in Akzeptanz und Gleichberechtigung zu schulen.
*dey/denen/deren: Pronomen für nichtbinäre Menschen, die weder mit «er» noch «sie» bezeichnet werden möchten (siehe unten).
Jam, inwiefern beeinflusst deine queere Identität deine Arbeit als Musiker*in? Eigentlich ist es andersherum. Es war die Musik, die mir geholfen hat, meine Identität zu verstehen, beziehungsweise sie zu finden. Noch bevor ich mir selbst darüber bewusstwerden konnte. Jedes Album, das ich geschrieben und produziert habe, hat mich ein Stück mehr aufgeklärt. Das ist der Grund, warum ich Musik mache. Um jeden Tag aufs Neue daran zu arbeiten, ein besserer Mensch zu werden. Auf «Powerhouse» habe ich mich zum Beispiel mit unterschiedlichsten Themen auseinandergesetzt und ein paar alte Traumata überwunden. Die Platte war tatsächlich eine Therapie für mich.
Wer sind die Queeros 2020? Das Voting beginnt!
War es eine schwierige Entscheidung, offen mit deinem vermeintlichen «Anderssein» umzugehen? Nein, ganz und gar nicht. Mich als nicht binäre Person zu outen, hat mir buchstäblich das Leben gerettet. Das Schreiben persönlicher Songs mag einen zwar verwundbar machen, doch persönliche Geschichten zu teilen, zahlt sich aus, denn du wirst mit Wachstum und einer unbezahlbaren Verbindung zu anderen Menschen, besonders queeren, belohnt.
In den Neunzigern gab es keinen Platz für uns.
Bietet die Musikindustrie aus deiner Sicht genügend Schutz für queere und trans Menschen? Nein. Die Industrie wird hauptsächlich von weissen cis Männern betrieben. Wer Unterstützung sucht, muss auf andere trans und queere Künstler*innen setzen. Die meisten meiner Freunde arbeiten freiberuflich und bekommen kaum Hilfe durch Managements oder Musiklabels. Ich würde mir wünschen, dass sich das ändert und auch wir ein wenig mehr Verlässlichkeit in diesem unsteten Business erfahren!
Könnte die Branche nicht von mehr Vielfalt profitieren? Ich neige dazu, mir wenig Gedanken darüber zu machen, was für die Branche gut wäre. Für mich steht die Frage im Vordergrund, inwiefern die Öffentlichkeit etwas davon hat. Denn das ist es, was wirklich wichtig ist. Dass das Publikum unsere Musik konsumieren kann. Und dass unsere Geschichten und kreativen Gedanken Gehör finden.
Was glaubst du, warum Geschlechtsidentität oder -zugehörigkeit noch immer derart stark debattierte Themen sind? Das Patriarchat stützt sich sehr erfolgreich auf das binäre Geschlechtersystem. Vom Tag unserer Geburt an unterzieht man uns einer Gehirnwäsche, um dieses System zu schützen. Wir sind darauf trainiert, zu respektieren, dass die patriarchalische Infrastruktur in Kombination mit dem Kapitalismus hervorragend funktioniert. Eine Menge Leute in Machtpositionen arbeitet hart dafür, den Mythos des binären Geschlechts am Leben zu halten. Es liegt also an uns, solcherlei Gedanken zu dekonstruieren und zu verlernen. Die Herausforderung besteht darin, sich gegenseitig dabei zu helfen.
Bitte nicht mehr mit männlichen Pronomen ansprechen!
Gibt es für dich wichtige Meilensteine in der Musikgeschichte, die einen queeren Bezug haben? Meine erste Lieblingsgruppe war Erasure. Ich erinnere mich, dass ich sie damals in Großbritannien im TV sah und mich in ihren Stil und ihre eingängigen Synthesizer-Songs über schwule Liebe verliebte. Das war perfekt. Auch «Smalltown Boy» von Bronski Beat war ein wichtiger Meilenstein. Ein erstaunlicher Song. Er handelt von Homophobie und davon, wie es ist, als junger schwuler Mensch in einer Kleinstadt in England aufzuwachsen.
Wie steht es um die Akzeptanz queerer, trans und nicht-binärer Menschen innerhalb der LGBTIQ-Szene? Es wird besser. Ich erinnere mich, dass in den Neunzigerjahren das Wort «queer» noch nicht reklamiert gewesen ist und dass es einfach keinen Platz für uns gab. Aber je mehr Erfahrungen wir mit der Community teilen, desto optimistischer bin ich. Auch, wenn es noch viel zu tun gibt. Man denke zum Beispiel an den Rassismus in der LGBTIQ-Gemeinschaft. Daran müssen wir ebenfalls arbeiten.
Was sind deine Wünsche für die Zukunft? Sichtbarkeit, Respekt, Sicherheit und die gleichen Rechte wie für heterosexuelle Menschen. Überall auf der Welt. Immer.
Geschlechtsneutrale Ansprache
Für die geschlechtsneutrale Ansprache wird im Englischen das Pronomen «they» im Singular verwendet. Im deutschsprachigen Raum gibt es zwar mehrere Optionen, jedoch noch keine etablierte Lösung. Bis auf weiteres verwenden wir die vom queeren Verein der Zürcher Hochschulen «Queer*z» empfohlenen Pronomen dey/denen/deren. Das Beispiel dazu: «Kai hat deren Fahrrad zur Reparatur gebracht. Ich habe denen darum meines ausgeliehen, bis dey das Fahrrad zurückkriegt.» – queerz.ch
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