«Es ist nicht möglich, alle glücklich zu machen»
Bastian Baumann tritt als Geschäftsleiter von Pink Cross zurück. In seiner dreijährigen Amtszeit hat der Berner frischen Wind in den Schweizer Dachverband der Schwulen gebracht und unter anderem auch eine Helpline zur Bekämpfung von Hassdelikten realisiert. Mit seiner zielgerichteten Art hat Baumann aber auch polarisiert.
Bastian, du hast dich entschieden, Pink Cross zu verlassen. Weshalb? Mehrere Gründe haben zu diesem Entschluss geführt. Geschäftsleiter von Pink Cross zu sein ist anspruchsvoll und einnehmend. Man hat wenig Freizeit und macht nur solange einen guten Job, wie man persönlich und organisatorisch einen Fortschritt sieht. Ich bin seit dreieinhalb Jahren Geschäftsleiter von Pink Cross. Es ist Zeit für einen neuen Schritt. Ich möchte gehen, solange die Menschen meinen Weggang bedauern.
Seit wenigen Monaten teilst du die Arbeit mit Yannick Schneeberger, deinem Co-Geschäftsleiter, der für die Romandie und die Administration zuständig ist. War dies ein weiterer Grund für deinen Rücktritt? Es ist nicht zielführend, zwei Personen auf derselben Hierarchiestufe in einem so kleinen Team mit einem so aktiven Tagesgeschäft zu beschäftigen. Das war jedoch nicht der Grund für meinen Weggang. Ich bin überzeugt, dass die derzeitigen Herausforderungen mit einer Co-Geschäftsleitung durchaus gemeistert werden können, allerdings nicht so effizient wie mit einer Einzelperson. (Anm. d. Red.: Die Stelle für Bastians Nachfolge wurde wieder als alleiniger Geschäftsleiter ausgeschrieben, sein Nachfolger René Schegg tritt als alleiniger Geschäftsleiter auf.)
Die Eheöffnung sehe ich nicht im nächsten Jahr, eher 2019 oder 2020.
Ist die Romandie keine Priorität mehr? Doch. Pink Cross muss die Zeit und die Möglichkeit schaffen, die Romandie zu stärken. Das ist von zentraler Bedeutung für Pink Cross als nationaler Dachverband.
Seit Jahren bemüht sich Pink Cross um die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Die Befürwortung innerhalb der Schweizer Bevölkerung ist hoch. Eine Öffnung ist absehbar. Wolltest du diesen Sieg nicht noch für dich verbuchen? Das wäre natürlich schön gewesen. Wie so häufig dauern Geschäfte im Schweizer Parlament länger, als ursprünglich anvisiert. Diese Langsamkeit ist allerdings auch von Vorteil. Jedes halbe Jahr Verzögerung gibt uns die Möglichkeit, unsere Anliegen zu kommunizieren. Die Bevölkerung hat Zeit, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen und die Gesellschaft öffnet sich zunehmend. Die Eheöffnung sehe ich deshalb nicht im nächsten Jahr, eher 2019 oder 2020. Das wäre mir zu lang gewesen. Das will aber nicht heissen, dass ich mich nicht weiterhin dafür einsetzen will. Im Gegenteil.
Die Frist der parlamentarischen Initiative zur Öffnung der Ehe von Nationalrätin Kathrin Bertschy wurde gerade um zwei Jahre verlängert. Die Bertschy-Initiative ist sehr offen formuliert. Der Bund wird nochmals damit beauftragt, die rechtlichen Auswirkungen einer «Ehe für alle» zu überprüfen, denn es gibt keinen Grund, mit der Ehe nicht auch gleich den Zugang zum Adoptionsverfahren für gleichgeschlechtliche Paare zu ermöglichen. Gegner_innen müssten beweisen, dass LGBT-Menschen schlechte Eltern sind, was nicht möglich sein wird.
Kommt ein grosser Abstimmungskampf auf uns zu? Mit der Bertschy-Initiative befinden wir uns an einem Wendepunkt – die Rechtskommission bespricht die Art der Umsetzung. Soll die Eheöffnung auf Gesetzesebene oder mit einer Verfassungsänderung angestrebt werden? Letzteres würde einen längeren und steinigeren Weg bedeuten, da eine Verfassungsänderung eine Annahme durch das Volk mit Ständemehr voraussetzt. Eine Verfassungsänderung ist noch nicht ganz vom Tisch, es sieht allerdings gut aus, dass die Debatte auf Gesetzesebene weitergeführt wird. In diesem Fall kann jeder das Referendum ergreifen und eine Volksabstimmung erzwingen, allerdings ist dann das Ständemehr nicht erforderlich.
Du hast erwähnt, dass du dich weiterhin für LGBT-Rechte einsetzen willst. Was hast du als nächstes vor? Ich will mich im PR- und Kommunikationsbereich und im Lobbying selbstständig machen. Allerdings brauche ich zuerst eine kreative Auszeit (lacht).
Als Geschäftsleiter hast du den Auftritt von Pink Cross aufgefrischt, junge Mitglieder gewonnen und die Möglichkeiten von Social Media ausgenutzt. Kurz: Du hast Pink Cross an allen Fronten gestärkt. Worauf bist du am meisten stolz? Während meiner Amtszeit haben wir immer einen finanziellen Gewinn gemacht, einen relativ hohen sogar für eine Non-Profit-Organisation. Organisatorisch gesehen konnten wir das Überleben von Pink Cross damit sichern und auch eine neue Stelle schaffen. Wir sind pro Jahr um mehrere hundert Mitglieder gewachsen und haben auf Social Media und in den klassischen Medien eine sehr hohe Reichweite erreicht.
Politisch haben wir all unsere Anliegen weitergebracht – mit der Ausnahme vom «Aktionsplan zum Schutz vor Diskriminierung», der leider abgestürzt ist, dem Bundesrat aber immerhin Versprechen abgerungen hat. Besonders am Herzen liegt mir das Hate Crime Projekt – dafür engagiere ich mich seit dem ersten Tag. Stolz bin ich auch auf den Sieg bei der CVP-Initiative, der mir gezeigt hat, wie es ist, im Abstimmungskampf aktiv zu sein. Man gibt alles, arbeitet von morgens bis abends und hat mit verschiedenen Playern zu tun. Meine Grossmama lag kurz vor dem Abstimmungssonntag im Sterben. Ich hatte durch die ganze Arbeit viel zu wenig Zeit für sie. Und trotzdem weiss ich, dass sie über unseren Erfolg stolz gewesen wäre. Sie war eine grossartige Unterstützerin. Und trotz einiger Kritik von unterschiedlichen Seiten kam im Arbeitsalltag auch viel Zuspruch. Man sagte mir: «Ich fühle mich durch dich repräsentiert.» Das war sehr schön.
Ist dir etwas nicht gelungen? Der Miteinbezug der Romandie. Diesen messen wir anhand der Zufriedenheit unserer französischsprechenden Mitglieder und der Anzahl der Events und Projekte, an denen wir beteiligt sind. Ich habe den Röstigraben unterschätzt. Die Mentalität ist anders, auch die Art und Weise, wie Projekte organisiert und durchgeführt werden. Das ist sehr herausfordernd. Die Zeit, die man dafür investieren muss, hatte ich schlichtweg nicht, und das bedaure ich. Dem Anspruch, die Romandie und das Tessin miteinzubeziehen, müssen wir künftig viel mehr gerecht werden.
Hast du deine Erwartungen an dich selber erfüllen können? Meine Erwartungen waren sicherlich nicht realistisch. Ich habe viel gelernt und soviel gegeben, wie ich konnte. Die Launen der Community sind unterschiedlich und jeden Tag für eine Überraschung gut. Oft habe ich mich gefragt: «Warum sind alle so wütend?» Ich bin ein sehr ungeduldiger Mensch. Obwohl ich den demokratischen Prozess schätze, sind mir viele Projekte zu langsam vorangegangen. Viel Zeit und Energie sind für community-interne Besprechungen statt für andere, ebenfalls wichtige Aspekte aufgewendet worden. Oft haben wir vor dem ersten Schritt abgebrochen, weil uns der Mut fehlte oder wir den gemeinsamen Nenner nicht fanden. Ideen wurden totgeredet. Das hat mich frustriert. Ich schätze Ecken und Kanten, sowohl bei Menschen als auch bei Projekten. Sie machen diese erst spannend, sonst gäbe es nichts zu besprechen. Mir ist aufgefallen, dass man sich in der LGBT-Community manchmal vor Kanten fürchtet.
«Ich habe durchaus zur Kenntnis genommen, dass wir in den Augen anderer Organisationen teilweise zu dominant kommuniziert haben.»
Andere LGBT-Organisationen werfen dir Aufmerksamkeitshascherei vor. Oft hättest du im Alleingang gehandelt, ohne Rücksprachen zu nehmen. Dieser Vorwurf kam tatsächlich. Es braucht eine Führungskraft, um Projekte zum Fliegen zu bringen. Ich habe gelernt, dass es nicht möglich ist, alle glücklich zu machen. Das verwischt die Idee und das Ziel des Projekts. Ich habe Unzufriedene in Kauf genommen, wenn ich dafür eine Mehrheit glücklich stellen konnte. Irgendjemand fühlte sich immer betupft.
Schlussendlich haben mir der Vorstand und die Mitglieder einen klaren Auftrag erteilt: Wachstum, Medienpräsenz und eine klare Positionierung von Pink Cross. Hätte man mir gesagt, dass wir nur anderen zu dienen haben ohne jeglichen Selbstzweck, wäre meine Strategie eine andere gewesen.
Tritt Pink Cross zu dominant auf? Ich habe durchaus zur Kenntnis genommen, dass wir in den Augen anderer Organisationen teilweise zu dominant kommuniziert haben. Es kann aber nicht sein, dass wir uns zurücknehmen müssen, weil andere Aufholbedarf haben. Wir nehmen niemandem den Platz weg. Ich wäre ein schlechter Geschäftsleiter, wenn ich unseren Dachverband bremsen würde. Wir wollen niemandem in der Sonne stehen, müssen aber auch vorwärts machen.
Letztes Jahr warf die Lesbenorganisation LOS den Medien in einer Medienmitteilung vor, nur schwule Männer zu thematisieren und Lesben aussen vor zu lassen. Ein Seitenhieb gegen Pink Cross? Meiner Meinung nach war das eine missglückte Medienstrategie. Ich glaube der LOS, dass sie lediglich die Medien kritisieren wollte. Aber Medienkritik bringt nichts. Man holt sie ins Boot, indem man mit ihnen zusammenarbeitet, ihnen Geschichten liefert, sie als Partnerinnen versteht und nicht damit, sie öffentlich zu kritisieren oder erziehen zu wollen.
Ein weiterer Punkt ist die Geschichte im Blick, der mir mit der Schlagzeile «Lesben sauer auf Schwule» einen Schlag ins Gesicht versetzen wollte. Das habe ich kommen sehen. Nachdem mich der Journalist angerufen hatte, bat ich die LOS, die Geschichte fallenzulassen. Das tat sie nicht. Die Medien drehten den Spiess um und die LOS dementierte nicht stark genug. So wurde die Geschichte aufgebauscht und die Community zeigte sich entsetzt. Ich bin überzeugt, dass dies nicht die Absicht der LOS war. Ihr ging es lediglich darum, diese Medienkritik auszusprechen.
Sind Lesben gegenüber Schwulen medial benachteiligt? Ja, das glaube ich. Einerseits sind Frauen in vielen Angelegenheiten benachteiligt – Lesben sogar doppelt. Andererseits ecken sie in der Gesellschaft weniger an, sie lösen weniger Aggressionen aus als zwei Männer. Häufig schlüpfen sie unter dem Radar durch. Wenn man Gesetze gegen Homosexuelle betrachtet, dann ist es nicht selten der Fall, dass sexuelle Handlungen zwischen Männern verboten sind, nicht aber zwischen Frauen. Das ist zwar positiv, hat aber auch zur Folge, dass Lesben durchaus weniger wahrgenommen wurden und werden.
«In der Politik braucht man Geduld, viel Geduld, und die Bereitschaft, Kompromisse einzugehen.»
Wie macht man sich sichtbarer? Lesbische Frauen alleine sind der Schlüssel für das Problem. Man soll nicht darüber reden, wie schade es ist, dass man nicht sichtbar ist oder andere zu dominant sind. Eine höhere Sichtbarkeit wird erreicht, indem man Rollenbilder vermittelt und Geschichten liefert. Das kann ihnen niemand abnehmen.
Was hast du in den letzten drei Jahren über die Politik und die LGBT-Szene in der Schweiz gelernt? In der Politik braucht man Geduld, viel Geduld, und die Bereitschaft, Kompromisse einzugehen. Tritt man zu stark auf, löst man Widerstand aus. Politiker_innen lassen sich nicht gerne unter Druck setzen. Du musst ihnen deine Idee so vermitteln, dass sie sie als ihre eigene empfinden. Diese Arbeit ist spannend und sehr taktisch, setzt allerdings viel Zeit und Diskussionsbereitschaft voraus. Was die LGBT-Szene angeht, so läuft man Gefahr, sich als homogene Masse zu verstehen. Nur weil wir schwul, lesbisch, bisexuell oder trans sind, heisst das noch lange nicht, dass wir alle gleich sind. Unterschiedlichste Personen, Meinungen und Werte treffen aufeinander. Unsere abweichende sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität als alleinige Gemeinsamkeit ist zur Nebensächlichkeit geworden. Ein Umdenken ist gefragt. Es gibt nicht die schwule Person oder die typische Transperson. Diese Vielfältigkeit müssen wir erkennen.
In der Schweiz ziehen vier LGBT-Dachverbände am selben Strick und sprechen ähnliche Forderungen aus. Würden wir nicht viel Zeit, Geld und Mühe sparen, wenn wir, ähnlich wie andere Länder, eine einzige LGBT-Dachorganisation gründeten? Diese Frage ist für die kommenden Jahre begraben, spätestens seit letztem Jahr, als sich die Führungskräfte der Dachverbände an einem runden Tisch dagegen aussprachen. Wenn, dann müssen die Mitglieder der einzelnen Organisationen diese Idee an der GV thematisieren. Ich finde ja, wir würden bei einem Zusammenschluss Ressourcen bündeln und sparen. Die ohnehin schon wenigen Spendengelder teilt man sich unter den NGOs auf, unter den LGBT-Organisationen ist dieser Kuchen noch kleiner. Ein einziger Dachverband würde allerdings nicht alle Probleme lösen, auch dasjenige der vorhin angesprochenen Vielfalt nicht. Ein Zusammenschluss wäre allerdings ein Mittel, um den Konkurrenzdruck auszuschalten und den Futterneid zu mindern. Beide sind in meinen Augen schädlich und helfen niemandem weiter.
Was sind die Herausforderungen der nächsten Jahre? Politisch müssen wir dranbleiben. Ich sehe Pink Cross als alten und gnädigen Dampfer, der langsam vor sich hin tuckert und seine Ziele nicht aus den Augen verlieren darf. Was machen wir eigentlich? Was bringt unsere Arbeit konkret? In welche Projekte wollen wir Geld investieren? Die junge Generation denkt offener und hält nicht viel von Boxen und Labels. Man darf den Zeitpunkt nicht verpassen, sich anzupassen.
Was möchtest du der Community mit auf den Weg geben? Sie soll vom Smartphone aufschauen und beobachten, was draussen in der Realität läuft. Wir müssen aufhören, uns gegenseitig zu kritisieren. Stattdessen sollten wir uns gegenseitig schätzen, unterstützen und schauen, wo wir gemeinsam den Weg freimachen können für eine vorurteilsfreie und gleichberechtigte Welt.
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