Pink Apple: Diese Filme wurden in der 28. Ausgabe ausgezeichnet

Ehre für «Wenn du Angst hast nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst» und «Copa 71»

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«Wenn du Angst hast nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst» (Bild: Polyfilm)

Die Jubiläumsausgabe des Pink Apple ist nach drei Tagen Programm in Frauenfeld zu Ende gegangen. Zuvor fand das Festival vom 29. April bis zum 8. Mai in Zürich statt. «Wenn du Angst hast nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst» und «Copa 71» wurden u.a. geehrt.

Von Sarah Stutte

Das 28. Pink Apple war auch in diesem Jahr wieder reich an spannenden Begegnungen vor Ort, die ermöglicht wurden durch ein vielseitiges Rahmenprogramm. Insgesamt kamen rund 10'000 Besucher*innen zu den über 100 Veranstaltungen und 78 gezeigten Spielfilmen, Dokus und Shorts in den beiden Austragungsstätten Zürich und Frauenfeld. Der Pink Apple Award Festival Award ging dieses Jahr an den Schweizer Produzenten Ivan Madeo. Den Kurzfilmpreis gewann der deutsche Beitrag «Kiss Kiss Wolf» von Lynn T Musiol.

Den Spielfilmpreis und den ZKB-Publikumspreis sicherte sich in Zürich der österreichische Spielfilm «Wenn du Angst hast nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst», der ZKB-Dokumentarfilmpreis ging dagegen an «Copa 71». In Frauenfeld entschied sich das Publikum für eine andere Dokumentation als Lieblingsfilm: «Ein Tag ohne Frauen» von Pamela Hogan und Hrafnhildur Gunnarsdóttir.

Am 24. Oktober des Jahres 1975 gehen unfassbare 90 Prozent der isländischen Frauen auf die Strasse. Sie streiken gegen die ihnen von Männern aufgelegte «Berufung» – sich um Haus und Herd zu kümmern oder, wenn sie arbeiten durften und konnten, sich für wenig Geld den Buckel krumm zu machen. Mit dieser unglaublichen Aktion brachten sie das gesamte Land zum Stillstand und zum Nachdenken. Heute ist Island eines der fortschrittlichsten Länder der Welt, wenn es um das Thema Gleichberechtigung geht. 1980 wählte die Inselnation mit Vigdís Finnbogadóttir zum ersten Mal eine Frau zur Präsidentin und hat mit Halla Tómasdóttir aktuell wiederum eine an ihrer Spitze.

Die Dokumentarfilmerin Hrafnhildur Gunnarsdóttir stand an diesem historischen Streiktag selbst zusammen mit ihrer Mutter auf dem Laekjartorg-Platz in Reykjavík. Sie erinnert sich im Film, wie ihre Mutter ihrer Lebensrealität stets mit Humor begegnete: «Beim Einkaufen im Geschäft meinte sie zur Verkäuferin, dass sie weniger für das Mehl bezahle, weil sie ja auch weniger verdiene». Mit solchen und anderen Erinnerungen der Augenzeuginnen von damals, die diese teilweise zum ersten Mal teilen, sowie vielen spielerischen Animationen, ist der Film unterhaltsam-optimistisch und bewegend zugleich. Zum 50. Jahrestag des Streiks ein Geschenk an künftige Generationen – über Mut, Kampfgeist und die Kraft des Kollektivs. (Kinostart Schweiz: 5. Juni 2025)

«Wenn du Angst hast nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst»

Die zwölfjährige Anna (Siena Popović) lebt mit ihrer alleinerziehenden gehörlosen Mutter Isolde (Mariya Menner, die selbst gehörlos ist) im Wiener Problembezirk Florisdorf – hier leben viele Menschen an der Armutsgrenze oder darunter. Als Anna aufs Gymnasium wechselt, fängt sie an, zu rebellieren. Gegen Isolde, die ihr aufgrund ihrer Beeinträchtigung nicht immer die Unterstützung geben kann, welche die Teenagerin sich wünscht. Gegen die Umstände, weil das Geld nicht ausreicht, damit Anna mit in das Ski-Lager ihrer Klasse fahren kann. Letztendlich auch gegen sich selbst, weil sie sich zwischen ihren eigenen Gefühlen von Wut, Scham, Zuneigung und Liebe hin- und hergerissen fühlt. Regisseurin Marie Louise Lehner ist ein kleiner stiller Film über das Erwachsenwerden und die Suche nach der eigenen Identität gelungen.

Authentisch erzählt Lehner, die mit dem Film in diesem Jahr schon den Teddy Award (Jury) an der Berlinale gewinnen konnte, mit viel Gespür für die Figuren und schafft es dabei auch wie beiläufig queere Themen in die Handlung einfliessen zu lassen. So konnte sie nicht nur den nicht-binären US-Schauspieler Daniel Sea (Max aus «The L Word») für die Rolle eines queeren Vaters verpflichten, sondern hat den Film auch mit ganz vielen queeren Komparsen besetzt sowie ein Leslie Feinberg Zitat untergebracht. Der Filmtitel stammt übrigens aus dem tollen Buch der leider viel zu früh verstorbenen Schweizer Autorin «Warum das Kind in der Polenta kocht». (Kinostart Deutschland, Schweiz und Österreich: 26. September 2025)

«Copa 71»

Wann fand die erste Frauenfussball-Weltmeisterschaft statt? Darauf gibt es mehrere mögliche Antworten. Eine mögliche wäre: der Campeonato de Fútbol Femenil 1971 in Mexiko. Von dieser inoffiziellen WM, knapp zwanzig Jahre vor der ersten offiziellen Fifa-Frauen-Weltmeisterschaft, erzählt der spannende Dokumentarfilm von Rachel Ramsay und James Erskine. Sechs Teams traten damals gegeneinander an, kurz nachdem das Fussballverbot für Frauen in verschiedenen Ländern (darunter Deutschland!) aufgehoben wurde. Die Fifa versuchte das Turnier um jeden Preis zu verhindern, indem sie den mexikanischen Vereinen verbot, die Spiele in deren Stadien auszutragen. Die Ironie daran ist, dass sie damit den Anlass erst beflügelte. Die Spiele wurden daraufhin in die grössten Stadien des Landes verlegt, die den mexikanischen Medienkonzernen gehörten. Um deren Geldbeutel zu füllen, mussten die Ränge gefüllt werden. So erreichte der Frauenfussball eine bis dahin nie gedachte Reichweite. Das Finale zwischen Dänemark und Mexiko sahen 112'000 Zuschauer*innen.

Aus dem arrchivierten TV-Material, das hierbei zustande kam, zauberten Ramsay und Erskine ein faszinierendes Gesamtkunstwerk, das den gesellschaftlichen Umbruch jener Zeit reflektiert. Die Spielerinnen, die bis anhin ignoriert, nicht ernst genommen oder verspottet wurden, mauserten sich während des Turniers zu Stars. Die Tragik daran wird auch gezeigt – für viele von ihnen war es leider nur ein Momentum. «Copa 71» ist ein wichtiger Film und er kommt zur richtigen Zeit – im Hinblick auf die Europameisterschaft in der Schweiz zeigt er, dass der Frauenfussball noch immer um seine Anerkennung kämpfen muss.

«Light Light Light»

Für die 15-jährige Mariia (Rebekka Bear) ist der Sommer 1986 einer, der alles für sie verändert. Die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl beschäftigt die stille Jugendliche in ihrem finnischen Dorf genauso, wie ihre wachsene Zuneigung zur gleichaltrigen Mimi (Anni Iikkanen), die gerade aus Schweden hergezogen ist und in einer ungewöhnlichen Familiensituation nun inmitten der dichten Wälder lebt. Schwelgerisch sind die Tage dieser unschuldigen Teenagerliebe, die zwar im Geheimen existiert, in der sich die beiden jungen Frauen aber eine eigene träumerische Welt schaffen. Viele Jahre später kehrt Mariia zurück in ihre Heimat und besucht ihre Mutter.

Was aus Mimi geworden ist, erfährt das Publikum in Rückblenden, die nur so viel erzählen, wie Mariia preiszugeben bereit ist. Inari Niemi hat basierend auf dem gleichnamigen Roman der finnischen Autorin Vilja-Tuulia Huotarinen einen poetischen Film über die erste Liebe geschaffen. In lichtdurchfluteten Bildern wird diese Magie in innigen Momenten eingefangen und der Tristesse der Umgebung gegenübergestellt. Doch die Einsamkeit holt die erwachsene Mariia nach und nach ein und sie muss sich ihren schmerzhaften Erinnerungen stellen, um ihren Weg zurück ins Leben und zur Heilung zu finden. (DVD erhältlich bei Salzgeber)

«Really Happy Someday»

Z (Breton Lalama) befindet sich mitten in der Transition. Vor dieser sang Z erfolgreich in Musicals, aber seine neue Stimme kann er noch nicht kontrollieren. Und so fällt er bei einer Audition durch, feuert seine Agentin und droht, seine grösste Leidenschaft zu verlieren. Dann zerbricht auch noch seine Beziehung, als seine Freundin von Toronto nach New York zieht. Doch Z rafft sich auf und sucht sich eine Gesangslehrerin. Sie formt seine Stimme so, dass er neuen Mut schöpft. Auch in Santi (Xavier Lopez), der eine Bar führt und Z dort einen Job anbietet, findet der trans Mann eine Vertrauensperson, die ihn versteht.

Das einfühlsame Indie-Drama der nicht-binären Regieperson J. Stevens (gründete zusammen mit Lalama mit Spindle Films eine eigene Produktionsfirma, die queere, nicht-binäre, genderdiverse und trans Filmemacher*innen aus Kanada unterstützt) wird getragen von seinem charismatischen Hauptdarsteller Lalama, der in jeder Einstellung überzeugt. Der hier dargestellte innere Konflikt von Z und seiner individuellen Reise wirkt überaus authentisch und verleiht dem Film einen hoffnungsvollen, Blick, statt sich – wie oft in Filmen mit ähnlicher Thematik – ausschliesslich auf traumatische Erfahrungen zu konzentrieren. J. Stevens und Breton Lalama haben das Drehbuch gemeinsam geschrieben und zeigen uns hier Menschen, die natürlich verletzlich sind, weil sie einen neuen Weg für sich suchen müssen, darüber aber nie verzweifeln, sondern ineinander Mut und aneinander Halt finden. Damit spricht er eine universelle Sprache, die wir alle verstehen.

«Baby»

Zwei Jahre hat Wellington (João Pedro Mariano) in einer Jugendstrafanstalt verbracht. In dieser Zeit hat sein alkoholkranker Vater, ein Polizist, die Stadt zusammen mit seiner Mutter verlassen. Der 18-jährige versucht sich nach seiner Entlassung alleine in São Paulo durchzuschlagen. Auf der Suche nach seiner Mutter begnet er dem 40-jährigen Escort Ronaldo (Ricardo Teodoro), der Gefallen an dem jungen Mann findet – privat wie beruflich. Er nimmt Wellington unter seine Fittiche und bringt ihm bei, wie man ein Sexarbeiter wird. Unter dem Namen Baby wird Wellington immer tiefer in Ronaldos Welt hineingezogen, die sowohl gute Seiten hat, als auch gefährliche.

Der brasilianische Regisseur und Drehbuchautor Marcelo Caetano zeichnet ein sensibles, lebendiges und nuanciertes Porträt von Lebensentwürfen schwuler Männer im heutigen São Paulo. Dabei rückt er auch die Polizeigewalt gegenüber Sexarbeiter*innen in Brasilien ins Bild, wenn er zwei nächtliche Begegnungen von «Baby» mit Uniformierten in Nahaufnahmen zeigt. Caetano gelingt so eine Art von schwulem Sozialrealismus, der an diejenigen britischer Produktionen von Ken Loach erinnert. Leichtigkeit und Schwere wechseln sich hier ab, genau wie im Leben. Für den Film, der auch wunderbar zum diesjährigen Festival-Fokus «Sexarbeit – zwischen Stigma und Faszination» passte, gab es eine Special Mention von der diesjährigen Jury, bestehend aus Nick McCarthy, Marie Lou Phahud und Living Smile Vidya.

Der diesjährige Pink Apple Award ging an den Schweizer Filmproduzenten Ivan Madeo, der seit über 15 Jahren das Filmschaffen, vor allem aber auch das queere Kino der Schweiz prägt. Mit seiner Produktionsfirma Contrast Film und Partnern wie Stefan Eichenberger und Urs Frey produzierte er preisgekrönte Filme wie «Un mundo para Raúl» (2012) und den Gay-Klassiker «Der Kreis» (2014). Madeo kombiniert gesellschaftliche Themen mit künstlerischem Anspruch und unterstützt sowohl etablierte als auch junge Regisseur*innen mit Filmen, denen queere Thematiken innewohnen, wie Michael Krummenachers «Landesverräter», Elina Psykous «Stray Bodies» oder Katharina Lüdins «Und dass man ohne Täuschung zu leben vermag», die alle auch auf dem Festival gezeigt wurden.

Badr und Dali Rtimi sind eineiige Zwillinge. Sie wachsen in Tunesien auf, arbeiten in derselben NGO, geraten beide ins Visier der Polizei. 2019 beantragt Badr politisches Asyl in Dresden. Dali bleibt zurück (MANNSCHAFT-Story).

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