«Piep Piep Piep»: Wie Guildo Horn vor 25 Jahren den deutschen Krampf löste
Europa staunte damals in Birmingham über Deutschland
Der Eurovision Song Contest galt lange Zeit als ziemlich spiessige Veranstaltung – dann aber trat 1998 ein grosser Mann mit Zottelmähne auf. Guildo Horns Reise nach Birmingham wirkte vor einem Vierteljahrhundert wie ein Krampflöser für Deutschland.
Von: Jonas-Erik Schmidt, dpa
Dass es Deutsche mit Humor gibt, das halten viele Briten für ein grosses Märchen. Auf der Insel herrscht eher das Bild des steifen Teutonen vor, vollkommen unfähig, sich auch nur ein bisschen locker zu machen. In der Nacht vom 9. auf den 10. Mai 1998 aber bröckelte dieses Bild der Briten – ein mässig frisierter Sänger aus Trier in einem türkisfarbenen Samtmantel hatte es mitten in ihrem Land angebohrt. Sein Name: Guildo Horn.
Der selbsternannte «Ritter der Zärtlichkeit» sei einer der ersten «Versuche», zu zeigen, dass die Deutschen Humor hätten, ordnete die Sunday Times das Erlebte am folgenden Morgen ein. Das Blatt Mail On Sunday ging weiter: Deutschland habe es tatsächlich geschafft, den ersten totalen «Klamauk-Akt» der Eurovision zu produzieren.
Was war passiert? Guildo Horn sang damals beim Eurovision Song Contest (ESC) im englischen Birmingham sein Lied «Guildo hat euch lieb!», das vor allem für seine fröhliche Zeile «Piep, piep, piep, ich hab‘ Dich lieb» bekannt ist. Dazu hüpfte und turnte er über die Bühne, dass man zu Hause Angst haben musste, dass gleich der Röhrenfernseher auseinanderfliegt. Optisch sah er mehr wie ein gealterter Karnevalsprinz aus – weniger wie ein cooler Pop-Star.
Am Ende sprang der siebte Platz heraus, was angesichts der schon damals ausgewachsenen deutschen ESC-Misere ein beachtliches Ergebnis war (alle Punkte, Ergebnisse und Videos des ESC 1998 in Birmingham). Im Jahr zuvor hatte die weitgehend unbekannte Bielefelder Sängerin und Verwaltungsbeamtin Bianca Shomburg mit einer überladenen Ballade Platz 18 geholt. In den Jahren zuvor war es noch mieser gelaufen. Inzwischen ist Deutschland wieder Stammgast auf den letzten Plätzen (MANNSCHAFT berichtete).
Die Platzierung beschrieb aber nur halb, was dem bunten Sozialpädagogen aus Trier insgesamt gelungen war. Plötzlich interessierte man sich in Deutschland wieder für den arg angestaubten Schlagerwettbewerb, den man damals noch pathetisch Grand Prix Eurovision de la Chanson nannte. Handstreichartig überrumpelte er das alte ESC-Establishment, dessen Grossherrscher Ralph Siegel beim Vorentscheid in Bremen konsterniert ins Leere schaute. Komponiert hatte Horns Lied Stefan Raab – unter dem Spott-Pseudonym «Alf Igel».
Horn war es gelungen, einen Guildo-Kult zu entfachen. Ständig stand etwas über ihn in der Zeitung – etwa, wie sehr er Nussecken liebt. Dass er dabei ganz anders aussah und auftrat als seine weihevollen Schlager-Kollegen tat sein Übriges. Die bekannteste Schlagzeile kam von der Bild: «Darf dieser Mann für Deutschland singen?»
Die Manie erfasste auch nicht nur die Schlager-Welt. Der schwule FDP-Parteimanager Guido Westerwelle etwa bezichtigte den damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder, Gemeinsamkeiten mit Horn zu haben: «Die Texte haben keinen Inhalt und die Show ist wirklich gut.» Heerscharen von Expert*innen wurden konsultiert, um das Phänomen zu ergründen. Medienmanager Hans-Hermann Tiedje etwa befand: «Horn hat Haarausfall, Übergewicht und kann nicht singen», aber er sei ein «intelligenter Kultstar», der perfekt mit den Medien spiele.
Wir wussten auch nicht so recht, was wir da machen. Es war anarchisch
«Natürlich wurde es dann ein brutaler Hype. Ich war ständig unterwegs. Und eigentlich konnte ich nicht mehr auf die Strasse gehen», erinnert sich Horn (60 ) im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Die Gründe dafür, dass er in aller Munde war, sieht er im Neuen und Abenteuerlichen, das ihn umweht habe. Er sang deutschen Schlager, aber mit der Attitüde eines Rockstars. «Wir wussten auch nicht so recht, was wir da machen. Es war anarchisch», sagt er. «Wir haben uns damals etwas überlegt – und eine halbe Stunde später haben wir es schon an die Öffentlichkeit geblasen.»
Das passte in eine Zeit, in der es vielerorts einen Wunsch nach Veränderung gab. «Man muss sich in Erinnerung rufen, dass die 90er auch eine bleierne Zeit waren», sagt Johannes Kram, der Horn damals als Manager begleitete und heute u.a. als Blogger und LGBTIQ-Aktivist von sich reden macht. «1998, das war das Ende von 16 Jahren Kohl und lange vor Social Media. Die Schallplatten-Firmen hatten die absolute Macht. Die machten die Leute gross oder klein.» Horn aber habe die Branchen-Gesetze einfach nicht akzeptiert. «Er war jemand, der sich selbst ermächtigte», sagt Kram. Ein «Befreiungsschlag».
Guildo hat dieses Land positiv aufgemöbelt.
Horn und Band seien schon zuvor vor grossem Publikum aufgetreten. Das sei kein Medien-Produkt gewesen. «Das Spiel, das wir begonnen hatten, das wollten einfach auch viele Menschen mitspielen», sagt Kram. Das habe auch daran gelegen, dass es unzynisch gewesen sei. «Es ging ja nicht um Provokation. Die Leute, die sich von Guildo provoziert fühlten, wie etwa Ralph Siegel, haben sich damals selbst entlarvt.»
Damals seien auf diese Weise Spiessigkeit und Anarchie versöhnt worden. «Guildo hat dieses Land positiv aufgemöbelt», sagt Kram.
The BossHoss fürchten Häme im Falle eines Scheiterns. Die Country-Rocker sehen in einer Teilnahme beim Eurovision Song Contest ein Risiko für Musiker*innen (MANNSCHAFT berichtete).
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