Ich will ein Land, wo «selbst Fidesz-Politiker offen schwul sein können»

Péter Márki-Zay will 2022 neuer Premier in Ungarn werden

Péter Márki-Zay (Foto: Twitter/Screenshot)
Péter Márki-Zay (Foto: Twitter/Screenshot)

Erstmals entschieden die Ungar*innen, wer die Regierungsgegner in die nächste Wahl führen soll. Ihr Vertrauen gewann ein parteiloser Konservativer. Kann der homofreundliche Spitzenkandidat Péter Márki-Zay den mächtigen, fast alles kontrollierenden Regierungschef Viktor Orbán schlagen?

Die Opposition in Ungarn hat nach einer mehrwöchigen Vorwahl ihren Spitzenkandidaten für die Parlamentswahl im April 2022 gekürt. Die Stichwahl, die am Wochenende zu Ende ging, gewann überraschend deutlich der parteilose Konservative Peter Marki-Zay mit 57 Prozent gegen die Sozialdemokratin Klara Dobrev mit 43 Prozent der Stimmen, wie die Vorwahl-Kommission in der Nacht zum Montag auf ihrer Facebook-Seite mitteilte. Marki-Zay, der als krasser Aussenseiter in die Vorwahl gegangen war, ist damit der von sechs Oppositionsparteien unterstützte Herausforderer des rechtsnationalen Ministerpräsidenten Viktor Orbán.

Eine Vorwahl wie diese gab es in Ungarn zum ersten Mal. Die sechs Parteien, deren Spektrum von links-grün bis rechtskonservativ reicht, waren zuvor heillos zerstritten. Die Beteiligung an der Vorwahl, die im Vormonat begonnen hatte, übertraf alle Erwartungen. 630 000 Bürger stimmten in der ersten Runde ab, 660 000 in der zweiten.

«Dies ist die Revolution der kleinen Leute», erklärte Marki-Zay am späten Sonntagabend. Der Opposition könne es nur gemeinsam gelingen, «die korrupteste Regierung der letzten 1000 Jahre» zu abzuwählen. Dobrev bekräftigte ihre Unterstützung für den siegreichen Rivalen. «Von jetzt an beschäftigen wir uns alle nur noch damit, das Orban-System abzuräumen», sagte sie.

Marki-Zays Stärke: Als Konservativer aus dem ungarischen Tiefland, bekennender Katholik und Vater von sieben Kindern kann er Wähler auf dem Land ansprechen, die konservativ eingestellt sind, aber von Orbans Herrschaft möglicherweise nicht mehr so überzeugt sind. Zugleich vergrault er die urbanen, eher linken Wähler der Großstädte nicht, weil sich sein Konservativismus mit Weltoffenheit, Toleranz und Kompromissfähigkeit verbindet.

Im Interview mit dem Portal Euractiv kritisisierte er Ende letzer Woche die Fidesz-Regierung: «Während die Führer und Politiker von Fidesz übrigens schon 1997 für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften gestimmt haben, denke ich, dass ihre Partei damals als liberale Politiker, soweit wir wissen, die meisten schwulen Politiker in Ungarn hat.» Und seit József Szájer bei einer Sexparty in Brüssel erwischt worden war (MANNSCHAFT berichtete), denke er, «dass das nicht nur ich weiss, sondern auch Insider, die einige Leute in der Partei und sogar in der Regierung kennen. Das heisst, sie führen Hasskampagnen gegen Schwule, obwohl die eigenen Reihen beispielsweise die meisten Schwulen in der Politik haben.»

Homosexualität ist keine Schande.

Er wolle ein Land, in dem «selbst Fidesz-Politiker ihre Homosexualität offen bekennen können, denn das ist keine Schande».

Marki-Zay studierte Wirtschaft, Elektrotechnik und Geschichte. Von 2004 bis 2009 lebte er mit seiner Familie in Kanada und den USA. In die Politik stieg er erst 2018 ein. Damals gewann er – gleichfalls überraschend – die Bürgermeisterwahl in Hodmezövasarhely. Der Ort galt bis dahin als uneinnehmbare Hochburg der Orban-Partei Fidesz. Im Jahr darauf wiederholte er den Wahlsieg.

Die Wahlsiege in seiner südostungarischen Heimatgemeinde waren aber auch nur möglich, weil sich alle Oppositionsparteien um ihn geschart hatten. Insofern gelten die damaligen Kampagnen als die Blaupause für die derzeitige Oppositionsallianz. Die Idee der Vorwahl war wiederum von Politologen und Thinktanks entwickelt worden.

Die reale Dynamik der Vorwahl vermochte niemand vorherzusagen. Als die erste Runde begann, hatten Meinungsforscher Marki-Zay bestenfalls den vierten Platz unter fünf Bewerbern vorausgesagt. Doch als überraschender Drittplatzierter gelangte er in die Stichwahl. Der zweitplatzierte links-grüne Budapester Oberbürgermeister Gergely Karacsony verzichtete indes zugunsten von Marki-Zay auf ein Antreten in der zweiten Runde.

In der Opposition war inzwischen die Ansicht gereift, dass nur Marki-Zay, nicht aber Dobrev in der Lage wäre, Orban bei einer Wahl zu schlagen. Die Sozialdemokratin ist nämlich mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsany verheiratet und gehört der von ihm gegründeten und geführten Demokratischen Koalition (DK) an. Gyurcsanys Amtszeit von 2004 bis 2009 war von Skandalen und den Budapester Straßenunruhen im Herbst 2006 überschattet.

Orban regiert seit 2010 in ununterbrochener Folge. Kritiker werfen ihm einen autoritären Führungsstil und massive Korruption vor. Staatliche Institutionen, die eigentlich neutral agieren sollten wie die Staatsanwaltschaft, die Gerichtsbarkeit und das Verfassungsgericht, hat er mit loyalen Parteisoldaten vollgepackt. In Meinungsumfragen lagen Orbans Regierungspartei Fidesz und die vereinte Opposition zuletzt Kopf an Kopf.

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