P. Craig Russell: Wagners «Ring» als schwule Pornofantasie?

Die Opernadaption des Comic-Künstler liegt jetzt auf Deutsch vor

Hot Daddy Wotan in P. Craig Russells «Ring des Nibelungen» (Foto: Cross Cult Comics)
Hot Daddy Wotan in P. Craig Russells «Ring des Nibelungen» (Foto: Cross Cult Comics)

Der Comic-Zeichner P. Craig Russell wurde bekannt als einer der ersten Mainstream-Künstler im Comic-Bereich, der sich als schwul outete. Jetzt ist seine stark von homoerotischen Elementen durchsetze Version von Richard Wagners «Ring des Nibelungen» auf Deutsch erschienen.

Die deutsche Ausgabe von P. Craig Russells «Ring des Nibelungen» (Foto: Cross Cult Comics)
Die deutsche Ausgabe von P. Craig Russells «Ring des Nibelungen» (Foto: Cross Cult Comics)

Der 1951 in Ohio geborene P. Craig Russell stiegt in den frühen 1970er Jahren in der Comic-Industrie ein und arbeitete zeitweise für DC an Batman-Geschichten mit. Nachdem er sich im Mainstream einen Namen gemacht hatte, zog er sich jedoch zurück, um sich Projekten zu widmen, die ihn mehr interessierten als «The War of the Worlds» oder «Daredevil», «The Sandman» und «Conan». Obwohl er für diese Arbeiten viele Preise erhielt.

So adaptierte er z.B. die Märchen von Oscar Wilde als Comics und wandte sich auch weiteren LGBTIQ-Themen zu.

Zu Russells grossen Leidenschaften gehört seine Liebe zur Oper. So hat er früh angefangen, einige berühmte Musiktheaterstücke in Comics umzuwandeln. Nicht nur die auf Oscar Wilde basierende Richard-Strauss-Oper «Salome», sondern auch Wagner-Werke.

«Überlebenshilfe» für Homosexuelle Diese nehmen im Olymp schwuler Opernfans bekanntlich einen besonderen Platz ein, wie Rosa von Praunheim zuletzt in seiner Doku «Operndiven – Operntunten» erläuterte. In der Doku erklärte Regisseur Barrie Kosky, dass Wagner-Opern so weit von der Realität entrückt sind, dass sie von der Gesellschaft unterdrückten Homosexuellen einen Zufluchtsort in mythischen Sphären boten, der eine Art «Überlebenshilfe» war, so Kosky.

Göttervater Wotan in P. Craig Russells «Ring des Nibelungen» (Foto: Cross Cult Comics)
Göttervater Wotan in P. Craig Russells «Ring des Nibelungen» (Foto: Cross Cult Comics)

Und kein Werk fasziniert schwule Opernfans so sehr wie der monumentale «Ring» – mit Themen wie verbotener Liebe, Inzest, manischer Eifersucht, dem Aufbrechen traditioneller Gender-Klischees für Frauen und Männer, die schiere klangliche Überwältigung, die Wagner mit seinem Riesenorchester immer wieder entfacht usw.

Und dann geht’s beim «Ring des Nibelungen» natürlich um germanische Action-Helden, die man durchaus mit Figuren aus «Sandman», «Daredevil» oder «Batman» vergleichen kann. Nur dass sie auf der Opernbühne meist nicht so aussehen – trotz des neuen Phänomens der sogenannten «Barihunks», also besonders muskulösen Baritonen.

Raging Stallion oder Hothouse Bei Russell sieht Gottvater Wotan wirklich aus wie ein superheisser Muskel-Daddy, der in seinem Outfit jederzeit bei Folsom für Aufsehen sorgen würde. Und Held Siegfried – blond, durchtrainiert, blauäugig – ist in der Russell-Version auch eine Figur, die direkt auf der Welt des Schwulenpornos stammen könnte, sagen wir mal aus einem Film der Studios Raging Stallion oder Hothouse.

Szene zwischen Siegfried und Wotan (als Wanderer) in Russells «Ring des Nibelungen» (Foto: Cross Cult Comics)
Szene zwischen Siegfried und Wotan (als Wanderer) in Russells «Ring des Nibelungen» (Foto: Cross Cult Comics)

Damit gibt Russell diesen Figuren eine Optik, die man sich als Wagner-Fan vielleicht beim Hören der Musik (mit geschlossenen Augen) erträumt, die aber so gut wie niemals in einer Live-Aufführung zu erleben ist. Ausser vielleicht aktuell in Bern, wie Seth Carico als Wotan diesem Comic-Ideal recht nahe kommt.

«Wagner und die Männerliebe» Erwähnenswert ist, dass die Publikation «Wagnerspectrum» – herausgegeben vom Richard Wagner Museum Bayreuth – in der nächsten Ausgabe das Thema «Wagner und Gender» behandeln wird. Geplant ist, laut bereits veröffentlichter Inhaltsübersicht, ein Artikel von Nick Sternitzke zu Genderbildern in den Comic-Adaptionen von Russell, basierend auf einem Interview, das Sternitzke mit dem Künstler geführt hat.

P. Craig Russell (Foto: Michael Netzer / CC BY-SA 3.0)
P. Craig Russell (Foto: Michael Netzer / CC BY-SA 3.0)

Im gleichen «Wagnerspectrum» wird es auch erstmals um die LGBTIQ-Netzwerke bei den Bayreuther Festspielen in dn 1920er Jahren gehen sowie um «Wagner und die Männerliebe» in einem Essay von Nikolai Endres.

Der blonde Held Siegfried mit dem Schwert in P. Craig Russells «Ring des Nibelungen» (Foto: Cross Cult Comics)
Der blonde Held Siegfried mit dem Schwert in P. Craig Russells «Ring des Nibelungen» (Foto: Cross Cult Comics)

Die deutsche Ausgabe von P. Craig Russells «Ring des Nibelungen» ist beim Verlag Cross Cult Comics erschienen und umfasst 448 Seiten. Der Verlag hat das Buch mit «Fantasy» und «History» verschlagwortet, was bei Wagner ganz passend ist.

Bemerkenswerterweise haben die Rezensent*innen von der Süddeutschen Zeitung und anderen Presseorganen die ziemlich offensichtliche Homoerotik dieser «Ring»-Adaption nicht bemerkt – oder sie gehen absichtlich nicht darauf ein, um «traditionelle» Comic-Fans nicht zu verschrecken? Schwule Opernfans sollten sich diese nunmehr in Übersetzung zugängliche «Ring»-Welt Russells jedenfalls nicht entgehen lassen. Vielleicht schaut ja sogar Katharina Wagner mal rein und lässt sich für die nächsten Festspiele auf dem Grünen Hügel inspirieren …

Bei einer Veranstaltung des Wagner-Verbands Berlin-Brandenburg wurde zuletzt mehr Forschung zu Diversität rund um die Bayreuther Festspiele gefordert (MANNSCHAFT berichtete).

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