One-way zum Mars
Brian Robles will zum Planeten Mars reisen und nie mehr zurückkehren
Für die einen ist es eine Selbstmordaktion, für die anderen die Weiterentwicklung der Menschheit. Die Stiftung Mars One will 2025 die ersten Menschen zum Mars schicken. Und dort oben lassen.
Brian Robles will auf den Mars. Und nicht wieder zurückkommen. Die Idee ist surreal – ja fast hirnrissig –, aber er sinniert davon, als wären es die nächsten Ferien auf Gran Canaria. Es ist August 2014, und wir sitzen an einem Küchentisch in Jersey City, einer Stadt, die am anderen Ufer des Hudson River und somit gleich gegenüber der Millionenmetropole New York liegt.
«Ich will als erster Mensch den Mars betreten. Und wenn nicht, werde ich wohl jemanden zur Seite stossen müssen», sagt er mit einem Zwinkern in den Augen. Er lacht, als er es sagt, und schnippt mit dem Finger durch die Luft. Wer Brian kennt, weiss, dass er es nicht ernst meint.
Mit einer Grösse von etwas über 170cm und einer zierlichen Statur sieht Brian nicht gerade aus wie der typische Astronaut. Doch Mars One – die niederländische Stiftung, die hinter dem unerhörten Vorhaben steckt – will keine diplomierten Raumfahrttechniker auf den Roten Planeten schiessen, sondern Menschen wie dich und ich.
Im August 2013 hatten sich 200’000 Menschen aus aller Welt für die Marsmission beworben, von Argentinien bis nach Kirgistan, Uganda und Zypern. Die Anmeldegebühr wurde entsprechend dem jeweiligen Wohlstand des Heimatlands bestimmt und betrug zwischen fünf und 75 US-Dollar. Doch die ultimativen Kosten für die Reise zum Mars werden sich schlussendlich nicht in Zahlen fassen lassen und werfen nebst technischen Fragen auch moralische Bedenken auf.
Engagiert im LGBT-Bereich Brian ist 22 Jahre alt und macht noch dieses Jahr seinen Bachelorabschluss im öffentlichen Gesundheitswesen. Bereits heute ist er an seiner Universität als Berater für sexuelle Gesundheit tätig.
«Ich bin im Planungsrat für HIV, sexuelle Gesundheit sowie für Alkohol- und Drogenkonsum», sagt Brian. «Ich engagiere mich gerne für die LGBT-Community und möchte in Zukunft im Bereich HIV-Prävention arbeiten.»
Technische Kenntnisse kann man erlernen, wie man mit anderen Menschen auf engen Raum zusammenlebt nicht.
Die Erkundung des Weltalls fasziniert Brian, und mit seiner Teilnahme an der Mars One Mission will er die Menschheit einen Schritt weiterbringen. In seinem Mars-One-Bewerbungsvideo zeigt er seine humorvolle Seite und zählt seine Qualitäten als belastbarer und sozialkompetenter Mensch auf. Ein gelernter Ingenieur oder Weltraumexperte ist er nicht: «Für die Mission sind soziale Charaktereigenschaften gefragt. Technische Kenntnisse kann man erlernen, wie man mit anderen Menschen auf engen Raum zusammenlebt nicht.»
Aus den über 200’000 Anmeldungen wurden 1’058 Anwärterinnen und Anwärter ausgewählt und für medizinische Abklärungen und Bluttests zum Hausarzt geschickt. 705 haben den Gesundheitscheck überstanden und sind eine Runde weiter, darunter auch drei Schweizer. Brian ist ebenfalls weitergekommen und wartet nun auf einen Interviewtermin mit einem Vertreter von Mars One. Bereits nächstes Jahr beginnt eine erste Selektion von Kandidaten mit dem Training für die Mission.
Leben auf dem Mars: greifbarer als wir denken? Hinter Mars One stecken der niederländische Unternehmer Bas Lansdorp und der Ingenieur Arno Wielders. Ihr Ziel ist die Errichtung einer permanenten, selbsterhaltenden Menschensiedlung auf dem Mars. 2018 und 2022 sollen erste unbemannte Missionen die nötige Infrastruktur liefern. Dazu gehören die Materialien für den Bau der Unterkunft und der Nahrungsmittelproduktion, die dann 2025 von den Astronauten selbst zusammengesetzt werden müssen. Ikea-Style also.
Um Trinkwasser zu gewinnen, lokalisieren die Rover (so nennt Mars One seine roboterähnlichen Gefährte) Marserde mit hohem Wassergehalt. Die Erde wird dann von den Life Support Units (so nennt Mars One die Unterkünfte der Astronauten) erhitzt, bis das darin enthaltene Wasser kondensiert. So sollen jedem Astronauten täglich 50 Liter Wasser zur Verfügung stehen. Ein Reservoir von 1’500 Litern soll die Wasserversorgung auch während den berüchtigten Sandstürmen sicherstellen.
Um innerhalb der Life Support Units eine erdähnliche Atmosphäre zu kreieren, soll durch die Spaltung von Wasser Sauerstoff gewonnen werden. Der für den Menschen ebenfalls überlebenswichtige Stickstoff kann aus der Marsatmosphäre entnommen werden. Die Nahrungsmittelproduktion ist über Hydrokulturen – also im Wasser kultivierte Pflanzen – geplant. Das nötige Licht dazu liefern LED-Lampen. Nahrung von der Erde ist nur in einer ersten Phase nach der Landung 2025 und als Notfallration gedacht.
In Worte gefasst sind die Konzepte einleuchtend und einfach. Doch die One-Way-Mission auf den Mars wirft nicht nur moralische Fragen auf, sondern bedeutet auch horrende Kosten. Mindestens sechs Milliarden US-Dollar kostet das Unterfangen bis zur ersten bemannten Landung im Jahr 2025. Danach sollen alle zwei Jahre weitere vier Astronauten auf den Mars geschickt werden.
Die Marsmission als Realityshow Mars One will die Kosten seiner Mission mit der Lancierung einer Realityshow samt dazugehörigem Sponsoring und Ausstrahlungsrechten decken. Wie das Format der Show genau aussieht, ist gemäss Mars One noch nicht klar. Möglich wären kurze Segmente, die täglich ausgestrahlt werden, sowie längere Fernsehspecials, wenn beispielsweise die Crew ausgewählt wird oder ein grosses Ereignis wie die Landung auf dem Mars ansteht.
«Die Olympischen Spiele 2012 nahmen vier Milliarden US-Dollar durch Sponsoring und Ausstrahlungsrechte ein», sagt Gründer Bas Lansdorp gegenüber der Zeitschrift Newsweek. «Man kann sich dabei sehr gut vorstellen, dass der grösste Event der Menschheit um einiges mehr einbringen wird.»
Allein die Mondlandung 1969 wurde von 530 Millionen Menschen am Fernseher verfolgt. Die Olympischen Winterspiele in Sotschi erreichten drei Milliarden Zuschauer, 900 Millionen mehr als die vorausgehende Spiele in London.
Seit der Ankündigung ihrer Mission im Jahr 2012 steht Mars One in der Kritik. Wissenschaftler, Experten und ehemalige Astronauten haben ihre Bedenken aus humanitärer, technischer und finanzieller Sicht ausgedrückt.
Zudem könnten gemäss Experten weitere Herausforderungen aus dem All der Marsmission ein jähes Ende bereiten: Asteroiden, die mehrmonatige Reise, die kosmische Strahlung sowie eine sichere Landung auf dem Mars.
«Gerade Letzteres ist auf dem Mars alles andere als einfach, wie einige gescheiterte Missionen in der Vergangenheit zeigen», sagt der ehemalige Astronaut Ulrich Walter gegenüber dem Berliner Tagesspiegel. «Die machen ihr Geld mit der Show. Was mit den Menschen im All passiert, ist ihnen völlig egal.»
Die Chance, nach drei Monaten auf dem Mars noch am Leben zu sein, stuft Walter bei 20% ein. Aufgrund der hohen Risiken erliess die Religionsbehörde der Vereinigten Arabischen Emirate im Februar 2014 ein Verbot, das allen Muslimen eine Teilnahme an der Mars One Mission untersagt. Das Vorhaben sei zu gefährlich und komme einem Selbstmordversuch gleich, sagten die in der gesamten muslimischen Welt anerkannten Religionswächter.
Hingegen hat der katholische Theologieprofessor Dieter Hattrup keine moralischen Bedenken, insofern realistische Überlebenschancen bestünden: «Andernfalls hätten auch Kolumbus nie über den Atlantik segeln und die amerikanischen Siedler nie nach Westen ziehen dürfen», sagt er gegenüber der Zeitung Die Welt.
Individuelle Vorlieben wie die sexuelle Orientierung spielen keine Rolle, insofern sie keinen Einfluss auf die Teamleistung oder das Astronautentraining haben.
Kommunikation zur Erde dauert drei Minuten Brian stört die Kritik an Mars One nicht. Im Gegenteil. Er ist froh, dass darüber gesprochen wird «Ja, es ist teuer. Aber wir haben die Technologie und die Möglichkeit, und jetzt ist ein guter Zeitpunkt», sagt er, «es ist ein Marsfieber ausgebrochen, ähnlich wie beim Wettlauf zum Mond. Jetzt sind es nicht mehr Länder, die miteinander konkurrieren, sondern Konzerne.»
Auch mit dem Format der Realityshow könnte Brian leben, sollte er für die Mission ausgewählt werden. «Solange ich keine Desperate Housewife spielen muss», sagt er lachend.
Trotz gelassener Einstellung hat sich Brian ernste Gedanken über die Marsmission gemacht. Dass für die Mission keine Rückkehr geplant ist, habe ihm schon zu denken gegeben.
Massgebender Grund für das One-Way-Ticket sind die Kosten. So ist es immer noch billiger, zwanzig Menschen auf den Mars zu bringen, als vier hin und wieder zurück auf die Erde zu holen. Auf ihrer Website spricht Mars One den ethischen Aspekt der Mission ohne Rückkehr an und setzt es einer Auswanderung gleich. So hätten viele europäische Emigranten selbst im zwanzigsten Jahrhundert nicht daran gedacht, dass sie Jahrzehnte später für wenig Geld wieder nach Hause fliegen könnten. Es sei also nicht auszuschliessen, dass in zwanzig Jahren die Möglichkeit bestehe, wieder zur Erde zurückzukehren.
Zudem schreibt Mars One, dass alle Astronauten bis zur letzten Minute die Möglichkeit hätten, einen Rückzieher zu machen. Ein grosser Pool an ausgebildeten Kandidaten soll dafür sorgen, dass Ausfälle schnell und ohne Konsequenzen ersetzt werden können.
Mars One verspricht, allen Astronauten unlimitierten Zugang zu Email, Internet und weiteren Kommunikationskanälen zu gewähren. Die Lieblingswebsites der Crew werden auf einem lokalen Webserver gespeichert und automatisch aktualisiert. Videobotschaften, Bilder sowie Sprach- und SMS-Nachrichten sollen problemlos hin- und hergeschickt werden können. Nahezu unmöglich ist es allerdings, ein Telefon- oder Skypegespräch mit seinen Liebsten auf der Erde zu führen, da die Distanz zwischen den beiden Planeten die Kommunikation zwischen drei und 22 Minuten verzögert, je nach Position der Satelliten. Nachdem man also einem Familienmitglied eine Whatsapp geschickt hat, kann es ganze sechs Minuten dauern, bis man eine Antwort erhält.
Sex auf Mars? Brians Familie ist von seinen galaktischen Plänen nicht sehr begeistert. Auch sein Freund, den er seit einiger Zeit hat, will die Marsgeschichte nicht so ernst nehmen will. «Er macht Witze darüber und spricht über die ultimative Fernbeziehung», sagt Brian. «Aber im Ernst: Das wär das Einzige, das mich daran hindern könnte, an der Mission teilzunehmen. Es gibt aber Anwärterinnen oder Anwärter, die verheiratet sind und Kinder haben. Wie die mit der Mission umgehen, weiss ich nicht.» Die Anmeldung für die Mission zum Mars steht allen Nationen, Ethnien, Religionen und sexuellen Orientierungen offen.
Mars One gibt sich in niederländischer Manier offen: «Intime Beziehungen zwischen den Astronauten verbieten wir nicht», sagt Suzanne Flinkenflögel auf Anfrage von Mannschaft Magazin. «Individuelle Vorlieben wie die sexuelle Orientierung spielen keine Rolle, insofern sie keinen Einfluss auf die Teamleistung oder das Astronautentraining haben.»
What happens on Mars, stays on Mars.
«Es ist nicht das primäre Ziel der Mission, den Mars zu bevölkern», sagt Brian. «Im Gegenteil könnte eine Schwangerschaft eine negative Auswirkung auf die Mission haben. Es wäre moralisch auch nicht vertretbar, dort oben ein Kind zu haben, bevor eine angemessene Infrastruktur besteht. Daher ist es ein Vorteil, dass ich schwul bin. Ich werde keinen Sex mit einer Frau haben.»
Über Sexualität im Weltraum oder darüber, wie sich kosmische Strahlung auf die Libido und Fruchtbarkeit des Menschen auswirkt, ist wenig bis gar nichts bekannt. Raumfahrtbehörden wie die NASA widmen sich erst seit wenigen Jahren dem Thema, da eine längerfristige Menschensiedlung im Weltall nie zur Debatte stand.
Brian begrüsst die offene Einstellung von Mars One und dass die Sexualität kein Tabuthema ist: «Dort oben keinen Sex zu haben, Gott nein. Jeder wird seine Sexualität in irgendeiner Weise ausleben, selbst wenn es nur Masturbieren in unserer Schlafkabine ist. Sexuell aktiv zu sein ist ein Grundbedürfnis des Menschen und wichtig für die Psyche.» Schelmisch fügt er hinzu: «What happens on Mars, stays on Mars.»
Warum der Mars kein Grindr-Hotspot ist
Dass der nächste Chatpartner durchschnittlich 228 Millionen Kilometer entfernt ist, wird wohl deine kleinste Sorge sein, wenn du auf dem Mars lebst.
Es könnten tödliche Viren existieren Kleine grüne Marsmenschen gibt es sehr wahrscheinlich nicht, jedoch gehen Experten davon aus, dass früher Leben auf dem Mars existiert hat. Somit wäre es möglich, dass sich noch heute unbekannte Viren tief in der marsianischen Erde tummeln, die verheerende Folgen auf unser Immunsystem haben könnten.
Leben auf dem Mars ist nicht heiss Auch wenn es in der Nähe des Äquators bis zu 20° C werden kann, beträgt die Durchschnittstemperatur auf dem Mars -55 °C. In der Nacht kann es bis zu -85 °C werden. Zum Vergleich: Die tiefste gemessene Temperatur in der Schweiz war -41.8 °C im Neuenburger Jura. Brrr!
Alle kriegen Hautkrebs Aufgrund der dünnen Atmosphäre ist die Marsoberfläche nicht nur kalt, sondern auch verstrahlt. Der Mars besitzt keine Magnetosphäre, die dich vor kosmischer Strahlung schützt. 2012 betrug die Strahlenbelastung auf der Marsoberfläche 0,67 Millisieverts pro Tag. Zum Vergleich: Auf der Erde sind es 0.3 Millisieverts pro Jahr.
Burger und Gin Tonic ade Auf dem Mars werden die Astronauten ihre eigenen Nahrungsmittel anbauen, und zwar hydroponisch, das heisst im Wasser. Dein Salätchen wird ohne Probleme gedeihen, nur musst du dich wohl oder übel von saftigen Beefburgern verabschieden. Ein grösseres Problem wird der Mangel an Nährstoffen sein, die hier auf der Erde im Boden enthalten sind.
Aggressive Staubstürme Lass dich nicht täuschen von den friedlichen Bildern der Marsoberfläche. Staubstürme auf dem Mars können Stunden, wenn nicht Tage dauern. Bis sich der Staub gesetzt hat, vergehen Wochen. Und wir sprechen hier nicht von Staub wie in deinem Zimmer. Die Staubkörner auf dem Mars sind scharf, kratzig und voller giftiger Chemikalien.
Die Tage auf dem Mars sind schon gezählt Der rote Planet besitzt zwei Monde. Der eine, Deimos, entfernt sich immer weiter weg und wird dem Mars schlussendlich entfliehen. Der andere, Phobos, zieht immer engere Rotationen und wird in zirka 50 Millionen Jahren mit dem Mars zusammenstossen.
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