Calum Scott: «Ich möchte bald Vater werden»
Der Sänger, sein neues Album, seine Mutter und Whitney Houston
Vor zehn Jahren wurde Calum Scott bei «Britain’s Got Talent» zum Star. Wir haben mit dem 37-jährigen gesprochen über sein neues Album «Avenoir», mit dem er sich an Country, Funk und ein Duett mit Whitney Houston wagt.
Calum, du bist jüngst bei einem Festival zum ersten Mal mit einer Big Band aufgetreten. Wie war das für dich? Calum: Nervenaufreibend und wunderschön. Ich weiss nicht, ob ich je vor einem Konzert so nervös gewesen bin. Obwohl wir wenig Zeit zum Proben hatten, lief es toll. Meine Vorbereitung bestand vor allem daraus, mir Shows von Jamie Cullum und Michael Bublé anzugucken und meine Aufregung im Griff zu behalten.
War es ähnlich aufregend, für dein neues Album «I Wanna Dance With Somebody» aufzunehmen im Duett mit der verstorbenen Whitney Houston höchstselbst? Das war wirklich furchteinflössend und gleichzeitig magisch.
Wie kam die Sache zustande? Lange Geschichte, ich hoffe, du hast Zeit (lacht). Das Autorenteam von «I Wanna Dance With Somebody» bot mir einen Song an, der aber nicht so passend war. Dennoch beschlossen wir, in Kontakt zu bleiben, und schliesslich bekam ich einen Duett-Entwurf von «I Wanna Dance With Somebody», der mich komplett umwarf. Ich nahm meine Stimme auf, wir verschmolzen sie mit der von Whitney, und schickten die Version an Pat Houston, Whitneys Schwägerin und Nachlassverwalterin. Pat fand unseren Song unglaublich, wir unterschrieben den Vertrag, um Whitneys Stimme nutzen zu dürfen, und hier sitze ich nun und bin stolz, mit einer legendären Stimme zu arbeiten und sie zurückzubringen ins Jahr 2025. Ich wage zu sagen, dass einige Menschen, die unseren Song hören werden, zum ersten Mal mit ihm in Kontakt kommen. Whitney Houston einer neuen Generation näherzubringen, ist ein fantastisches Gefühl und eine Mordsehre.
Bist du selbst mit ihrer Musik aufgewachsen? Ja, zu einhundert Prozent. Meine Mutter hat Whitney geliebt. Immer, wenn sie mich zur Schule, zum Schwimmunterricht oder wohin auch immer fuhr, hörte sie im Auto Whitney, Celine Dion, George Michael, Prince – diese ganzen gigantischen Stimmen. Und wir sangen lauthals mit.
Wie setzt du euer Duett live um? Wir haben kein Hologramm oder ähnliches, aber wir nutzen die KI-Technologie, um Whitney auf die Leinwände hinter der Bühne zu bringen. Visuell ist sie definitiv ein Teil der Show, und wir stellen sicher, dass ihr Auftritt den Menschen, denen Whitney eine Menge bedeutet, glücklich machen wird. Sie hat einen glänzenden, absolut positiven Auftritt bei uns, das steht ausser Frage.
Calum Scott
Der 37-jährige Engländer wurde 2015 mit seiner Version von «Dancing On My Own» international bekannt. Nach den Erfolgsalben «Only Human» und «Bridges» traut er sich auf seinem neuen «Avenoir» an Country («One More Drink»), an Prince-ähnlichen Funk («Peripheral Vision») und sogar an ein Duett mit Whitney Houston, das zu Tränen rührt. Sein bislang reifstes und tiefgründigstes Werk.
Whitneys Stimme ist einzigartig, aber auch die Stimme von Calum Scott ist besonders. Was bringt dir das Singen als solches? Seelenfrieden. Es macht mich glücklich, es bewahrt mich davor, Probleme zu bekommen, es war auch immer so eine gewisse Form der Therapie für mich. Wenn ich singe oder auch, wenn ich Songs schreibe, bin ich vollkommen bei mir. In meine Musik fliesst alles, was ich zu sagen habe. Sie ist so persönlich, dass es schmerzt, aber es bedeutet mir viel, diesen Schmerz mit den Menschen zu teilen, die meine Musik hören. Und natürlich auch die Freude. Ich will den Soundtrack zu Hochzeiten liefern, zu Geburtstagsfesten – und ja, auch den zu Beerdigungen, aber zu solchen, wo die Leute mit Freude und ein bisschen Fröhlichkeit ihres geliebten Verstorbenen gedenken.
Würdest du bei deiner eigenen Hochzeit auch deine Songs hören wollen? Ach, ich glaube schon. Die Musik hat mir so sehr geholfen herauszufinden, wer ich bin, und sie hat mich durch so viele dunkle Stunden gebracht, dass sie einfach ein ganz, ganz grosser und besonderer Teil von mir ist.
Welches Lied soll denn laufen, wenn du heiratest? Irgendwas Hochdramatisches. Ich will, dass die Leute weinen vor Glück (lacht). Allerdings sprechen wir hier über ein Szenario, das gerade nicht sehr akut ist.
Also kein Ehepartner in Sicht? Leider nicht. Der Beruf des Künstlers kann eine ziemlich einsame Angelegenheit sein. Es kam schon vor, dass ich mich mit jemandem traf, und dann sagte mein Manager: «Calum, du gehst auf Welttournee», und dann war es das wieder. Um eine Beziehung aufzubauen, bräuchte ich mehr Stabilität im Leben. Im Moment bin ich mehr unterwegs als zuhause.
Du bist ja noch jung. Ja, ja, aber in meinem Bart taucht immer mehr Grau auf (lacht).
Obwohl du also Single bist, gibt es auf «Avenoir» massive Liebeslieder wie «Die For You». Der Song haut einen um, was? (lacht) Manchmal funktionieren meine Songs auch wie eine Manifestation. «Die For You» ist ein solcher Song – er handelt davon, so unvorstellbar verliebt zu sein, dass dich dieser andere Mensch wahnsinnig macht vor Glück. «Mad» ist ein weiteres Beispiel.
«Ich habe in meinem Leben harte Erfahrungen mit Vaterfiguren machen müssen»
Calum Scott
Worum geht es in «Mad»? Das Stück ist eine Art Liebesbrief an mein zukünftiges Kind. Ich möchte so schrecklich gerne bald Vater werden. Ich habe in meinem Leben harte Erfahrungen mit Vaterfiguren machen müssen, deshalb möchte ich alles daransetzen, ein wirklich toller Vater zu sein.
Was verstehst du unter einem wirklich tollen Vater? Da zu sein für mein Kind. Wirklich da zu sein. Kinder verdienen es mehr als alles andere, dass du ihnen Aufmerksamkeit schenkst und Zeit mit ihnen verbringst. Ich möchte ein geduldiger und toleranter Vater sein, der die Wünsche und Ambitionen seines Kindes unterstützt. Und ich möchte dem Kind früh zeigen, was es alles für verschiedene Kulturen, Religionen, Traditionen, Speisen, Orte auf der Welt gibt. Dass Menschen sich unterscheiden und doch im Kern ähnlich sind.
Du bist seit zehn Jahren überall auf der Welt am Touren, hast im vergangenen Jahr etwa mit Ed Sheeran in Asien gespielt. Was hast du da draussen gelernt? Das Reisen hat mich sehr bereichert. Und das Livespielen ohnehin – das ist der Lieblingsaspekt meiner Arbeit. Es tut so gut, für die Menschen zu singen, es ist eine Freude, sie glücklich zu machen. Ich kann sagen, dass die Träume, die ich vor fünfzehn Jahren hatte, nicht nur erfüllt wurden – sie wurden weit übertroffen.
Worüber singst du denn dann im nachdenklichen «Unsteady»? Schon auch darüber, mich trotz aller Errungenschaften und Erfolge als Aussenseiter zu fühlen, als das hässliche Entlein.
Du lässt in «Unsteady» nochmal «Dancing On My Own» anklingen. Hast du dich eigentlich je mit deiner Kollegin Robyn getroffen, von der das Stück im Original ist? Ich wünschte, ich könnte das bejahen. Aber es hat sich bisher nie ergeben, selbst wenn der Song für sie wie für mich ein gigantischer Meilenstein war. Ich bin bereit. Robyn hat bestimmt viel zu tun, aber wenn sie sich meldet, würde ich liebend gern sofort was mit ihr machen.
Auch «God Knows» ist eine dieser dramatischen Calum-Scott-Balladen. Bist du ein gläubiger Mensch? Nein, ich bin nicht religiös. Aber mir gefällt der Gedanke, an etwas zu glauben, das grösser ist als man selbst. Ich kann die Idee nachvollziehen, sich Gott zuzuwenden, wenn man Hilfe sucht. Ich selbst wende mich in Momenten der Verzweiflung eher meiner Mutter zu. Mum ist meine beste Freundin, ich erzähle ihr alles, manchmal mit zu vielen Details (lacht). Meine Mutter hat mich mein gesamtes Leben lang unterstützt. Sie war da, als mein Vater es nicht war. Sie stand mir bei, als es mir schlecht ging, als ich verwirrt und verstört war wegen meiner Sexualität. Aber sie war auch bei meinen Triumphen dabei. Sie war da, als ich mit Ed Sheeran sang, sie war da, als ich meinen Plattenvertrag unterzeichnete.
«Mit 13 viele deiner Freunde zu verlieren, weil du ihnen sagst, dass du nicht auf Mädchen stehst, das war furchtbar.»
Calum Scott
War deine Mutter der erste Mensch, dem du erzählt hast, dass du schwul bist? Ja, einer der ersten Menschen ganz sicher. Ich habe mich parallel meinen engsten Freunden gegenüber geöffnet. Nicht bei allen lief es so gut. Mit 13 viele deiner Freunde zu verlieren, weil du ihnen sagst, dass du nicht auf Mädchen stehst, das war furchtbar. Aber sie sprachen einfach nicht mehr mit mir, vielleicht waren sie noch zu jung und selbst unsicher. Meine Mutter dagegen war wundervoll. Sie sagte: «Du bist mein Junge, egal, wen du liebst.»
Siehst du deine Mutter häufig? Sie geht sogar mit uns auf Tour (lacht). Die komplette Band liebt meine Mum, sie ist einfach ein fantastischer Mensch. Mein Management sagt immer, wir sollten endlich einen Podcast zusammen machen.
Glaubst du, dass 13-Jährige, die sich outen, heute auf mehr Verständnis stossen als du vor 25 Jahren? Dieser Schritt bleibt ein persönlicher, tiefgreifender für die meisten. Aber ich denke schon, dass wir vorangekommen sind. Die Jugendlichen sind heute, generell gesprochen, offener, was Sexualität angeht, und nicht zuletzt dank des Internets sind viele heute weniger auf sich allein gestellt. Ich finde auch, dass es eine Menge erstklassiger Filme und Serien gibt, die sich entspannt mit queeren Themen und dem Erforschen von sexuellen Identitäten beschäftigen. Ich selbst bin ein grosser Fürsprecher der queeren Gemeinschaft. Ich tue, was ich kann, um auch dem Letzten eine ganz einfache Wahrheit mit auf den Weg zu geben: Liebe ist Liebe.
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