Lasst uns LGBTIQ-Lokale besuchen, solange es sie noch gibt
Unser Autor hat München zum CSD besucht
München ist mehr als Oktoberfest und Schickimicki. Die Stadt ist auch queerfreundlich: Der diesjährige CSD hat im Vergleich zu 2019 fast dreimal so viele Besucher*innen angezogen (MANNSCHAFT berichtete). Aber auch das Glockenbachviertel mit seiner glamourösen Geschichte ist einen Besuch wert – und das 365 Tage lang im Jahr.
Zum CSD-Wochenende in München bin ich zur Pressereise eingeladen. Logieren darf ich im queerfreundlichen Aloft Hotel gleich beim Bahnhof. Den Startpunkt der Pressereise am Freitagnachmittag vor dem CSD bildet eine Stadtteilführung im Glockenbachviertel: Alexander Kardaschenko erwartet das Influencer*innen- und Mediengrüppchen der Reise am Sendlinger Tor.
Der geprüfte Gästeführer der Landeshauptstadt München und lizensierte Guide der KZ-Gedenkstätte Dachau empfängt uns vor dem Aids-Memorial, der blauen Säule, in unmittelbarer Nähe der U-Bahn-Station Sendlinger Tor. Er erzählt uns aus eigener Erfahrung, was sich in den 80ern und 90ern des vergangenen Jahrhunderts in der Schwulenszene in München abgespielt hat: Sei dies der Paragraf 175 des deutschen Strafgesetzbuches, der sexuelle Handlungen unter Männern bis 1994 unter Strafe stellte. Das Cruisen in den Parks oder die Aids-Epidemie, die so viele Menschen viel zu früh das Leben kostete (MANNSCHAFT berichtete).
Gentrifizierung und Pandemie lassen Szene schrumpfen Bei seiner Vorstellung zeigt uns Kardaschenko eine Liste an Lokalen, Bars und Restaurants, die zur queeren Szene gehören bzw. gehörten: Fast zwei Drittel der Liste sind rot gefärbt. «All diese rot gefärbten Lokale gibt es nicht mehr, nur die grünen existieren noch», erklärt er Die Hauptgründe für das Schwinden der Szenelokale: Gentrifizierung, Online-Dating und Pandemie – sie alle lassen die queere Szene schrumpfen.
Die Luxussanierung von kulturell attraktiven Vierteln Münchens (und auch anderer Städte wie Berlin, Köln oder Hamburg) vertreibt am Ende Subkulturen und alteingesessene Einwohner*innen. Denn diese können sich die neuen Immobilienpreise schlicht nicht mehr leisten. Wer beispielsweise heute im Glockenbachviertel eine Eigentumswohnung kaufen möchte, muss dafür 30 Prozent mehr bezahlen als noch vor 25 Jahren. Das ist selbst für die Mittelschicht schwierig.
Städte können nur attraktiv bleiben, wenn sie für alle Menschen jeglichen Standes eine Existenz ermöglichen. Wie wäre es, wenn Luxusimmobilien künftig an soziale und kulturelle Projekte geknüpft wären? So könnten die Käufer*innen mit dem Erwerb ihres Appartments gleich einen kulturellen Zustupf leisten, um die Subkulturen zu fördern, und damit die Vielfalt von Vierteln bewahren.
Parallel gab es während der Pandemie wenig einsichtige Immobiliengesellschaften, die einer Mietminderung hätten zustimmen wollen. Dadurch erlebte das Lokalsterben eine Art Booster. Manchmal kann der Markt eben doch nicht alles regeln. Hinzu kommt, dass einige Vermieter*innen offenbar keine schwule Gastronomie mehr im Glockenbachviertel wünschen: Die Miete sei für schwule Gastronomen doppelt so hoch wie für heterosexuelle, wie ein Betroffener seine Erfahrungen der Süddeutschen Zeitung schildert.
Online-Datingportale sorgen für Lokalsterben Neben der Gentrifizierung spielt auch das veränderte Datingverhalten eine Rolle: Die Menschen aus der queeren Community verabreden sich zunehmend in privaten Räumen, weil sie sich auf Online-Datingportalen kennenlernen. Die Pandemie hat diesen Trend zusätzlich noch verstärkt. Auch verkehrt die Community zunehmend in Lokalen mit gemischtem Publikum, die seit der erhöhten Akzeptanz laufend an Interessent*innen gewinnen.
Zwar ist die Entwicklung der Akzeptanz löblich, weil sie aufzeigt, dass unsere Gesellschaft inklusiver und freier wird. Dennoch sollte der «Safe Space» für vulnerable Gruppen wie die LGBTIQ- Community nicht ganz verschwinden: Er dient nicht nur einem sicheren Aufenthalts-, Rückzugs- und Austauschort, sondern auch der eigenen Identitätsfindung.
Aus diesem Grund lohnt es sich, sich als Mitglied der LGBTIQ-Community, wann und wo immer möglich in den queeren Subkulturen von Städten aufzuhalten. Dies fördert sowohl die Vielfalt der Szene als auch die eigene Identitätsstärkung. Und wer gleich in einer dieser Städte wohnt, sollte sich auch für die Community und den Fortbestand von kulturellen Einrichtungen einsetzen: Denn Gentrifizierung hat es schwerer, wenn es Gegenwehr gibt. Ausserdem ist bei den Angeboten von Bars, Clubs und Restaurants auch Kreativität gefragt. Schliesslich ist die queere Community für ihren aussergewöhnlichen Geschmack bekannt.
Kardaschenko betont während der Führung durch das Glockenbachviertel: «Die Landeshauptstadt München investiert bewusst in die queere Community und schafft für sie Räume.» So auch für das lesbisch-queere Zentrum (LeZ) an der Müllerstrasse. Hier ist ein Raum entstanden, der einen «Safe Space» für lesbische Frauen*/FLINT Personen (Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre und trans Personen) bietet. Ungeachtet aller Diversitätskategorien wie Herkunft (sozial und geografisch), Alter, Religion, Behinderung, Klasse, Aussehen.
Dies motiviert. Trotz all der «ausgestorbenen» Lokale im queeren Glockenbachviertel haben auch einige überlebt und bieten viel, was das schwule bzw. queere Herz begehrt: Urgesteine wie der Ochsengarten, die Deutsche Eiche, das Nil oder das Edelheiss, aber auch das Diversity Café, der NY Club oder der SpeXter Sexshop. Und nicht zuletzt auch die Tatsache, dass München jahrelang Wohn- und Schaffensort der Rocklegende Freddie Mercury war: In München konnte Freddie sein, der er war (MANNSCHAFT berichtete). Neben Partys hatte es ihm auch die bayerische Küche angetan: Die Schweinshaxe stand bei ihm wohl hoch im Kurs.
Zurück im Hotel werfe ich mir andere Textilien über, bevor es zum Abendprogramm «Let the Colors Shine» geht. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich für die Reise viel zu wenig Klamotten eingepackt habe. Vor allem dann, nachdem ich mir mein klima-funktionelles Hemd mit dem Hotel-Bügeleisen total verbrannt habe, obwohl die Etikette ein Bügeln des klima-funktionellen Gewebes erlaubt hätte. Mein Tipp für funktionelle Textilien: Halte dich fern von Feuerquellen. Wenn nur ein wenig Dampf das Gewebe in Luft auflöst, könntest du beim Rauchen gleich dein letztes Hemd verlieren …
Zumindest trösten mich die Gummibärchen im bayerischen Glas samt Regenbogenflagge über mein Malheur mit dem Hemd hinweg: Sie stehen schon bei meiner Ankunft im Hotel als Willkommensgeschenk auf dem Schreibtisch. Ein Griff hinein lässt die Welt schon wieder etwas bunter erscheinen.
Nach meiner Hemd-Havarie erwarten uns in der Hotel-Bar Dean Deville, Tracy Dash, Ruby Tuesday, Perry Stroika und Vicky Voyage. Ihr Auftrag: Uns mit Tanz, Gesang und Comedy zu unterhalten, was ihnen bestens gelingt.
München ist bunt und offen für LGBTIQ – und das nicht nur im Sommer. Für alle Weihnachts-Fans gibt’s auch einen besonderen Weihnachtsmarkt: Nach der Pandemie soll Pink Christmas 2022 wieder stattfinden. Übrigens nur einen Steinwurf zum Südfriedhof Münchens, der nicht nur jahrhundertealte Prominenz «beherbergt», sondern auch aus architektonischer Sicht ein Augenschmaus ist.
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