«Arbeit als ständiger Akt der Liebe» – Giorgio Armani wird 90
Allzu schwule Mode ist nichts für ihn
Der Name Giorgio Armani steht für teure Mode, teuren Schmuck und teure Parfüms. Der Italiener hat aber auch seinen Anteil daran, dass man zum Anzug T-Shirt tragen kann. Jetzt wird der bisexuelle Designer 90.
Von: Christoph Sator, dpa
Die kleinen Lügen seines Gewerbes beherrscht Giorgio Armani nach all den Jahren natürlich perfekt. Man konnte es erst vor ein paar Tagen wieder sehen, bei der Fashion Show in Paris, wo der Italiener, weisses Haar und braun gebrannt, Kundschaft und Prominenz grosszügig mit Komplimenten für die Wahl ihrer Kleidung umschmeichelte. Und sich am Ende auch noch selbst bejubelte fürs eigene Werk: «Meine schönste Kollektion überhaupt», wieder einmal.
Meine schönste Kollektion überhaupt
Der Mann aus Mailand kann sich das leisten. Die Konkurrenz von einst ist nicht mehr. Karl Lagerfeld, Yves Saint-Laurent, Gianni Versace: alle tot. Armani wiederum kann an diesem Donnerstag seinen 90. Geburtstag feiern. Viele halten ihn für den letzten grossen Modeschöpfer mit unverkennbarem Stil: lässig, edel und schlicht. Er erfand das Sakko neu und ermöglichte es, dass man zum Anzug T-Shirt tragen kann – was er bis heute selbst noch vormacht, vorzugsweise in Blau.
Im Unterschied zu vielen sonstigen Grössen seiner Branche war Armani nie in Paris zu Hause, sondern immer in Mailand. In der Via Borgonuovo, einer überaus eleganten Strasse, gehören ihm mehrere Gebäude. Der Firmensitz ist ein Palast aus dem Jahr 1662. Neue Kollektionen zeigt er auch im Keller seines Wohnhauses. Viermal pro Jahr Mailand, zweimal Herren-, zweimal Damenmode, dazu noch zweimal pro Jahr Paris. Alle kommen. Seit Lagerfelds Tod 2019 (MANNSCHAFT berichtete) ist er für viele der bekannteste Modemacher der Welt.
Der auch schon ganz offen den Kleidungsstil von Schwulen kritisiert hat. Und das, obwohl er selbst zur Community gehört ist. Wenn Homosexualität zu sehr zur Schau gestellt werde, dann sei das nichts für ihn, wurde er vor ein paar Jahren von der britischen Wochenzeitung Sunday Times zitiert. «Ein Mann muss ein Mann sein», so Armani, der mit Vorliebe Schwarz trägt.
Geboren wurde der «Principe della Moda» («Fürst der Mode»), wie sie ihn zu Hause nannten, nicht in Mailand, sondern eine Autostunde weiter, in der Kleinstadt Piacenza, als zweites Kind einer Hausfrau und eines Speditionskaufmanns. Die Mutter legte Wert auf Kleidung, auch in den Kriegsjahren. Aber den grösseren Einfluss in Sachen Mode hatte wohl der Grossvater, der als Maskenbildner und Perückenmacher beim städtischen Theater sein Geld verdiente.
Jedenfalls ist Armani auf seine Herkunft stolz. Eines der wenigen Male, die man ihn in den letzten Jahren nicht einfach nur in Hose plus Pulli oder T-Shirt und vielleicht noch Sakko zu sehen bekam, war, als ihn die Universität seiner Heimatstadt vergangenes Jahr zum Ehrendoktor machte: Er trug Talar und Schärpe, wie es sich zum Doktorhut gehört. In seiner Dankesrede sagte er: «Diese Arbeit ist für mich das Leben, ein ständiger Akt der Liebe.» Und fügte lächelnd, aber geschäftsbewusst hinzu: «Ich höre mir immer die Meinung der anderen an. Aber dann treffe ich die Entscheidungen.»
Ich höre mir immer die Meinung der anderen an. Aber dann treffe ich die Entscheidungen
Fast wäre aus Armani sogar ein echter Doktor geworden. Nach dem Abitur studierte er zwei Jahre lang Medizin. Beim Militärdienst in einem Hospital merkte er, dass das nicht seine Welt war. Eine Freundin vermittelte ihn zur Kaufhauskette «La Rinascente», wo er als Schaufensterdekorateur begann, dann Einkäufer wurde. So lernte er 1964 den Altmeister der italienischen Herrenmode kennen, Nino Cerruti. Ohne je den Beruf erlernt zu haben, machte er bei Cerruti seine ersten eigenen Entwürfe. Dann trennten sich die Wege.
Mitte der 1970er Jahre gründete Armani mit seinem Lebensgefährten Sergio Galeotti eine eigene Firma: die Giorgio Armani SpA. Das war die Keimzelle eines Konzerns, der heute viele Milliarden wert ist: Das Geld kam anfangs durch Mode herein, dann auch durch Kosmetik, Uhren, Schmuck und Hotels. Seit Galeottis frühem Tod 1985 gehört das Unternehmen nur Armani. Er lebt, soviel man weiss, seither auch allein.
An die Börse ging er nie. Alle Übernahmeangebote lehnte er ab. Rund um den Globus gehören zum Konzern heute 9250 Beschäftigte, mehr als 2000 Geschäfte, oft in besten Lagen, mit einem Jahresumsatz von mehr als 2,3 Milliarden Euro. Auf die «Fast Fashion»-Firmen wie H&M oder Zara mit ihren schnell wechselnden Kollektionen, die ihm in den Innenstädten durchaus Konkurrenz machen, blickt Armani mit Missachtung herab. «Ein Designer muss Mode kreieren, die einzigartig ist und sich nicht jede Woche ändert.»
Sein Markenzeichen: Er reduziert Mode auf das Wesentliche. Aus den früher oft noch uniformartigen Sakkos entfernte er Polster und Einlagen. Die Hemdkragen wurden weniger steif, die Knöpfe nach unten gesetzt. Dazu beschränkt er sich auf zeitlose Farben wie Grau, Beige und Weiss. Ihm selbst ist tiefes Blau am liebsten. «80 Prozent von dem, was ich mache, ist Disziplin», pflegt er zu sagen. «Der Rest ist Kreativität. Meine Grenze ist der gute Geschmack.»
80 Prozent von dem, was ich mache, ist Disziplin. Der Rest ist Kreativität. Meine Grenze ist der gute Geschmack
Dass er aus der Herrenmode kommt, merkt man auch seinen Damenkollektionen an. Nie waren Hosenanzüge so weiblich. Die Kulturwissenschaftlerin Barbara Vinken sagt: «Armani hat unterkühlte Sexyness in die Mode gebracht.» Das machte sich auch Hollywood zu eigen. Dort schaffte er 1980 den Durchbruch, indem er Richard Gere als «American Gigolo» («Ein Mann für gewisse Stunden») einkleidete. Auf der Leinwand folgten Kevin Costner («Die Unbestechlichen»), Tom Cruise («Mission Impossible») und Leonardo DiCaprio («Wolf of Wall Street»). Mit der TV-Serie «Miami Vice» wurde das T-Shirt zum Sakko alltagstauglich.
Für seine Landsleute ist der wohl gealterte Mann der Vorzeige-Italiener schlechthin. Sie verziehen Armani die Bestechung von Steuerfahndern und sogar, dass er für eine Fussball-WM ausgerechnet die englische Nationalmannschaft ausstattete. Das Magazin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung stellte ihn vor einiger Zeit als «Monolithen der Mode» heraus, als «Felsen im schrecklichen schnellen Geschäft, das keine Verwandten kennt, keine Dauer, keine Tradition».
Der Nachteil aller Einzigartigkeit: Wie es einmal weitergehen wird mit der Marke Armani, ist unklar. Bislang unterliess es der «Principe», sich auf ein*e Nachfolger*in festzulegen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird er es auch nicht mehr tun, obwohl ihn der Gedanke, was bleibt, durchaus beschäftigt. Als ihn die Zeitung La Repubblica zu seinem Geburtstag befragte, antwortete er: «Mein grösster Traum ist, dass Armani ein Ausdruck des italienischen Stils bleibt, auch in 50 oder 100 Jahren noch.»
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